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Energiepreise

Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme sinkt bis 2024

Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

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Der Gaspreis muss runter, sagt Kanzler Scholz. Den ersten Schritt dazu hat der Bundestag jetzt beschlossen: Der Staat verzichtet auf Steuereinnahmen. Doch Kritiker halten das nur für einen Tropfen auf den heißen Stein.

Freitag, 30.09.2022, 11:15 Uhr

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Zur Abfederung der hohen Energiepreise fällt auf Erdgaslieferungen und Fernwärme ab Oktober weniger Mehrwertsteuer an. Der Bundestag beschloss am Freitag, dass der Steuersatz wegen der Energiekrise vorübergehend von 19 auf 7 Prozent gesenkt wird. Das soll bis Ende März 2024 gelten.

Die Gaspreise stiegen immer weiter, begründete Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Steuersenkung. „Und der Staat darf nicht Profiteur davon sein, dass für die Menschen das Leben teurer wird.“

Preise könnten um 7,3 Prozent sinken

Die Ampel-Koalition forderte die Energielieferanten auf, die Steuersenkung in voller Höhe an die Verbraucher weiterzugeben. „Dass sie an die Verbraucherinnen weitergegeben wird, das kann der Staat leider nicht garantieren“, räumte die Finanzpolitikerin der Grünen, Katharina Beck, ein. „Und außerdem entlastet man diejenigen, die viel verbrauchen und tendenziell mehr Geld haben, als die, die wenig verbrauchen und tendenziell weniger Geld haben.“ Trotzdem sei das Gesamtpaket richtig.

Nach Rechnung des Vergleichsportals Verivox müssten die Preise bei voller Weitergabe an die Verbraucher um 7,3 Prozent sinken. Für eine Familie mit einem Gasverbrauch von 20 000 Kilowattstunden bedeute das eine Entlastung von 366 Euro im Jahr.

Die oppositionelle Union kritisierte, bei einer Verdrei- oder Vervierfachung des Gaspreises sei das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Unter dem Strich könne es sogar passieren, dass ein Haushalt selbst mit dem niedrigen Steuersatz durch die hohen Preise noch mehr Mehrwertsteuer zahle als zuvor bei niedrigen Preisen und höherem Steuersatz.

Hälfte der Haushalte wird mit Gas beheizt

Etwa die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland wird mit Gas beheizt, rund 14 Prozent der Haushalte, vor allem Mieter in Ostdeutschland, nutzen Fernwärme. Insgesamt nimmt der Staat nach Rechnung des Finanzministeriums durch die Steuersenkung bis 2024 rund 13 Milliarden Euro weniger ein.

Ursprünglich war die Steuersenkung auf den Weg gebracht worden, damit der Staat nicht an der umstrittenen Gasumlage für alle Gaskunden mitverdient. Diese Umlage sollte helfen, angeschlagene Gasimporteure zu stützen, die ihr Geschäft bisher auf billiges russisches Gas aufgebaut hatten. Am Donnerstag beschloss die Bundesregierung jedoch, die Gasumlage zu kippen und die drei betroffenen Unternehmen auf anderem Weg zu stabilisieren. An der Mehrwertsteuersenkung hält die Ampel-Koalition trotzdem fest, um die Verbraucher weiter zu entlasten.

Lindner verteidigte auch das 200 Milliarden Euro schwere Hilfspaket, mit dem die Bundesregierung unter anderem Preisdeckel auf Strom und Gas finanzieren will. Es sei Deutschlands Antwort auf den Energiekrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Putin wolle den Wohlstand in Deutschland erschüttern, damit die Bürger weniger solidarisch mit der Ukraine seien. Doch damit werde er scheitern, betonte Lindner.

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg kritisierte, zum jetzigen Zeitpunkt sei das von Kanzler Olaf Scholz „Doppelwumms“ getaufte Paket „nichts anderes als ein Schuldenwumms“. Denn was die Regierung damit finanzieren wolle, sei völlig unklar, es gebe keinerlei Kalkulation oder Berechnungsgrundlage.

Tatsächlich gibt es für die geplanten Preisdeckel noch kein Konzept. Eine Kommission soll die Gaspreisbremse mit Mitte Oktober entwickeln. Offen ist etwa, ob nur ein Grundverbrauch künstlich billig gehalten wird oder die gesamte Gasnutzung. Kritiker befürchten, dass es dann keinen Anreiz zum nötigen Gassparen mehr gibt.

