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Thomas Martin

Spitzenkoch ohne Stern: "Ganz ehrlich? Ich fühle mich wohl!"

Seit 25 Jahren kocht der Hamburger Spitzenkoch Thomas Martin im Luxushotel Louis C. Jacob. Foto: Stitz

Seit 25 Jahren kocht der Hamburger Spitzenkoch Thomas Martin im Luxushotel Louis C. Jacob. Foto: Stitz

Seit über zwanzig Jahren eine feste Größe im Michelin, bekam das Restaurant des Luxushotels Louis C. Jacob jetzt im zweiten Jahr in Folge keinen Stern im Restaurantführer. Warum Spitzenkoch Thomas Martin das ganz gelassen nimmt und wie Corona die Prioritäten verändert hat. 

Sonntag, 27.03.2022, 14:00 Uhr

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Manche Interviews laufen aus dem Ruder. Aus einem für eine Stunde angesetzten Termin wird unversehens ein deutlich längeres Gespräch, das immer persönlicher und vertrauter wird. Thomas Martin und TAGEBLATT-Mitarbeiter Michael Stitz hatten sich auf der Lindenterrasse des Hotels Louis C. Jacob anlässlich seiner 25-jährigen Betriebszugehörigkeit zum Interview verabredet. Terrasse und Haus sind Hamburgensien. Das älteste Hotel der Stadt und die berühmte Terrasse, die durch den Maler Max Liebermann Einzug in die Kunstgeschichte genommen hat, werden an diesem Nachmittag im März so intensiv und wärmend von der Sonne beschienen, dass wir ohne Jacke zwischen den uralten, knorrigen, wie Skulpturen wirkenden Linden sitzen können.

TAGEBLATT: Herr Martin, als Koch einem Haus 25 Jahre die Treue zu halten, ist nicht unbedingt selbstverständlich. Was hat Sie so lange hier gehalten?

Thomas Martin: Pure Emotion und der besondere Teamgeist in diesem Haus.

Was heißt das genau?

Das heißt, ich habe damals dieses Restaurant gesehen und mich sofort in diesen wunderschönen Raum und das besondere Haus verliebt – und diese Liebe besteht bis heute. Natürlich gab es – wie in jeder Liebe – Hochs und Tiefs, aber nichts hat mich je bewogen, dieses Haus zu verlassen.

War es nur Liebe oder auch die Aufgabe, die lockte und hält?

Klar hat die Aufgabe mich gereizt, meinen eigenen Küchenstil zu entwickeln, und dem Jacob meine Handschrift zu geben. Dass daraus 25 Jahre werden, hätte ich mir nicht träumen lassen. Ich war ein junger Koch von 29 Jahren mit starken Ambitionen, hatte in Frankreich und bei Kochpersönlichkeiten wie Eckart Witzigmann und Lothar Eiermann gearbeitet und gelernt. Kurzum, ich war geprägt von der klassischen französischen Hochküche mit einem starken Bezug zum Produkt. Das hieß auch, dass ich damals schon versucht habe, möglichst viele Produkte aus der Region zu beziehen.

Wie kam das an?

Sehr gut. Für mich als junger Koch war das natürlich auch großartig, dass die Gäste meinen Küchenstil akzeptierten und dafür ins Jacob kamen.

Das Restaurant als Bühne. War und ist das auch ein Teil der beruflichen Befriedigung?

Eigentlich nicht. Ich bin ein eher introvertierter und zurückhaltender Mensch – damals war ich es noch mehr als heute. Es war mir nie wohl dabei, wenn ich im Restaurant von Tisch zu Tisch gehen musste, was ja verlangt wurde. Ich wollte immer nur gut kochen, in der Küche bei meinen Kollegen sein. Heute macht mir der Gang an die Tische sehr viel Freude, und das Gespräch mit dem Gast ist für mich natürlich eine Selbstverständlichkeit, aber am liebsten bin ich am Herd.

Apropos Kollegen, Mitarbeiter – wie gehen Sie mit denen um? Man hört ja immer wieder, dass in der Küche ein rauer bis aggressiver Ton herrschen soll, hin und wieder sogar Messer und Töpfe fliegen…

…also geflogen ist nie etwas, aber ich habe als junger, ehrgeiziger Koch meine Ansprüche gehabt und habe sie immer noch. Sicher war ich auch oft ungeduldig, wollte schnell Dinge erreichen, wollte viel selbst machen. Heute geht das ganz anders, kann ich abgeben, erklären und motivieren, bin ich ein gelassener Koch. Aber ich darf sagen, dass ich immer ein sehr höflicher, fairer und kollegialer Teamplayer war. Aus heutiger Sicht hätte ich vielleicht einige Dinge gelassener angehen können.

Hat eigentlich die Pandemie, die Zeit, in der die Restaurants schließen mussten, dazu beigetragen, dass Sie gelassener wurden?

