„Ich bin nicht krank“ - Influencerin mit Down-Syndrom zeigt ihren Alltag

Marie lächelt in die Kamera. Auf Social Media folgen der Frau mit Down-Syndrom Zehntausende. Foto: Moritz Frankenberg/dpa
Die 22-jährige Marie und ihr Schwager Furkan lassen Menschen in sozialen Medien an ihrem Leben teilhaben. Mehr als 270.000 Follower haben sie auf Tiktok. Marie träumt von einer Schauspiel-Karriere.
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Wenn Marie bunte Burger zubereitet, shoppen geht oder ihren Schwager an seinem Geburtstag überrascht, erleben dies Zehntausende Menschen mit. Seit knapp drei Jahren erlaubt die 22-Jährige auf Tiktok und Instagram regelmäßig Einblicke in ihr Leben - mit großem Erfolg. Auf Tiktok hat der Account „mariesweekends“ aktuell 272.900 Follower und 6,9 Millionen Likes, 59.100 Follower sind es bei Instagram. „Sie ist so zuckersüß“ steht in den Kommentaren, „Hammer“ oder „Du bist klasse, Marie“.
Maries Schwager Furkan ist in den Videos oft an ihrer Seite zu sehen. Der 27-Jährige ist mit Maries Schwester verheiratet, die aber nicht in den sozialen Medien auftreten will. Furkan möchte auf „mariesweekends“ zeigen, was für ein toller Mensch seine Schwägerin ist. „Sie hat Power ohne Ende“, sagt er. „Sie ist sehr offen. Sie läuft auf die Menschen zu und erzählt einfach von sich selber.“
Marie klärt auf: „Ich bin nicht krank“
Ohne Unterstützung könnte Marie den Account nicht betreiben. Sie hat das Down-Syndrom. Weil das Chromosom 21 bei den betroffenen Personen dreimal vorliegt, wird die Genveränderung auch Trisomie 21 genannt. In Deutschland leben schätzungsweise 50.000 Menschen mit dieser genetischen Besonderheit. Laut einer Umfrage des Deutschen Down-Syndrom-Infocenters arbeiten die meisten Erwachsenen von ihnen in Werkstätten für behinderte Menschen.
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„Ich bin nicht behindert, ich bin normal“, sagt Marie. „Ich bin nicht krank.“ Die junge Frau träumt von einem Leben als Schauspielerin oder Sängerin, aber ihren Job in einer Lebenshilfe-Einrichtung als Reinigungskraft möchte sie nicht kündigen. „Ich mache alles: Wäsche aufhängen, Staubsaugen, Tische wischen: schwupp, schwupp, schwupp“, erzählt die 22-Jährige. In der Woche lebt sie bei ihrer Mutter und ihrem Bruder, am Wochenende wird sie von Furkan und ihrer Schwester nach Hannover geholt.
Jede Woche ein Koch-Video auf YouTube
Furkan und seine Frau fasten während des Ramadans, für Marie kommt das nicht infrage. „Das ist nicht so mein Ding“, sagt sie selbstbewusst. Beim Füllen von Datteln für das wöchentliche Koch-Video auf YouTube ist sie aber dabei - nachdem Furkan den Tisch noch mal abgewischt hat, weil seine Schwägerin eine klebrige Stelle entdeckt hat.
Sobald die Kamera läuft, ist Marie in ihrem Element: Ihre Augen blitzen, sie strahlt und reckt die Arme. Mit ihrem Schwager ist sie ein eingespieltes Team. „Du bist toll und mutig“, sagt sie in einem Video zu seinem Geburtstag. Sie liebe es, mit ihm Action zu machen und Kakao zu trinken. Auf die improvisierte Rede folgt eine Umarmung.
Fast so oft wie geknuddelt wird Furkan geneckt. Auf dem Basketballplatz erzielt Marie mit ihrer ungewöhnlichen Wurftechnik von unten fünf Körbe. Ihrem Schwager gelingt trotz besserer Technik kein einziger Korb. „Versuch du nochmal“, fordert sie ihn immer wieder auf. „Das war nichts!“ Im Fußball sei Furkan aber besser, sagt die Sportbegeisterte gnädig.
Inzwischen verdienen beide Geld mit Social Media
Mit ihren Followern per Handy zu sprechen, macht der 22-Jährigen am meisten Spaß. „Ich liebe es, live zu gehen“, sagt sie. Wenn sie auf der Straße erkannt wird, freut sie sich. Inzwischen verdienen Furkan und Marie etwas Geld mit ihrem Account, zum Beispiel über Kooperationen, auch wenn davon nicht die Miete bezahlt werden kann, wie der 27-Jährige sagt.
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Marie hat sich ein iPhone gekauft, was ohne den Zuverdienst nicht möglich gewesen wäre. Ihr Entgelt in der Behindertenwerkstatt liegt bei etwa 200 Euro pro Monat, hinzu kommt Grundsicherung. Das in den sozialen Medien verdiente Geld investieren beide zudem in Reisen, über die sie berichten. „Holland, Türkei, Italien“ - Marie zählt auf, wo sie schon überall waren.

Marie nimmt mit ihrem Schwager Furkan ein Video auf. Foto: Moritz Frankenberg/dpa
Was ist ihr Traum-Ziel? „Hawaii“, sagt Marie. Dafür könne man sparen. „Hab da einen Vulkan gesehen. Ein Traum.“ Aber auch ein Besuch in der Eisdiele in Hannover ist für die 22-Jährige ein Highlight. Wenn sie unterwegs ist, verteilt sie Komplimente. „Hey Kleiner, du hast schöne Haare“, sagt sie zu einem jungen Mann und „Schöner Kinderwagen!“ zu einer Mutter.
„Starke Stimmen und wirkungsvolle Vorbilder“
„Einige Personen mit Down-Syndrom sind in den sozialen Medien sehr aktiv und nutzen diese Plattformen, um ihre Erfahrungen und Perspektiven zu teilen“, sagt Elzbieta Szczebak, Leiterin des DS-Infocenters. Zu ihnen zählen Schauspielerinnen wie Carina Kühne, Luisa Wöllisch oder Neele Buchholz, die Aktivistin Natalie Dedreux oder die Jugendliche Sonea. Die jüngere Generation der Menschen mit Trisomie 21 nutze soziale Medien ähnlich wie Personen ohne Down-Syndrom, sagt Szczebak. Vielen gehe es darum, ihren Alltag zu zeigen.
„Menschen mit geistiger Beeinträchtigung machen als Influencerinnen und Influencer ihre Lebensumstände für die Öffentlichkeit sichtbar“, sagt Peer Brocke, Sprecher der Bundesvereinigung Lebenshilfe. „Sie sind damit starke Stimmen und wirkungsvolle Vorbilder.“ Wie in anderen Lebensbereichen benötigten diese Menschen bei der digitalen Teilhabe Unterstützung. Die Lebenshilfe habe deshalb vor fünf Jahren das Projekt „Das Internet ist für alle da“ initiiert.