Bundestag ermöglicht steuerfreie Arbeitgeber-Pauschale

Arbeitgeber können ihren Beschäftigten in den kommenden Jahren zudem bis zu 3000 Euro steuerfreie Prämien zur Abfederung der hohen Inflation zahlen. Der Bundestag beschloss am Freitag, dass auf solche Boni bis Ende 2024 keine Einkommensteuer anfällt. Offen ist allerdings, wie viele Arbeitgeber von der Möglichkeit Gebrauch machen und tatsächlich Prämien auszahlen. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hatte zuletzt betont, nicht alle Unternehmen könnten sich die Einmalzahlung leisten.

Auch während der Corona-Krise gab es die Möglichkeit einer steuerfreien Prämie. Wie viele Arbeitgeber sie in welcher Höhe zahlten, ist aber nicht bekannt. Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist, dass das Geld zusätzlich zum Arbeitslohn gezahlt wird. Außerdem muss der Arbeitgeber deutlich machen, dass es sich um eine Pauschale im Zusammenhang mit den Preissteigerungen handelt. Bei Sozialleistungsbeziehern soll die Prämie nicht als Einkommen berücksichtigt werden.

Gasspeicher gut gefüllt - Speicherverband trotzdem skeptisch

Der Gasspeicherverband ist trotz eines Gesamtfüllstandes von rund 91,3 Prozent skeptisch, ob das Speicherziel von 95 Prozent zum 1. November erreicht wird. „Die steigenden Gasverbräuche aufgrund fallender Temperaturen reduzieren zunehmend die Einspeichermöglichkeiten“, sagte der Geschäftsführer des Speicherverbandes Initiative Energien Speichern (Ines), Sebastian Bleschke, der Deutschen Presse-Agentur.

Die deutschen Speicher müssen jeweils am 1. Oktober zu 85 Prozent gefüllt sein, schreibt das Energiewirtschaftsgesetz vor. Schon am 2. September hatte der Gesamtfüllstand diese Marke erreicht. „Sehr niedrige Verbräuche der Industriekunden in den vergangenen Wochen und Monaten haben sicherlich einen ganz wesentlichen Beitrag dafür geleistet.“

Bleschke sagte, für die Speicher Rehden in Niedersachsen und Wolfersberg in Bayern sei aufgrund der technischen Möglichkeiten zur Einspeicherung absehbar, dass zu den Stichtagen weder 85 noch 95 Prozent erreicht werden könnten. „Um höhere Füllstände sicherzustellen, hätte THE als alleiniger Nutzer dieser Speicher die zur Verfügung gestellten technischen Einspeichermöglichkeiten schon in den vergangenen Monaten stärker ausnutzen müssen.“ Rehden ist der größte deutsche Speicher. Am Dienstag war er zu 76 Prozent gefüllt. Neben Wolfersberg lagen am Dienstag auch noch drei kleinere Speicher unter 85 Prozent. Die Trading Hub Europe (THE) ist als Gemeinschaftsunternehmen der deutschen Ferngasleitungsnetzbetreiber für die Gasmarkt-Organisation zuständig.

Die Speicher gleichen Schwankungen beim Gasverbrauch aus und bilden damit ein Puffersystem für den Markt. Für gewöhnlich sind sie mit Beginn der Heizperiode im Herbst gut gefüllt. Bis zum Frühjahr nehmen die Füllstände dann ab.

Die insgesamt hohen Füllstände bedeuten für Bleschke noch keine Entwarnung für den Winter. „Aufgrund der weiterhin stark reduzierten Importmöglichkeiten für Gas muss davon ausgegangen werden, dass die Gasspeicher im Winter bereits früher als sonst und deutlich stärker zur Versorgung eingesetzt werden.“ Ob die Reserven ausreichten, werde stark davon abhängen, in welchem Umfang private Haushalte ihren Verbrauch senken würden und verflüssigtes Gas importiert werden könne. „Damit steht und fällt letztlich auch die Möglichkeit, die Füllstandsvorgabe von 40 Prozent am 1. Februar 2023 einhalten zu können.“ (dpa)

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