Wolf Rosenzweig: „Ich werde ganz sicher nicht in den Rat gehen und von hinten pöbeln“

Der Wolf verlässt den Fuchs: Nach 15 Jahren Amtszeit verabschiedet sich Wolf Rosenzweig als Bürgermeister aus „Vosshusen“ – und vom Fuchs vor dem Rathaus. Foto: Michaelis
Was aus seiner Sicht gut gelungen ist, was weniger gut war und was ihn mit der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel verbindet, erzählt der scheidende Bürgermeister der Gemeinde Neu Wulmstorf im Gespräch mit dem TAGEBLATT.
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TAGEBLATT: Herr Rosenzweig, was fällt Ihnen spontan als Erstes ein, wenn Sie an Ihren Amtsbeginn 2006 zurückdenken?
Wolf Rosenzweig: Der Jubelschrei von Tobias Handtke, als am Wahlabend im Ratssaal das Ergebnis der Bürgermeisterwahl einlief. Der ist mir bis heute in den Ohren geblieben. Jetzt schließt sich der Kreis.
Haben Sie auch laut gejubelt, als Tobias Handtke jetzt die Bürgermeisterwahl gewonnen hat? Er ist doch sicher Ihr Wunschkandidat für Ihre Nachfolge.
Laut jubeln ist nicht so mein Ding, aber ich habe mich schon sehr gefreut. Ja, von denen, die zur Wahl standen, war er sicher mein Wunschkandidat. Und er wird einen anderen Start haben als ich damals.
Wieso das denn?
Ich bin damals ins kalte Wasser gesprungen. Mein Vorgänger Günter Schadwinkel war nicht mehr da, und Jörg Schröder hat mich ins Rathaus eingeführt. Mit Tobias Handtke läuft das anders: Ich bin noch da, und wir machen jetzt schon peu à peu eine Amtsübergabe.
War es schwierig, sich als studierter Geisteswissenschaftler und nach Ihrem vorherigen langjährigen Job als Leiter der Volkshochschule Buxtehude als hauptamtlicher Verwaltungschef einzufuchsen?
Nein, das war nicht so schwierig, ich war Kraft meines Amtes als VHS-Leiter ja schon stellvertretender Dezernent im Buxtehuder Rathaus. Mein Lehrmeister war Kalle Gerloff, und von daher wusste ich schon, wie Verwaltung funktioniert. Allerdings musste ich mich erst mal dran gewöhnen, dass ich plötzlich selber der Bürgermeister bin. Als bei meinen ersten Terminen der „Herr Bürgermeister“ begrüßt wurde, habe ich jedes Mal gedacht: Ach, ist Jürgen Badur auch hier?
Ihre ersten Amtsjahre waren geprägt von heftigen Bürgerprotesten und harten Auseinandersetzungen mit den Gegnern des riesigen Logistikareals in Mienenbüttel. Da ging es teilweise sehr hart zur Sache. Haben Sie inzwischen Ihren Frieden machen können mit den rabiaten Rathaus-Kritikern in Mienenbüttel?
Ja, das waren anstrengende Zeiten. Das ging ja bis ins Private hinein. Wenn einer anfängt, einem den Strick zu wünschen und man bezichtigt wird, Nazi-Methoden anzuwenden, das war schon sehr belastend. Aber heute ist das alles beigelegt, da hängt auch nichts nach.
Neu Wulmstorf ist in den 15 Jahren Ihrer Amtszeit immens gewachsen und hat sich verändert wie wohl keine andere Kommune im Landkreis Harburg. Was ist Ihnen aus Ihrer Sicht besonders gut gelungen?
Also, ich muss mal eines klarstellen: Was am Ende gemacht wird, ist immer ein Gemeinschaftswerk von Politik, Verwaltung und Bürgermeister. Der Bürgermeister allein hat gar nicht so viel Entscheidungsgewalt. Was uns aus meiner Sicht gut gelungen ist, ist der stetige Auf- und Ausbau von Kita-Plätzen. Da stehen wir heute gut da. Auch unsere Bemühungen, eine familienfreundliche Gemeinde zu werden, sind gelungen. Unsere Einrichtungen zur Unterstützung von Familien wie das Familien- und Kinderservicebüro, das Lokale Bündnis für Familie und zuletzt das Familienzentrum, das kann sich sehen lassen. Auch die Unterstützung unserer Feuerwehren, die beiden neuen Feuerwehrhäuser, die Umstellung unserer Straßenbeleuchtung auf LED und die Umstellung des Rathauses auf eine moderne, inzwischen fast papierlose Infrastruktur, das ist aus meiner Sicht gut gelungen.
