"Kasernencowboy": Über eine Nachkriegskindheit in der Kaserne in Stade

Rainer Kudziela und sein Buch "Kasernencowboy".
Als Kind floh er mit seiner Mutter zu Kriegsende vor den russischen Truppen gen Westen. Was er dann in Stade erlebte und wie es ihm mit der Mutter und dem Vater, der in der SS war, erging, davon handelt das Buch „Kasernencowboy“ von Rainer Kudziela.
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„Ich wollte die bedrückende Familienatmosphäre und die dunklen Familiengeheimnisse, mit denen ich es als Kriegskind zu tun hatte, aufklären, aufhellen und für mich fassbar machen“, sagt Autor Kudziela über eines der Motive, die ihn zum Schreiben des Buches brachten.
Das schwierige Erbe, dass das Flüchtlingskind Rainer ungewollt antrat, ist eng verwoben mit der Fluchtgeschichte seiner Mutter und der Kriegsteilnahme seines Vaters. Als kleines Kind war der Junge auf der Flucht umgeben und gefangen in den Gefühlen seiner Mutter. „Ich teilte ihre Todesangst vor militärischen Angriffen und ihre Angst um mich“, erinnert sich Kudziela.
Über das Schreiben zurück in die Vergangenheit
Die Mutter war erfüllt von tiefem Schmerz über den Verlust des eigenen Zuhauses, über den plötzlichen Unfalltod ihres erstgeborenen Sohnes, und sie fühlte sich dem Schicksal hilflos ausgeliefert. „In all diesen Gedanken und Gefühlen begleitete ich sie ganz selbstverständlich“, sagt der Autor. Bewusst wurde ihm vieles aber auch erst beim Schreiben des Buches.
Rainer Kudziela kommt damals als Sechsjähriger über das Alte Land nach Stade. Dort lebt seine Familie zusammen mit zahlreichen anderen Flüchtlingen in einem großen, burgähnlichen Kasernengebäude aus rotem Backstein. Ortskundige wissen es: Es handelt sich um die ehemalige Kaserne, die jetzt ein Teil des Wohngebiets Ottenbeck ist.
Aus den dunklen Fluren und der engen Wohnung sucht er bei jeder Gelegenheit den Weg ins Freie. Mit dem Fahrrad erweitert er seinen Radius, fantasiert sich auf dem Rad als Cowboy, der durch endlose Prärien reitet, träumt sich weg aus Schule und Alltag.
Kriegskinder und ihre Probleme
„Meine Geschichte jetzt zu erzählen, war und ist ein angstbesetzter Tabubruch, der mich aber letztlich auch erleichtert hat“, sagt Kudziela über sein Werk. Die Heimlichkeit, die Verleugnung und Verdrängung der Gefühle von Schuld und Scham, bezogen auf die Lebensgeschichte der Eltern im NS-Staat – der Vater war bei der SS – war auch in das Kind übergegangen. Gleichzeitig spürte Kudziela als Kind den Familienzusammenhalt, die emotionale Enge.
Heute beschäftigt sich Kudziela über seinen Beruf als Psychotherapeut mit dem Thema Kriegskinder. „Die Eltern meiner Klientinnen und Klienten sind oft Kriegskinder und haben die damit verbundenen Probleme häufig an ihre Kinder weitergegeben“, erläutert Kudziela. Emotionale Zurückhaltung, Sprachlosigkeit bei Konflikten, unerklärliche Ängste und Kontaktprobleme seien dann die zu bearbeitenden Themen.
Sein Buch empfiehlt der Autor daher vor allem denjenigen, die in die Erinnerungen an die eigene Kindheit einsteigen möchten. Über die Lektüre können sie sich vorsichtig an die Ereignisse und Geschichten heranwagen.
Das Buch
Kasernencowboy – Flüchtlingskind“ kostet als Taschenbuch 12,90 Euro, die gebundene Ausgabe ist für 27,50 Euro zu haben. ISBN 978-3-75349-139-4.
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