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Jacqueline Jugl

Stades Gleichstellungsbeauftragte sieht Fachkräftemangel als Chance

Stades Gleichstellungsbeauftragte Jacqueline Jugl ist seit einem halben Jahr im Amt. Foto: Helfferich

Stades Gleichstellungsbeauftragte Jacqueline Jugl ist seit einem halben Jahr im Amt. Foto: Helfferich

Jacqueline Jugl ist seit einem halben Jahr Stades neue Gleichstellungsbeauftragte. Warum sie den Fachkräftemangel als Chance für Frauen sieht und was gendergerechte Verkehrsplanung ist.

Von Susanne Helfferich Dienstag, 18.10.2022, 08:00 Uhr

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Auf ihren neuen Arbeitgeber angesprochen, stimmt Jacqueline Jugl zu, dass auch das Stader Rathaus sehr männlich besetzt ist. Gerade in der Leitung. Und auch bei den Themen in der politischen Arbeit seien Frauen noch oft auf Soziales festgelegt, sagt die neue Stader Gleichstellungsbeauftragte.

„Ich brenne für die Gleichstellung“, sagt Jacqueline Jugl. Seit Anfang April ist sie dafür die Beauftragte der Hansestadt Stade. Ihre Beobachtung: „Die Frauen hier wirken auf mich sehr stark und selbstbewusst.“ Zu tun gibt es dennoch genug.

So kam die 45-Jährige nach Stade und hatte noch keinen Kindergartenplatz für ihre fünfjährige Tochter. Sie hatte keine Ahnung, dass auch in Stade 300 Kita-Plätze fehlen. Eine Farce, denn: „Einen Kindergartenplatz gibt es nur, wenn eine Stelle nachgewiesen wird. Häufig bekommt man den Job aber nur, wenn die Kinderbetreuung gesichert ist.“ Sie hatte Glück.

Leitungspositionen meist männlich besetzt

Aber individuelles Glück reicht nicht für die Gleichstellung von Mann und Frau. Für Frauen sei es noch immer schwierig, bestimmte Positionen zu besetzen. Gerade im wissenschaftlichen Bereich, sagt Jacqueline Jugl. Zu beobachten sei, dass Männer vakante Stellen eher mit Männern besetzen. „Dadurch sind Frauen weniger in Führungspositionen sichtbar.“

Frauen seien meist besser ausgebildet, sagt sie, aber es spiegele sich nicht in der Arbeitswelt in entsprechenden Positionen wider. Für ihre Unabhängigkeit und ihr Recht auf Arbeit müssten Frauen wesentlich höhere Hürden überwinden als Männer. „Die Sorgearbeit liegt in den allermeisten Familien noch immer bei den Frauen.“ Siehe Kinderbetreuung.

Fachkräftemangel als Chance für qualifizierte Frauen

Da sieht die Stader Gleichstellungsbeauftragte eine neue Chance: Durch den Fachkräftemangel könnten Arbeitgeber in Zugzwang geraten und müssten überlegen, wie sie sich attraktiver aufstellen. Vielleicht nicht den Dienstwagen stellen, sondern einen Kinderbetreuungsplatz. „Mit dem Recht auf einen Kindergartenplatz sind die Betriebskindergärten weggebrochen. Arbeitgeber könnten sich ein Betreuungskontingent für die Kinder ihrer Beschäftigten sichern und sich dafür an den Baukosten der Kita-Plätze beteiligen“, schlägt sie als Weg vor.

Jacqueline Jugls Weg war nicht geradlinig. Die gebürtige Berlinerin machte nach der Mittleren Reife zunächst eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten. Doch sie wollte mehr: Sie holte auf dem zweiten Bildungsweg mit Mitte 20 ihr Abitur nach und studierte in Bonn Geografie, mit Schwerpunkt Humangeografie. Dieser Teilbereich beschäftigt sich mit menschlichen Gesellschaften und ihren Beziehungen zur Umwelt.

Auch im öffentlichen Raum müsse mehr Geschlechtergerechtigkeit gelten, sagt Jugl. „Gender Planning“ ist das Schlagwort. Dabei geht es nicht nur um Frauenbelange, sondern um rollenspezifische Problembetrachtung. Allerdings betreffe fehlgeleitete Planung häufiger Frauen: etwa Angst-Räume durch Straßenunterführungen, zu schmale Radwege, die mit Lastenrädern oder Anhängern nicht zu befahren sind.

Lebenssituation von Frauen bei Stadtplanung einbeziehen

Im Oktober bietet Jacqueline Jugl eine Veranstaltung zu gendergerechter Verkehrsplanung an. „Wichtig ist, dass die Lebensverhältnisse von Frauen einbezogen werden und dass Bürgerinnen und Bürger schon bei der Zieldefinition beteiligt werden; statt erst im anschließenden Beteiligungsverfahren.“

Mit großer Lust hat sie im April ihre Arbeit in Stade aufgenommen. Kaum im Amt war die erste Veranstaltung mit dem Frauen-Netzwerk die Lesung von Sandra Konrad „Das beherrschte Geschlecht“ im Rahmen der „Rotlicht aus!?“-Kampagne. „Es war eine tolle Beteiligung von jungen und älteren Frauen und Männern“, erinnert sie sich. „Da bekam ich einen ersten positiven Eindruck vom Taste of Stade.“

Es werde in Stade ganz anders diskutiert als in der Uni-Stadt Bonn: „Dort laufen die Diskussionen postfeministisch-wissenschaftlicher oder in der Tradition altfeministischer Themen. Eine derart starke intensive gemeinschaftliche Diskussion zu einem schwierigen Thema habe ich dort so nicht erlebt.Und das ist eine Qualität in Stade: Von Gleichstellung profitiert die gesamte Gesellschaft.“

Nach dem ersten halben Jahr schaut sie optimistisch in die Zukunft: „Ich habe jetzt die Möglichkeit, Realität mitzugestalten“, sagt die 45-Jährige. „Ich muss da noch reinwachsen und sehen, wie es funktioniert. Aber ich habe sehr große Unterstützung in der Verwaltung und im Frauennetzwerk, das hier schon seit 30 Jahren existiert. Es gibt hier eine starke Frauenlobby.“

Veranstaltung

Für Mittwoch, 19. Oktober, lädt die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Stade, Jacqueline Jugl, zu einem Vortrag über „Gleichstellung und Verkehr“ ein. Referentin ist die Bauingenieurin Juliane Krause aus Braunschweig. Die Veranstaltung im Königsmarcksaal beginnt um 19 Uhr. Eintritt frei, Anmeldung unter 04141/ 401107 oder per Mail an gleichstellung@stadt-stade.de.

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