„Wasserknappheit gibt es bei uns nicht, es ist immer genug da“

Vor einem Druckwindkessel und Reinwasserpumpen: Geschäftsführer Fred Carl in der Pumpenhalle im Wasserwerk in Dollern. Foto Lohmann
Es regnet wieder – zur Freude der Landwirte und Kleingärtner. Denn weil wochenlang kein Regen fiel, wurden bereits Gärten und Äcker berieselt. Wassermangel gebe es nicht, sagt Fred Carl vom Trinkwasserverband (TWV) Stader Land im Interview.
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TAGEBLATT: Wenn schon nicht genug als Regen von oben kommt, so soll Wasser wenigstens zuverlässig aus der Leitung sprudeln. Sorgen bereitet Bürgern deshalb ein drohendes Nutzungsverbot bei Extremwetterlagen. Herr Carl, ist Trockenheit für den Trinkwasserverband ein Problem?
Fred Carl: Für uns war es in diesem Jahr bisher noch kein Problem, wir hatten keine Versorgungsausfälle. In höheren Gebieten auf der Geest kam es an zwei Tagen zu Druckschwankungen, und es gab einige Kundennachfragen, warum der Druck so niedrig sei. Einen Ausfall wie in anderen Teilen Niedersachsens hatten wir nicht.
Rechnen Sie damit?
Ich rechne nicht damit, aber ich kann auch nicht garantieren, dass es nicht passiert.
Sind Sie vorbereitet auf mögliche Folgen des Klimawandels, auf längere Perioden von Trockenheit, auf Versorgungsengpässe?
Ich bin kein Klimaforscher, ich kann nur sagen, dass wir keine Wasserknappheit haben. Die Quellen versiegen nicht, der Grundwasserstand ist hoch, die Behälter in den Wasserwerken waren immer gut gefüllt. Wenn es ein Problem gibt, dann liegt es daran, dass das Netz zusammenbricht. Doch das ist ein physikalischer Prozess, der mit Wasserknappheit nichts zu tun hat. Wenn wir in den Abendstunden ganz hohe Verbrauchsspitzen haben, das heißt, hohe Mengen in kurzer Zeit abgeben, dann steigen die Fließgeschwindigkeiten in den Leitungen, die Rohrreibungsverluste steigen an, und der Druck wird weniger. Im Extremfall kann der Druck auch ganz zusammenbrechen. Das ist bei uns noch nicht passiert, in anderen Gegenden aber schon.
Wann wird das Wasser knapp?
Wasserknappheit gibt es bei uns nicht. Es ist immer genug Wasser da, es kommt nur durch Rohrreibungsverluste nicht genügend an. Das Problem ist die Verbrauchsspitze, der Druckabfall in Teilen des Leistungssystems. Das passiert immer zwischen 19 und 21 Uhr, wenn alle gleichzeitig den Rasen sprengen, duschen, das Planschbecken befüllen. Wir merken, dass die Spitzen ansteigen, und wir beobachten, dass sich die Aktivitäten in die Abendstunden verlagern. Heute gehen die Eltern arbeiten, die Kinder zur Schule, und alle kommen abends wieder. Das Problem kann man lösen, durch Vergrößern oder Verstärken des Netzes – was wir auch tun. Wir vergrößern und verstärken das Wasserrohrnetz ständig, müssen aber einräumen, dass es physikalische Grenzen hat. Man kann das Netz nicht beliebig erweitern, weil der Austausch im Netz nicht mehr groß genug wäre und wir wegen Keimbildung ein hygienisches Problem bekämen.
Immer mehr Neubaugebiete werden ausgewiesen, dadurch steigt der Wasserbedarf. Wenn Menschen zuziehen, laufen mehr Waschmaschinen, wird mehr Duschwasser gebraucht, werden mehr Gärten gesprengt. Sind Sie auf den Zuzug von so vielen Menschen vorbereitet?
Ja. Wir haben noch genug Kapazitäten. Im letzten Jahr haben wir in unserem Verbandsgebiet 8,3 Millionen Kubikmeter gefördert, vor zehn Jahren waren es 7,3 Millionen Kubikmeter. Wasserrechte haben wir für 9,5 Millionen Kubikmeter. Das Grundwasser aufzubereiten und zu verteilen, ist nur ein technisches Problem.
Wie viele Haushaltsanschlüsse kommen jedes Jahr dazu?
Wir versorgen 47 000 Haushalte, 1990 waren es noch 30 000. Jedes Jahr kommen 500 bis 600 neu dazu. Unser Netz ist inzwischen 1700 Kilometer groß. Den Zuwachs müssen wir technisch lösen, das ist aber kein Problem. Im Gegenteil: Ich bewerte die Bevölkerungsentwicklung im Landkreis Stade als positiv auch für uns.
