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EM 2024

Suchttreiber Sportwettenwerbung? Debatte über Profit und Prävention

Ein Mann steht vor einem Bildschirm mit einer Seite eines Anbieters für Sport-Wetten (bet-at-home). Politiker fordern mit Blick auf die EM 2024, Werbung für Sportwetten zu verbieten. Foto: Carsten Rehder/dpa

Ein Mann steht vor einem Bildschirm mit einer Seite eines Anbieters für Sport-Wetten (bet-at-home). Politiker fordern mit Blick auf die EM 2024, Werbung für Sportwetten zu verbieten. Foto: Carsten Rehder/dpa

Der Suchtbeauftragte der Bundesregierung will Werbung für Sportwetten drastisch einschränken und bei der EM 2024 gar keine sehen. Für die Wettanbieter steckt in dieser Diskussion vor allem Polemik.

Dienstag, 16.05.2023, 18:00 Uhr

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Von Tom Bachmann, dpa

Oliver Kahns einstiger Nebenjob für die "Wette in sicheren Händen" ist vielen noch präsent, Lothar Matthäus fränkelt gefühlt in Dauerschleife von "dem sicheren Tipp für euch" auf den Bildschirmen. Werbung für Sportwetten ist omnipräsent und ebenso legal wie reguliert. Selbst die Sportschau hat einen Werbepartner aus der Branche. Burkhard Blienert macht das Sorgen. Der Suchtbeauftragte der Bundesregierung stellt deshalb eine pikante Forderung: Zur Heim-EM im kommenden Jahr soll es einen Werbeverzicht für Sportwettenanbieter geben.

EM ohne Werbung für Sportwetten

"Die EM 2024 ist ein Großereignis, was zumindest mal in ganz Europa mit Begeisterung verfolgt wird. Diese Veranstaltung soll ein Fußballfest sein und nicht durch Werbung für ein riskantes Verhalten begleitet werden", sagte Blienert der dpa. "Wir können als Bundesrepublik Deutschland ein starkes Zeichen setzen, dass wir die Risiken durch Sportwetten ernst nehmen und werbefrei in die Spiele gehen."

Nicht nur Blienert, sondern auch sein SPD-Parteikollege Ulrich Mäurer fordert ein Verbot für Sportwetten. Für den Bremer Innensenator ist das eine Art Dauerthema, bereits 2021 wagte er einen Vorstoß. Das Thema Werbeverbot scheint also Fahrt aufzunehmen. Doch was steckt dahinter? Gibt es Studien, die einen Zusammenhang zwischen Werbung und Wettsucht nachweisen? Was wird gegen Wettsucht überhaupt getan? Und wäre so ein Verbot zur EM überhaupt umsetzbar?

Verband glaubt nicht an Werbe-Verbot

In der Wettbranche ist man gelassen. "Ich kann ausschließen, dass es zur EM ein Werbeverbot für Sportwetten geben wird. Dazu müsste der Glücksspielstaatsvertrag geändert werden. Das ist in der Kürze der Zeit meines Erachtens unmöglich und ist unter den 16 Bundesländern auch nicht mehrheitsfähig", sagte Matthias Dahms der dpa. Dahms ist Präsident des Deutschen Sportwettenverbandes (DSWV) und findet, in den Äußerungen aus der Politik sei "viel Polemik dabei".

Ihm fehlen klare Belege. "Es wird emotional diskutiert, mir fehlt da allerdings die Evidenz. Es gibt keine Studie, die stichhaltig belegt, dass Werbung für Sportwetten die Suchtgefahr erhöht", sagte Dahms. Einen freiwilligen Verzicht auf Werbung während der EM wird es ziemlich sicher nicht geben. "Ein Online-Anbieter, der nicht werben darf, ist tot. Werbung ist ein zentrales Kommunikationsinstrument", argumentiert Dahms.

Richtig ist, dass durch die Legalisierung von Sportwetten und der dazugehörigen Werbung der Umsatz im Jahr 2021 auf 9,4 Milliarden Euro gestiegen ist. Daran hängt sich auch Blienert auf und nennt die Zahlen "sehr bedenklich". "Die Umsätze der Sportwettenanbieter steigen von Jahr zu Jahr rapide", sagte Blienert. Aus den vom DSWV veröffentlichten Zahlen geht allerdings hervor, dass die Umsätze im Jahr 2022 auf 8,2 Milliarden Euro gesunken sind.