Diese Zeit war zunächst sehr schwierig, aber in der Tat hat sie auch einiges bewirkt, was ich als sehr positiv empfinde…

In diesem Moment kommt Judith Fuchs-Eckhoff an unseren Tisch. Die klassisch elegant gekleidete, sehr freundlich und zugewandt wirkende Hoteldirektorin möchte „Thomas nur kurz etwas bezüglich eines geplanten Banketts fragen“. Sie entschuldigt sich für die Störung. Doch unversehens kommt sie mit ins Gespräch, denn die „harten Zeiten der Pandemie, die Zwangsschließungen von Hotel und Restaurant und vor allem die Konsequenzen daraus“ haben Küchenchef und Hoteldirektion noch enger gemeinsam agieren lassen. Wir sprechen über alte, wieder entdeckte Werte, über die Balance von Beruf und Privatleben, über Familie und Freundschaften, über Zeit für gute Gespräche, über das Nachdenken und die Bewertung von Erfolg und Ehrgeiz…

Darüber verlieren wir die Uhrzeit aus dem Blick. Eine Stunde ist längst um, Thomas Martin muss in die Küche und lädt mich ein, dorthin mitzukommen. Als wir die Rolltreppe hinunter in sein Reich fahren, öffnet sich der Blick in einen fast Ballsaal großen, gefliesten Raum. Viel Licht, viel Edelstahl, viele Herdflächen, unzählige Töpfe, Pfannen und sonstiges Kochgeschirr – alles wirkt wie gerade frisch geputzt. Auffällig viele junge Köchinnen und Köche sind konzentriert mit ihren jeweiligen Aufgaben beschäftigt. Doch niemand wirkt hektisch, die Arbeitsvorgänge erzeugen nur geringe Lautstärken. Thomas Martin stimmt sich kurz mit seinem Team über die Menüs des Abends ab. Dann wendet er sich wieder mir zu.

Wie ist es, wenn man zwei Jahre in Folge nicht mehr vom Michelin mit Sternen ausgezeichnet wird?

Ganz ehrlich? Ich fühle mich wohl!

Ernsthaft?

Ja, ernsthaft. Wir haben uns nach dem ersten Lockdown bewusst dafür entschieden, nicht mehr diesen enormen Aufwand einer Sterne-Küche zu betreiben. Außerdem sind für mich neue Aufgaben hinzugekommen wie zum Beispiel die Weiterentwicklung unseres erfolgreichen Carls-Brasseriekonzeptes.

Der Eingang des Hamburger Luxushotels „Louis C. Jacob“ . Foto: Warmuth

Der Eingang des Hamburger Luxushotels „Louis C. Jacob“ . Foto: Warmuth

Kommen jetzt weniger oder andere Gäste?

Wer vielleicht nicht mehr kommt, ist der typische Gourmetreisende, aber wer kommt, sind Menschen, die Freude und Genuss an guter Küche haben. Hier, probieren Sie doch mal!

Thomas Martin legt etwas Hummer in einen tiefen Teller und gießt darüber eine herrlich intensiv nach Krebsfleisch duftende Suppe. Nach zwei Löffeln dieser exquisit abgeschmeckten Delikatesse muss ich ihn nicht fragen, worin sich sein Küchenstil als Sternekoch von dem unterscheidet, was er aktuell als unbesternter Koch serviert. Es gibt diesen Unterschied nicht.

Das Jacob soll sich stetig weiter entwickeln. Denn unsere Gäste tun das auch. Ich bin davon überzeugt, dass nicht die Sterne wichtig sind, sehr wohl aber die Top-Qualität auf dem Teller. Dafür stehe ich auch mit meinen Ambitionen und meinem Namen.

Bitte ergänzen Sie...

Die schönste Ecke in Hamburg für mich… die Lindenterrasse mit Blick auf die Elbe.

Ich mag die Elbchaussee, weil… es für mich die schönste, imposanteste Straße Hamburgs ist.

Mich empört... wenn jemand respektlos ist gegenüber anderen Menschen.

Ich freue mich besonders... wenn mir ein Gericht perfekt gelingt.

Wenn ich abschalten will... bleibe ich auf dem Sofa.

Zur Person

Thomas Martin wurde am 16. Oktober 1966 in Mannheim geboren. 1983 absolvierte er seine Kochausbildung im Anglo-German Club in Hamburg. Im Anschluss legte er die Prüfung zum staatlich geprüften Gastronom, Küchenmeister sowie Ausbilder an der Hotelfachschule Heidelberg ab. Sein Wissen vertiefte er bei den Kochgrößen Peter Wehlauer, Lothar Eiermann, Eckhart Witzigmann sowie Dieter L. Kaufmann.

1997 zog es ihn zurück nach Hamburg, wo er als Küchenchef die Gerichte im „Jacobs Restaurant“ sowie in der Weinwirtschaft „Kleines Jacob“, welche zum Hotel Louis C. Jacob gehören, prägt. Außerdem ist er zuständig für die „Carls Brasserie und Bistro“ an der Elbphilharmonie in der Hamburger Hafencity. Seit 2016 ist er regelmäßig als Juror bei der „Küchenschlacht“ im ZDF zu sehen. Auf Instagram präsentiert er sich unter „Thomasmartin.official“.

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