Inwiefern?
Weil der Zuzug von Menschen dazu führt, dass wir mehr Wasser fördern und verkaufen. Und so werden die nötigen Investitionen, die wir aufgrund der Entwicklung vornehmen müssen, refinanziert. Ich kenne Verbände, in Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel, da schrumpften die Bevölkerungszahlen. Die haben das Problem, dass sie nicht mehr genug Wasseraustausch in den Leitungen haben. Da mussten dann die Anlagen rückgebaut werden. Was auch Geld kostet, aber da es weniger Abnehmer gibt, kriegt der Verband das nur durch starke Preiserhöhungen refinanziert. Auch bei uns wird es immer moderate Preiserhöhungen geben, allein durch die steigenden Lohn- und Energiekosten, allerdings nicht in dem Maße wie bei einem Rückbau der Anlagen aufgrund von Bevölkerungsschwund.
Im Neubaugebiet werden neue Rohre gelegt, in älteren Wohnsiedlungen sind vermutlich auch die Rohre alt. Wie alt sind die ältesten in ihrem Verbandsgebiet?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Die alten Leitungen wurden nicht dokumentiert, wir wissen deshalb nicht, wann sie gelegt worden sind. Das Wasserrohrnetz ist relativ alt, die meisten Leitungen sind in der Nachkriegszeit gelegt worden, in den 50er Jahren, die ältesten vermutlich in den 30er Jahren. Auch der Durchmesser der Rohre ist bei zwei Dritteln der Leitungen eher gering. Der Durchmesser reicht von 50 bis 400 Millimeter. Wenn Straßenbaumaßnahmen durchgeführt werden, wie zum Beispiel in Fredenbeck, wo die Ortsdurchfahrt erneuert werden soll, dann ersetzen wir die alten Rohrleitungen durch neue und dickere.
Das Rohr, das vergangene Woche in Horneburg geleckt hat, war aus den 50er Jahren. Müsste es nicht ausgewechselt werden?
Bei der Leitung besteht dazu keine Notwendigkeit, denn das war ein Spannungsriss. Ich habe mir das Rohr innen angeschaut, das sieht gut aus, da sehe ich zurzeit keinen Sanierungsbedarf. Alte Leitungen werden nicht automatisch herausgerissen. Auch die Größe – es ist ein 400er Rohr – reicht aus.
Ist das Alter der Leitungen generell kein Problem?
Jein. Wenn alte Graugussleitungen mit Zementmörtel ausgekleidet sind, ist ihr Zustand meist gut. Wenn nicht, inkrustieren die Leitungen, das heißt, sie wachsen mit der Zeit innen zu. Doch es ist nicht dokumentiert, wo welche Leitungen eingebaut wurden. Das wissen wir nicht. Erst bei einem Rohrbruch können wir sehen, wie die Leitung innen aussieht. Über die Lebensdauer von Rohrleitungen und Netzen streiten sich die Experten. Manche sagen, sie halten 50 Jahre, manche 100 Jahre – da gibt’s verschiedene Ansichten. Natürlich gehen Rohre mit zunehmendem Alter eher kaputt, es ist aber nicht grundsätzlich so, dass eine alte Leitung schlecht sein muss. Das muss im Einzelfall entschieden werden.
Und wenn gerade keine Straßenbaumaßnahmen anstehen?
Wir haben ein Verfahren entwickelt, mit dem wir die Rohre hydraulisch bewerten, indem wir Durchfluss erzeugen und Druckabfälle messen. Wenn der Druckverlust bei einem bestimmten Durchfluss hoch ist, wissen wir, dass die Gussleitung eine hohe Rauigkeit (Unebenheit der Oberflächenhöhe) aufweist. Diese Leitung werden wir dann gezielt auswechseln.
Tauschen Sie Rohre aus, wenn zum Beispiel neue Haushaltsanschlüsse dazu kommen?
Nicht grundsätzlich. Nur wenn Straßen ohnehin erneuert werden, tauschen wir kleine Rohre gegen größere aus.
Wie viel investieren Sie in den Ausbau des Netzes?
Wir investieren zwischen 5 und 6 Millionen Euro im Jahr. Was für uns sehr viel ist. Wenn Sie es genau wissen wollen: 2018 waren es 6,1 Millionen Euro, 2019 sind es 5,97 Millionen. Davon werden 2,5 Millionen über Kredite finanziert. Da wir keine Gewinne erwirtschaften dürfen, können wir auch keine Rücklagen bilden.
Welche Investitionen sind denn für den Netzausbau und die Netzerneuerung geplant?
