Warum in der Ukraine auch ein großer Cyberkrieg wütet

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion : Thomas Rosteck, Karsten Zimmer und TAGEBLATT-Chefredakteur Arno Schupp (von links). Foto: Wisser
In der Ukraine wird sich nicht nur mit Raketen, Panzern und Sanktionen bekämpft. TAGEBLATT-Chefredakteur Arno Schupp spricht vom ersten großen Cyberkrieg. Bei der Diskussion dabei: Ein Hacker der Gruppe Anonymous, der die Ukraine gegen Putin unterstützt.
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Der Krieg in der Ukraine wird auch mit Attacken gegen die digitale Infrastruktur des Gegners und mit gefälschten Informationen geführt. „Wir erleben den ersten richtigen großen Cyberkrieg“, sagte TAGEBLATT-Chefredakteur Arno Schupp bei einer Podiumsdiskussion der Mittelstandsvereinigung der CDU in Buxtehude.
Der Vizepräsident der Ukraine habe die digitalen Talente der Welt aufgerufen, sein Land im Abwehrkampf gegen die russische Invasion zu unterstützen. Im sogenannten „Cyberwar“ gibt es auch selbst ernannte Armeen der Informationstechnologie (IT) wie das Hacker-Kollektiv „Anonymous“.
Karsten Zimmer hackt russischen Sender
Dass auf dem Podium mit Karsten Zimmer jemand dabei war, der in diesem Informationskrieg selbst mitgekämpft hat, war die große Überraschung der Runde. Der IT-Experte und versierte Hacker hatte sich nach eigener Darstellung für zwei Wochen dem Hacker-Kollektiv „Anonymous“ angeschlossen, um in Putins Krieg die Ukraine zu unterstützen. „Ich habe einen russischen Sender gehackt und im laufenden Programm Bilder aus Kiew gezeigt“, sagte Karsten Zimmer.
Beruflich verbessert Karsten Zimmer die Sicherheit von Firmen und Verwaltungen, indem er sie von außen in deren Auftrag attackiert. Das nennt sich in der Sprache der Internetexperten „Ethical Hacking“. Dass sich ein Mitglied von „Anonymous“ öffentlich dazu bekennt, ist eine äußerst seltene Situation. Entsprechend überrascht reagierten die 35 Gäste der Diskussion im Studio 21 in Buxtehude.
Sondersendungen, Nachrichten rund um die Uhr in den Medien, Sonderseiten in Tageszeitungen und Magazinen, der Krieg in der Ukraine beherrscht die Nachrichtenlage in Deutschland. Was kann der Medienkonsument noch glauben? „Nichts“, beantwortete der dritte Diskutant Thomas Rosteck, pensionierter ARD-Journalist, diese Frage vom stellvertretenden Vorsitzenden der MIT Stade und Moderator Thore Evers.
Thomas Rosteck hat auch aufgrund seiner Erfahrung Zweifel, wie glaubwürdig Nachrichten, die aus ungeprüften Video-Sequenzen bestehen, sein können. „Als ich angefangen habe, musste eine Nachricht von zwei voneinander unabhängigen Quellen bestätigt werden“, so Thomas Rosteck. Heute müssten sich seine ehemaligen Kollegen fragen lassen, wieso sie Informationen nicht sofort „rausgehauen“ haben. Karsten Zimmer bestätigte, dass selbst renommierte Nachrichten-Sendungen auf falsche Bilder hereinfallen, auch wenn Experten dies oft schnell erkennen könnten: „Das geht schon damit los, dass man schaut, wie das Wetter zum Zeitpunkt der Aufnahme gewesen sein soll.“
Künstliche Intelligenz kann beim aufspüren von Fake News helfen
TAGEBLATT-Chefredakteur Arno Schupp konnte den Zuhörern hier allerdings einige Ängste nehmen und auch an einem aktuellen Beispiel aus dem Ukraine-Krieg verdeutlichen. Aufgrund der hohen Rechenleistung von künstlicher Intelligenz (KI) sei es einfach, „Fake News“ – also vorgetäuschte Nachrichten – zu produzieren. Schon jemand, der mit seinem eigenen Handy umgehen könne, sei in der Lage, andere Köpfe zu montieren oder Sprache und Hintergründe zu verändern. „Ein Weg daraus ist aber auch die KI“, so Schupp.
So habe als Erstes bei Facebook eine KI bemerkt, dass ein gefälschtes Video des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Umlauf ist. Bei diesem Video, in dem der Präsident die eigenen Truppen zur Kapitulation aufforderte, hätte aber schon Folgendes geholfen, richtig und falsch zu unterscheiden: „Ist das plausibel?“, sei die Frage, die man sich stellen müsse. Dass der ukrainische Präsident in der jetzigen Lage seiner Armee befiehlt, aufzugeben, ist nicht plausibel. Schupp: „Haben Sie Vertrauen in die eigene Urteilskraft.“ Der deutsche Journalismus habe kein Glaubwürdigkeitsproblem, so Schupp, und das gelte besonders für den Lokaljournalismus. „Wenn wir Fake News machen würden, würde das sofort auffallen.“ Jeder mache in seiner Arbeit auch Fehler. „Wenn uns das passiert, rufen Sie uns an.“
In einem Krieg lügen beide Seiten
Lügen ist dabei nicht das Privileg der tatsächlich oder vermeintlich Bösen in kriegerischen Auseinandersetzungen. „Der Vietnam-Krieg, der Irak-Krieg und der Kosovo-Krieg wurden auf der Grundlage von gefälschten Informationen begonnen“, sagte der frühere Rundfunk- und Fernsehjournalist Thomas Rosteck. Das Beispiel Vietnam: Dort sollten vietnamesische Schnellboote US-amerikanische Kriegsschiffe angegriffen haben. Die US-Regierung nutzte das, um in den Krieg einzugreifen. Diesen Angriff hat es aber niemals gegeben.
Trotzdem bleibt Thomas Rosteck zumindest in der Rückschau auf solche Ereignisse Optimist: „Ich habe die Hoffnung, dass am Ende alles rauskommt. Und dass das Gute am Ende siegt.“

ARCHIV - 29.04.2020, Bayern, Ebing: ILLUSTRATION - Ein Mann sitzt am Rechner und tippt auf einer Tastatur. Der Angriff Russlands auf die Ukraine wurde von Cyberattacken begleitet. Dass dabei bislang nicht größere Schäden entstanden sind, sc