Terrorverdächtige sagt in Hamburg vor Gericht aus

Die angeklagte IS-Rückkehrerin aus Bremen steht zwischen ihren Verteidigern im Saal des Oberlandesgerichts. Foto: dpa
Sie soll IS-Mitglied gewesen sein und eine Jesidin misshandelt haben - wegen dieser Vorwürfe steht eine Bremerin in Hamburg vor Gericht. Stundenlang schildert die Frau, teils unter Tränen, ihre Version der Geschehnisse.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Von Stephanie Lettgen, dpa
Eine mutmaßliche IS-Rückkehrerin aus Bremen hat am Freitag vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg mehr als vier Stunden lang eine Aussage gemacht. Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft räumte sie dabei nicht ein. Als Motivation für ihr Handeln nannte sie mehrmals Liebe - zu ihrem Bruder und ihrem späteren ersten Ehemann, der laut Anklage IS-Kämpfer war. Die Ideologie des Islamischen Staates habe für ihre Entscheidung, 2014 von Bremen über die Türkei nach Syrien zu gehen, keine Rolle gespielt, betonte die 34-Jährige. Sie habe vorher nichts über Syrien gewusst - nicht einmal, dass dort Krieg herrschte.
Die Bundesanwaltschaft wirft der Frau Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Beihilfe zum Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Die Mutter zweier Kinder soll Mitglied in der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) gewesen und nacheinander mit drei IS-Kämpfern verheiratet gewesen sein. Gemeinsam mit ihrem letzten Mann soll die Angeklagte eine jesidische Frau wie eine Sklavin ausgebeutet und misshandelt haben.
Sie wollte zunächst nur ihren Bruder treffen
Zunächst schilderte die aus Afghanistan stammende Deutsche ihre Zeit in Bremen. Ihre Familie habe ein westliches Leben geführt, aber dann habe ihr Bruder eine Frau kennengelernt und sei in der Folge streng gläubig geworden. Er habe seine Schwester kontrolliert, ihr vorgeschrieben, sich zu verschleiern und zu heiraten. Sie habe das damals abgelehnt.
Als ihr Bruder jedoch weggezogen sei, sei sie seiner Bitte nachgekommen, ihn gemeinsam mit dessen Familie zu besuchen. Er habe dabei Andeutungen gemacht, dass es nicht nur in die Türkei, sondern auch nach Syrien gehe. Sie habe zunächst nur eine Woche bleiben wollen. "Ich wollte meinen Bruder treffen, das war mein erster Wunsch."
"Kinder hat er nicht umgebracht, niemals"
Doch kaum angekommen, habe ihr Bruder ihr einen Mann vorgestellt, den sie auf sein Drängen nach islamischem Ritus geheiratet habe. Etwa zwei Wochen nach der Hochzeit wurde der Bruder getötet, wie die Angeklagte unter Tränen erzählte. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr vor, das Paar habe sich regelmäßig öffentliche "Bestrafungsaktionen" des IS angesehen. Das verneinte die 34-Jährige. "Ich bin froh, dass ich so etwas nicht gesehen habe."
Von Bomben habe sie in ihrer ersten Zeit dort nicht viel mitbekommen. Von mutmaßlich schrecklichen Taten ihres Ehemannes will sie nichts gewusst haben: Sie könne sich schon vorstellen, dass er an Kämpfen teilgenommen habe, sagte sie auf Nachfrage des Gerichts. "Aber Kinder hat er nicht umgebracht, niemals."
Kurz nach Bremen zurückgekehrt
Zwischenzeitlich war die damals Schwangere den Angaben zufolge wieder für zwei Wochen in Bremen - und reiste doch wieder zurück zu ihrem Mann. Der Vorsitzende Richter hakte nach, warum sie diese Chance herauszukommen nicht genutzt habe. "Das war mein größter Fehler, das sehe ich heute ein", sagte die Angeklagte. Sie habe ihren Ehemann geliebt. Der aber habe ihr gedroht, eine andere zu heiraten, wenn sie nicht zurückkehre.
Nach dem Tod des Ehemannes wurde die Angeklagte laut Bundesanwaltschaft Zweitfrau eines anderen Mannes. Ein gemeinsame Kind sei bei der Geburt gestorben, berichtete die Frau schluchzend. Dann habe sie einen dritten Mann geheiratet, um nicht ins Frauenhaus zu müssen.
Jesidin an der Flucht gehindert
Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt: In Majadin am Euphrat habe das Paar eine Jesidin wie eine Sklavin gehalten. Die Frau ist Nebenklägerin in dem Prozess. Laut Anklage hinderte die Bremerin die Jesidin an der Flucht und trug so dazu bei, dass der Ehemann die Frau immer wieder vergewaltigen konnte. Nach Aussage der Angeklagten kannte sie ihren Mann kaum, als sie ihn heiratete. Er habe ihr verschwiegen, dass er mit einer Jesidin "zusammenlebte", weil er wusste, dass sie keine zweite Frau im Haus haben wollte. Ihr Mann und die Jesidin hätten sich sehr gut verstanden, seien sehr vertraut miteinander gewesen, schilderte die Angeklagte ihre Version.
Ende 2017 wurde die Angeklagte den Angaben zufolge von kurdischen Kräften festgenommen. In einem Gefangenenlager in Nordsyrien habe sie im Juli 2018 ein weiteres Kind zur Welt gebracht. Ausführlich berichtete die Angeklagte, wie schwer die vier Jahre dort gewesen seien, bevor sie wieder nach Deutschland konnte. Seither sitzt sie in Untersuchungshaft.
Das Gericht will die Befragung der Angeklagten am 30. Mai fortsetzen.