Keine Zahlen zu Abhängigkeit von Sportwetten

Ein undurchsichtiges Thema ist die Anzahl der Sportwettsüchtigen in Deutschland. Offizielle Zahlen gibt es nicht, Schätzungen bewegen sich mal im fünf- und mal im sechsstelligen Bereich. Die Deutsche Suchthilfe spricht in ihrem Jahresbericht 2022 davon, dass etwa ein Drittel der Sportwetter Anzeichen einer Glücksspielstörung zeigen. Eine Studie der Universität Bremen sprach 2021 davon, dass zwei Prozent aller Erwachsenen bis 70 Jahre unter Glücksspielsucht leiden. Glücksspiel umfasst allerdings weit mehr als Sportwetten.

Durch den Glücksspielstaatsvertrag von 2021 kann ein Wettanbieter in Deutschland eine Lizenz beantragen und legal aktiv werden. Dies schließt ein, dass man sich dem Oasis-System anschließt. In dieser Sperrdatei stehen momentan etwa 180 000 Namen von Spielerinnen und Spielern, die vom Glücksspiel in Deutschland ausgeschlossen sind. "Wenn diese komplett funktioniert, kann kein Spielsüchtiger in Deutschland mehr Glücksspiele ausüben", sagt Dahms. "Der Sportwetter in Deutschland ist sozusagen ein gläserner Kunde, es müssen ähnliche Bedingungen erfüllt werden wie bei der Eröffnung eines Bankkontos."

Vereine lassen sich von Wettanbietern sponsern

Das Problem: Es gibt immer wieder Berichte, wonach Spielsüchtige aktiv werden konnten, obwohl sie in der Datei stehen - und das teilweise seit Jahren. Also soll zusätzlich bei der Werbung angesetzt werden. "Werbung raus aus der Primetime, eine Ausstrahlung allenfalls nach 23 Uhr", fordert deshalb Blienert. Werbung für Sportwetten ist derzeit rund um die Uhr gestattet. Für andere Glücksspiele, zum Beispiel für Online-Casinos, darf nur zwischen 21 Uhr und 6 Uhr geworben werden.

Werbung für Sportwetten ist sehr lukrativ. 17 von 18 Fußball-Bundesligisten haben einen privaten Wettanbieter als Sponsor. Die Ausnahme ist der SC Freiburg - dieser setzt mit Lotto Baden-Württemberg auf einen staatlichen Wettanbieter.

Auch der DFB und die DFL lassen sich dieses Geschäft nicht entgehen. Für die EM 2024 gibt es (noch) keinen Wettanbieter als Werbepartner. Die UEFA hätte allerdings nichts dagegen und verweist am Beispiel der Europa League und der Conference League darauf, dass eine "Zusammenarbeit aus Sicht der Sportintegrität vorteilhaft ist".

Dass es auch daran hapert, ein Bewusstsein für die Gefahr von Sportwetten zu schaffen, zeigt ein verharmlosender Vergleich von Oliver Kahn. Als Vorstandschef von Bayern München musste er seinen Nebenjob bei einem Wettanbieter aufgeben, so will es die Vorschrift. Im OMR Podcast sagte Kahn, das Thema Glücksspiel müsse man kritisch betrachten, das habe sein Werbepartner auch getan. Eine Diskussion über Partner sei immer schwierig: "Wo soll man anfangen und wo soll man aufhören? Darf ich Werbung für Süßigkeiten machen?"

Unterstützungsangebote der BZgA zur Prävention von Glücksspielsucht

Von Glücksspielsucht Betroffene werden von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1 37 27 00 persönlich und anonym beraten und an Hilfsangebote vor Ort vermittelt. Auch Angehörigen bietet die Telefonberatung der BZgA hilfreiche Unterstützung.

Einen Selbsttest zum Thema Glücksspiel der BZgA finden Angehörige und Betroffene unter www.spielen-mit-verantwortung.de. (set)

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