Trotz roter Zahlen: Otto-Group zahlt Beschäftigten freiwillig mehr Geld

Die Zentrale des Versandhändlers Otto in Hamburg.
Der Hamburger Handelskonzern will nicht mehr warten. Weil die Tarifverhandlungen kaum vorankommen, erhöht er nun freiwillig die Gehälter um 5,3 Prozent. Der Versandhändler folgt damit einer Empfehlung des Verbands, obwohl er in die roten Zahlen gerutscht war.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Angesichts der stockenden Tarifverhandlungen im Einzelhandel folgt der Otto-Konzern den Empfehlungen des Handelsverband Deutschland (HDE) und erhöht das Entgelt für seine Beschäftigten freiwillig um 5,3 Prozent. Die Vorausleistung beginne am 1. Oktober und gelte sowohl für Tarifbeschäftigte als auch die Auszubildenden, teilte das Unternehmen am Mittwoch in Hamburg mit. Unter den Einzelhandels-Tarifvertrag fallen nach Unternehmensangaben etwa 14.000 der weltweit rund 41.000 Beschäftigten.
„Die Tarifverhandlungen im Einzelhandel gestalten sich außerordentlich schwierig, und ein Abschluss ist derzeit nicht in Sicht”, sagte die für Personal und Finanzen zuständige Otto-Group-Vorständin Petra Scharner-Wolff. Die Beschäftigten warteten aber angesichts hoher Lebenshaltungskosten und der Inflation bereits seit Monaten auf eine Einigung der Tarifparteien. „Hier wollen wir mit unserer freiwilligen Vorab-Entgelterhöhung zumindest eine erste Abhilfe schaffen.”
Das fordert Verdi für die Arbeitnehmer im Einzelhandel
Die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im Einzelhandel werden in den 16 Bundesländern regional geführt. Die Gewerkschaft Verdi fordert in allen Regionen mindestens 2,50 Euro mehr pro Stunde und eine Laufzeit von 12 Monaten. Je nach Bundesland kommen weitere Forderungen hinzu. Seit Wochen ruft Verdi deshalb immer wieder zu teilweise mehrtägigen Warnstreiks in den Regionen auf.
Aus Sicht der Otto Group - zu ihr gehören Unternehmen wie Otto, Bonprix, die Witt-Gruppe und die Baur Gruppe - sind die Verdi-Forderungen nicht durchsetzbar. „Die geforderte Erhöhung ist (...) so gravierend, dass eine Umsetzung die Arbeitgeber in dieser angespannten Situation in ernste wirtschaftliche Schieflage bringen könnte”, sagte Scharner-Wolff. Vor Otto hatte unter anderem die Rewe-Gruppe angekündigt, die Gehälter freiwillig anzuheben. (dpa)
Versandhändler rutscht in die roten Zahlen
Die hohe Inflation und die Konsumflaute nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben die Otto Group in die roten Zahlen gedrückt. Bis sich die Lage bessert, dürfte noch einige Zeit ins Land gehen. „Die Rückkehr zur alten Gewinnstärke wird zwei Jahre dauern”, sagte Konzernchef Alexander Birken im Mai in Hamburg bei der Vorlage der Geschäftszahlen für das Geschäftsjahr 2022/23. Um im rapiden Wandel des Onlinehandels weiter vorn dabei zu sein, investiert Otto gleichwohl unverdrossen weiter. Allein 2023/24 sind Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe geplant, beispielsweise in den Lieferservice und den Ausbau der konzerneigenen Logistik.
2022/23 (bis Ende Februar) stand bei dem Hamburger Dienstleistungs- und Handelskonzern unter dem Strich ein Verlust von 413 Millionen Euro. In dem vom Onlineboom während der Coronapandemie begünstigten Vorjahr stand noch ein Gewinn von mehr als 1,8 Milliarden Euro in den Büchern, nach rund 842 Millionen Euro im ersten Coronajahr.
Der Umsatz lag 2022/23 mit 16,2 Milliarden Euro auf dem Niveau des Vorjahres (16,1 Mrd Euro). Als Stütze erwies sich die schon unter Birkens Vor-Vorgänger Michael Otto eingeleitete Internationalisierung der Gruppe. Während der Umsatz im Inland um 9,2 Prozent auf 9,0 Milliarden Euro einbrach, kletterte das Geschäftsvolumen im Ausland um 9,6 Prozent auf 7,2 Milliarden Euro.
Zurückhaltend bei Aussichten
„Die Zahlen zeigen, dass auch wir uns dem Markttrend nicht entziehen konnten. Die sehr bewegten und bewegenden Zeiten vor dem Hintergrund des grauenvollen Krieges in der Ukraine, der Energiekrise, der Inflation und der damit einhergehenden Konsumflaute schlagen sich auch in unseren Geschäften nieder”, sagte Konzernchef Alexander Birken, der sich mit den Ergebnissen „nicht zufrieden” zeigte. Den Einbruch im Inland erklärte er zumindest teilweise mit einer Rückkehr zum Konsumverhalten vor der Pandemie. Es werde wieder mehr Geld für Reisen und Kultur ausgegeben, und mit dem Ende der Coronamaßnahmen werde auch wieder mehr im stationären Einzelhandel eingekauft.
Nur zurückhaltend äußert sich der Otto-Konzernvorstand zu den Aussichten für 2023/24. „Es wird wieder eine Normalisierung geben, allein ich kann nicht sagen wann”, sagte Birken. Erwartet wird ein stabiles Umsatzniveau und ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) im niedrigen dreistelligen Millionenbereich. 2022/23 betrug das Ebit lediglich 22 Millionen Euro. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass das laufende Jahr unter dem Strich erneut mit roten Zahlen endet.
Birken hatte schon vor einem Jahr angedeutet, dass beispielsweise Preiserhöhungen nicht voll weitergegeben könnten, was auf die Gewinne drücke. Am Ende hat die Kundschaft auch für weniger Geld eingekauft als erwartet. „Negativen Einfluss hatten zudem das hohe Volumen der auf Basis gänzlich anderer Wirtschaftsprognosen für 2022/23 getätigten Warenvorbestellungen und der dadurch in der Konsequenz notwendige Abverkauf über Rabatte”. Für das laufende Jahr habe man „viel defensiver eingekauft”. (dpa)