Spektakel mit Nebenwirkungen: Der HSV und die „Freibadstraße“

Der Hamburger Trainer Tim Walter. Tim Walter setzt im DFB-Pokal auf Matheo Raab. Foto: Uli Deck/dpa
Unglaubliche 19 Tore sind in den drei Pflichtspielen des Hamburger SV in dieser Saison gefallen. Das bedeutet Spektakel um Spektakel. Mit allerdings auch viel zu vielen Gegentoren.
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Von Holger Schmidt, dpa
So mancher Kollege von Tim Walter würde sich ob der vielen Gegentore ereifern oder Sorgen machen. Der Trainer des Hamburger SV aber wirkt ruhig und zufrieden. Und hatte am 4:3-Sieg des Fußball-Zweitligisten nach Verlängerung in der ersten Pokalrunde beim Drittligisten Rot-Weiss Essen offensichtlich mehr Spaß als die meisten anderen Hamburger. Er sah "ein munteres Spielchen", freute sich über den Sieg und das Weiterkommen. Und einen Grund, von seinem Weg abzuweichen, sieht er auch nach dem dritten Spektakel im dritten Pflichtspiel der neuen Saison nicht.
Walter sieht keinen Anlass für eine Neuausrichtung
"Das ist doch gut, oder? Auf jeden Fall ist es für alle sehr, sehr ermutigend, ins Stadion zu gehen, wenn der HSV kommt", sagte Walter trotz dreier verspielter Führungen in Essen und bereits acht Gegentoren in drei Spielen. "Ich habe immer gesagt, dass mir ein 5:4 lieber ist als ein 1:0. Und solange wir ein Tor mehr schießen als der Gegner, bin ich sehr zufrieden", versicherte der Trainer. Und stellte klar, dass man ihn nach einer Änderung der Ausrichtung auch gar nicht mehr fragen müsse. "Das Thema haben wir ja in Endlosschleife", sagte er zu den Journalisten: "Ihr könnt das auch jeden Tag mit mir besprechen, wenn ihr wollt. Aber ich mache das so, seit ich beim HSV bin. Und das solltet ihr langsam wissen."
Sein Chef Jonas Boldt hatte wesentlich weniger Freude an dem aus HSV-Sicht unnötig turbulenten Pokalfight. "Wenn du dreimal führst, ist es unerklärlich, dass wir die immer wieder zurückkommen lassen", schimpfte er am Sky-Mikrofon.
Viele Fehler selbst verursacht
Seine Kritik bezog sich aber offensichtlich eher auf die Einstellung als an die taktische Ausrichtung. "Viel zu viele Nachlässigkeiten, viel zu viele einfache Fehler", hatte Boldt gesehen: "Wir spielen hier gegen einen Drittligisten und nicht irgendwie an der Freibadstraße." Auch Walter war sich sicher, dass die drei Gegentore "wenig mit Risiko zu tun" gehabt hätten: "Denn kein Tor ist durch einen Ballverlust im Spielverlauf entstanden."
Auch der eingewechselte Innenverteidiger Stephan Ambrosius beklagte, "dass wir uns die meisten selbst 'reinschießen, weil wir zu einfache Fehler machen". Dennoch beklagte der 24-Jährige zwischen den Zeilen auch Probleme in der Abstimmung. "Ob die Mannschaft neu eingespielt werden muss oder nicht - wir sind alle Profis", sagte er: "Die Liga hat begonnen, der Pokal hat begonnen. So viel Zeit bleibt nicht. Sonst kann es bald in die Hose gehen. Wenn wir nicht vier Tore geschossen hätten, hätten wir hier verloren. Ich hoffe, das wird bald besser."
Bewährungsproben für den HSV
Das muss es definitiv, wenn der Aufstieg in die Fußball-Bundesliga im sechsten Anlauf endlich gelingen soll. Der Start ist mit vier Punkten insgesamt gelungen, doch das Programm bleibt stramm. Nächste Woche kommt Absteiger Hertha BSC, dann steigen die Nord-Derbys gegen Hannover 96 und den Überraschungs-Tabellenführer Hansa Rostock.
Sich immer auf die Offensive zu verlassen, ist riskant. Also wird der HSV entweder weniger Risiko gehen oder an der Balance arbeiten müssen. "Unsere Spielidee ist schon, dass wir hinten heraus mutig spielen", sagte Laszlo Benes, der in Essen den Siegtreffer erzielte: "Aber natürlich müssen wir auch wissen, wann du mutig sein oder dribbeln kannst. Und wann wir einfacher und sicherer spielen müssen."
Man konnte es natürlich auch so betrachten wie Mattheo Raab. "Ich bin froh, dass wir auch an einem schlechteren Tag solche Spiele für uns entscheiden können", sagte der Ersatztorhüter, der in Essen eine Bewährungschance bekommen hatte.