Sie haben ja auch all die Jahre mit einer komfortablen politischen Mehrheit der eigenen Partei, der SPD, arbeiten können. Da lässt sich manches natürlich leichter durchbringen…
Das stimmt, aber ich habe auch oft nicht mit der SPD gestimmt, wir waren oft nicht einer Meinung.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel bei der Frage der Entwicklung Elstorfs und den jahrelangen Debatten um den neuen Flächennutzungsplan für Elstorf. Ich halte das Wachstum, sprich die Wohnbauflächen, die jetzt im F-Plan ausgewiesen sind, und auch die dafür erforderliche Vernichtung landwirtschaftlicher Flächen, für viel zu groß. Die Infrastruktur wird da nicht mitkommen, und wir werden große finanzielle Probleme bekommen angesichts der erheblichen Investitionen, die in den nächsten Jahren mit den Schulbauten im Hauptort Neu Wulmstorf anstehen. Auch dass der Rat auf Initiative der SPD die Waldsiedlung auf dem Truppenübungsgelände in letzter Minute gekippt hat, habe ich nicht mitgetragen. Nicht wegen der Sache an sich, aber der Weg war falsch. Man kann nicht nach zehn Jahren eine fertige Planung mal eben so wegwischen. Das ist auch nicht fair gegenüber dem Investor.
Und was ist aus Ihrer Sicht nicht gut gelaufen, was hätten Sie sich anders gewünscht?
Ich hätte mir gewünscht, dass die Ortsumgehung für Rübke besser vorankommt, und der Radweg durchs Moor. Und im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, dass wir das Thema Ganztagsschule früher angegangen wären. Das ist nicht ideal gelaufen.
In der Ortsentwicklung sind ja noch viele Baustellen offen, nicht nur beim Thema Schule und Kita. Sie durften ja wegen der niedersächsischen Altersgrenze von 67 Jahren für hauptamtliche Bürgermeister nicht noch einmal als Rathauschef antreten. Hätten Sie gern noch eine weitere Amtszeit gemacht, wenn es möglich gewesen wäre?
Definitiv nein. So lange Amtszeiten sind nicht gut, weil man irgendwann das Feuer verliert. Da geht es mir wie Frau Merkel. Wir sind übrigens beide fast die gleiche Zeitspanne im Amt gewesen. Viele der Herausforderungen, die sie im Bund bearbeiten musste, haben auch uns in der Kommune vor große Herausforderungen gestellt, zum Beispiel die Flüchtlingskrise und die Corona-Pandemie.
Rückblickend wirkt Ihre Amtszeit wie ein langer, ruhiger Fluss – ohne Skandale, das meiste ist im Konsens ohne große politische Auseinandersetzungen über die Bühne gegangen. Gibt es auch irgendwas, das Sie an den Politikern geärgert hat?
Ja. Dass manche Ratspolitiker sehr gern mit sensiblen Themen zu schnell und mit halb garen Informationen an die Öffentlichkeit gehen und damit letztlich der Sache schaden, das hat mich schon geärgert.
Sie meinen da nicht etwa Ihren SPD-Parteikollegen Thomas Grambow?
Ich nenne keine Namen, und es war auch nicht nur eine Person.
Sie haben Ihr Büro schon fast geräumt, einen Bleistift mit dem Namen ihres Nachfolgers auf den Schreibtisch gestellt. Was wünschen Sie ihm für die erste Zeit im Amt?
Ich wünsche ihm eine glückliche Hand, dass ihm die Politik nicht in den Rücken fällt und dass er den Mut nicht verliert. Die finanziellen Herausforderungen, die mit unseren Schulbauten und der Zukunft der beiden Bäder auf uns zukommen, sind gewaltig. Das wird keine leichte Zeit.
Und Sie werden das alles weiter von Elstorf aus beobachten, oder zieht es Sie nach Buxtehude zurück?
Meine Frau und ich werden tatsächlich weiter in Elstorf wohnen bleiben, aber ich werde mich ganz sicher nicht in die Politik einmischen und nur noch ins Rathaus kommen, wenn ich gelbe Säcke brauche. Und ich werde auch nicht, wie ich es mal angekündigt habe, in die Ratssitzungen gehen und von hinten pöbeln. Auch da halte ich es mit Angela Merkel, die in einem Interview im Sommer mal zu ihren künftigen Plänen gesagt hat: „Wahrscheinlich werden mir gewohnheitsmäßig verschiedene Gedanken in den Kopf kommen, was ich jetzt eigentlich machen müsste. Und dann wird mir ganz schnell einfallen, dass das jetzt ein anderer macht. Ich glaube, das wird mir sehr gut gefallen. Dann werde ich verstehen, dass ich Freizeit habe.“ Ich glaube, so wird es mir auch gehen, und dann werde ich ganz entspannt das TAGEBLATT lesen.
Zur Person
Wolf-Egbert Rosenzweig ist seit dem 1. November 2006 hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Neu Wulmstorf. 2014 wurde er mit 65,2 Prozent der Stimmen für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Vorher war der gebürtige Wilhelmsburger und studierte Anglist 15 Jahre lang Direktor der Volkshochschule Buxtehude. Rosenzweig hat zwei erwachsene Kinder, Anne und Philipp, und lebt mit seiner Frau Brigitte in Elstorf. Seine Hobbys sind lesen, besonders gern Krimis, und klassische Musik hören.