Vom Wald nach Buxtehude und Stade: Warum die Amsel besonders „cool“ ist

Ein singendes Amselmännchen. Foto: Reinhard Paulin
Autos und Fensterscheiben führen zu Knochenbrüchen, Katzen zum schnellen Tod. Dennoch ist die Amsel gut an das Leben in der Stadt angepasst. Das hat vor allem mit den Menschen zu tun.
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Landkreis. Friedrich Naumann schreibt 1822 über die „ängstliche“ Amsel, dass man sie nur „im düsteren Gebüsch sieht“. In Brehms „Thierleben“ von 1866 ist zu lesen: „Sie bevorzugt feuchte Waldungen und Baumgehege.“ Die Brehm-Ausgabe von 1923 stellt es anders dar: „Diese Vögel waren noch vor Jahrzehnten als überaus scheue Waldvögel bekannt. (…) Nun bedeuten sie eine Bereicherung des großstädtischen Tierlebens.“ Die Waldamsel wurde auch zum Stadtvogel, fühlte sich hier wohl, denn der Dschungel der Stadt bot genügend Nahrung und Nistmöglichkeiten.
Rasenflächen sind prächtige Jagdkulissen
Amseln im beschaulichen Wald gibt es immer noch. Doch die Amseln, denen das Stadtleben lieber ist, führen zwischen Parks und Gärten auch ein gutes Leben. Besonders am Stadtrand finden Amseln als Regenwurm-Jäger auf den Rasenflächen prächtige Jagdkulissen. Aber Autos oder PS-starke Rasenmäher produzieren Hektik und eine dröhnende Lärmkulisse. Ständig müssen die Amseln vor Katzen auf der Hut sein. Elstern oder Stadtkrähen holen sich gern ein Amselgelege. Helles Straßenlicht macht aus der Nacht fast den Tag. Der Steinmarder kann eine schlafende Amsel leicht erbeuten. Stadtamseln müssen einerseits dem Stress gewachsen sein, andererseits ist die Bindung zur vom Menschen bestimmten Umwelt ein Vorteil.
Diesem bunten Citymosaik sind Stadtamseln gewachsen: Der Lärm und das viele Licht haben zur Folge, dass sie früh aufstehen und spät schlafen gehen. Der Tag ist für sie mitunter drei Stunden länger. Die Stadt-Männchen singen mit größerer Laustärke und in höheren Tönen, ihr Keckern und Zwitschern ist ausgedehnter. Nur so können sie in geräuschvoller Umgebung die Weibchen auf sich aufmerksam machen und ihr Revier besser abgrenzen.
Der Stadt-Hektik widerstehen Amseln gut
Das etwas mildere Stadtklima und das viele Licht führen dazu, dass Amselpaare in der Stadt früh im Jahr mit dem Brüten beginnen. So können Stadtamseln mehr Bruten zustande bringen als Waldamseln. Der Stadt-Hektik widerstehen Stadtamseln gut. Untersuchungen ergaben, dass junge Amseln mehr Stresshormone produzieren. Doch bald lernen sie, gut damit umzugehen, denn ältere Stadtamseln sind nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen. Coolsein ist eher angesagt.
Nähert sich zum Beispiel eine Katze, ist zwar Aufmerksamkeit das Gebot. In Ruhe abwarten und in Deckung gehen, kann auch sinnvoll sein. Lernen können Stadtamseln gut. Wird zum Beispiel im Garten gearbeitet, der Komposthaufen umgesetzt, Beete aufgewühlt oder der Rasen gemäht, dann sind Amseln sofort zur Stelle. Denn sie wissen: Hier könnten Regenwürmer gut zu erbeuten sein. Sind Gärten und Parks abwechslungsreich, dann bieten sie zum Beispiel süße Kirschen oder Holunderbeeren. Kein Wunder, dass die Schnäbel der Stadtamseln kräftiger sind. Denn sie sind für die vielfältigere Stadtnahrung besser zum Wühlen, Hacken, Knacken oder Bohren geeignet.
Natürlich gibt es die Schattenseiten im Stadtleben: Der größeren Anzahl junger Amseln pro Jahr stehen mehr getötete Amseln gegenüber. Kollisionen mit Autos und Fensterscheiben führen zu Knochenbrüchen. Auch die 15 Millionen Katzen in Deutschland tragen zu hohen Verlusten bei. Doch im Ganzen scheint es Amseln in Buxtehude oder Stade vergleichsweise gut zu gehen.
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