2016 haben wir eine Transportleitung für 2,8 Millionen durch den Rüstjer Forst bis nach Harsefeld gebaut. Die Rohre im Heuweg in Dollern haben wir erneuert, zurzeit sanieren wir die Leitungen in der Herrenstraße in Harsefeld. Geplant ist eine Erneuerung der Leitungen in der Ortsdurchfahrt von Fredenbeck. Doch ist es zurzeit schwierig, große Projekte anzuschieben, weil wir keine Baufirmen finden. In den nächsten Jahren bis 2022 werden wir die Wasseraufbereitung in Dollern für rund 5 Millionen Euro erweitern. Beim Bau der Transportleitung Fredenbeck bis 2023 rechnen wir mit Kosten in Höhe von 3,5 Millionen Euro. Der Bau des Behälters in Apensen bis 2024 wird vermutlich 3,5 Millionen Euro kosten. Langfristig ist ein viertes Wasserwerk geplant.
Muss sich der Verbraucher Sorgen machen, wenn es zu Trübungen kommt?
Nein. Das Wasser enthält natürlicherweise Mangan, das im Wasserwerk großenteils rausgeholt wird. Über die Jahrzehnte lagert es sich in den Rohrleitungen als Partikel ab. Wenn dann zum Beispiel die Fließgeschwindigkeiten stark ansteigen oder sich die Fließrichtung ändert, lösen sich diese Eisenmanganbestandteile von der Innenwand ab und geraten in die Hausanschlüsse. Trübungen sehen schlimm aus, sind aber gesundheitlich unbedenklich.
Ist Wasser aus der Leitung tatsächlich gesünder als Wasser aus der Flasche?
Das ist so, das geht aus einem aktuellen Test von Stiftung Warentest hervor. Die Trinkwasserverordnung, die bundesweit gilt, ist strenger als die Untersuchungsaufwendung, die für Mineralwasser notwendig ist.
Gibt es hier ein Problem mit Nitrat im Grundwasser? Oder Glyphosat?
Nein. Wir haben kein Nitratproblem. In den Förderbrunnen messen wir nur ganz geringe Mengen im Wasser. Der Grenzwert liegt bei 50 Milligramm pro Liter. Man empfiehlt, bei mehr als 30 Milligramm pro Liter sollte man damit keine Babynahrung zubereiten – und wir haben 3 Milligramm. Das ist in anderen Regionen anders. Auch bei Glyphosat gibt es keinen Befund: In unserem Wasser wurde nichts gefunden.
Wann müssen die Verbraucher mit Nutzungsbeschränkungen rechnen?
In diesem Jahr haben wir bisher nur eine Empfehlung, einen Appell, ausgesprochen, sparsam und gewissenhaft mit dem Trinkwasser umzugehen. Das war vor zwei Wochen, als es so heiß war. Letztes Jahr hatten wir erstmals seit 1994 präventiv ein allgemeines Verbot ausgesprochen.
Könnte man das Verbot nicht auf die Abendstunden beschränken?
Man könnte es sicherlich spezifizieren und das Verbot auf eine bestimmte Zeit beschränken.
Die Trinkwasserversorgung mit Grundwasser ist also gesichert?
Meines Wissens waren die Grundwasserstände 2018, als es so trocken war, sogar höher als 2017. Das trockene Jahr hat den Grundwasserständen nicht geschadet. So schnell versiegen die Brunnen nicht. An dieser Stelle merken wir den Klimawandel nicht.
Der Trinkwasserverband Stader Land mit Sitz in Dollern, Immengrund 5, und drei Wasserwerken in Dollern, Himmelpforten und Heinbockel versorgt die Bürger im Landkreis Stade als kommunales Unternehmen mit Trinkwasser. Das Verbandsgebiet umfasst den Landkreis ohne die Städte Stade und Buxtehude. Vorläufer waren der Wasserleitungsverband Altes Land, 1935 gegründet, und der Wasserversorgungsverband Kehdingen, 1946 gegründet. 1990 fusionierten die beiden Verbände. Das Wasserrohrnetz ist 1700 Kilometer lang. 47 000 Haushalte werden mit Wasser versorgt, 11 Millionen Euro Umsatz werden im Jahr gemacht. Gewinne werden nicht gemacht, die erwirtschafteten Einnahmen fließen in vollem Umfang in die Wasserversorgung.
Seit 2007 ist Fred Carl (54) Geschäftsführer des TWV Stader Land in Dollern. Seit 29 Jahren arbeitet der Wasserbauingenieur, in Uelzen geboren, in Stade wohnhaft, in der Wasserversorgung. Nach dem Studium der Wasserwirtschaft und Kulturtechnik in Suderburg arbeitete er im Kreis Uelzen und betreute die Stromversorgung und Wasserwirtschaft. Danach arbeitete er für die Stadtwerke Emden und war für die Gas- und Wasserversorgung zuständig.