24-Stunden-Reportage: Herr über 33 Hektar Rasen

Blasio Petry pflegt seit mittlerweile 25 Jahren die Golfanlage in Deinste. Fotos: Scholz
Morgens um 6 Uhr beginnt der Arbeitstag von Blasio Petry. Der gebürtige Brasilianer ist Chef-Greenkeeper des Golfparks Gut Deinster Mühle. Ein Job, der magische Momente verspricht und viel mehr ist als nur Rasenmähen.
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Es ist ein magischer Moment, wenn Blasio Petry und der Golfplatz morgens um kurz nach Sechs unter sich sind. Wenn die Sonne beide in ein goldgelbes Licht hüllt, die Bäume lange Schatten werfen. Wenn die Teiche dampfen und irgendwo aus dem Nebel ein Graureiher mit wuchtigen Flügelschlägen aufsteigt. Dann findet Petry wieder einmal Bestätigung dafür, dass es keinen schöneren Beruf geben kann als seinen.
Blasio Petry ist der Chef-Greenkeeper des Golfparks Gut Deinster Mühle, der größten Anlage im Landkreis Stade. Er und der Golfplatz führen eine wechselseitige Beziehung: Petry zieht Kraft, innere Ruhe und Inspiration aus der Partnerschaft, der Platz wiederum Zuneigung und Pflege. Jeden Morgen um sechs Uhr, wenn Petry und seine fünf Kollegen sich ans Werk machen, wird diese Beziehung erneuert. „Der Golfplatz“, sagt Blasio Petry, „ist ein lebendiges Objekt.“
Rehe lassen sich auf der Anlage blicken.
6.05 Uhr. Petry steuert das Golfcart auf Bahn 1. Es ist der Beginn seiner täglichen Kontrollfahrt. Petry interessiert, ob es Probleme mit der Bewässerung des Rasens gibt. Auf Bahn 1 jedenfalls scheint es keine zu geben. Das Fahrzeug surrt vorbei an den Fontänen, die aus dem Boden emporschießen und das Fairway unter Wasser setzen. „Das wird schon bald versickert sein“, versichert Petry.
Blasio Petry, 49, ist ein unaufgeregter Mann mit feinen Gesichtszügen, grauem Bartschatten und Schirmmütze. Vor 25 Jahren war er im Zuge eines Austauschs aus seiner Heimat Brasilien nach Deutschland gekommen, in das Land seines Urgroßvaters. Wenige Jahre später fand der gelernte Landwirt eine Anstellung im Golfclub und absolvierte eine Weiterbildung zum Greenkeeper. Nun ist Petry nicht mehr nur Herr über seine eigenen 300 Quadratmeter Rasen, sondern gleich über 33 Hektar.
Es geht weiter auf Bahn 2, der tiefstehenden Sonne entgegen. Petry und sein Golfcart ziehen die Aufmerksamkeit zweier Rehkitze auf sich. Auf Bahn 3 macht er dann Halt. Petry geht in die Hocke und zupft einige Blüten zwischen den Grashalmen heraus: die Blüten einer heimischen Rasensorte. Indem Petry und sein Team andere Gräser „einsäen“, drängen sie die missliebige Blüte zurück und sorgen so für einen besser bespielbaren Rasen. Ein guter Kompromiss. „Komplett werden wir die Rasensorte nicht wegbekommen“, sagt Petry.
6.27 Uhr. Auf Bahn 11 trifft Blasio Petry seinen ersten Kollegen an. Benjamin Gooßen stanzt mit einem mannshohen, länglichen Werkzeug ein Loch ins Grün und platziert die Fahne darin. Mit dem Aushub verschließt er das alte Loch. „Passt genau“, murmelt er und lächelt milde. Zur gleichen Zeit ebnen Gooßens Kollegen auf anderen Bahnen die Bunker und belüften den Rasen der angeschlossenen Golfschule mit einer Maschine, die Löcher in den Boden sticht. Greenkeeper sprechen vom aerifizieren. So lüften sie den Boden und beleben das Rasenwachstum.
So wird ein neues Loch in den Rasen gestanzt.
Wer Blasio Petry und seine Kollegen bei der Arbeit beobachtet, stellt fest, dass das Greenkeeping einer Wissenschaft gleicht und viel Akribie und unermüdlichen Einsatz erfordert. Denn sollte die Anlage längere Zeit mal nicht gepflegt werden können, müssten die betroffenen Teile komplett neu angelegt werden. Allein für eine Bahn müssten 120 000 Euro aufgewendet werden, schätzt Petry. Bei 18 Bahnen drohe also ein enormer Schaden. Das Team ist daher das ganze Jahr im Einsatz. Urlaub in der Hauptsaison ist die Ausnahme.
6.42 Uhr. Blasio Petry lässt seinen Blick prüfend über das „Herzstück“ von Bahn 11 schweifen: den Zielbereich, auch Grün genannt. Sein Kollege Tomasz Terpilowski walzt und kürzt den Rasen mit einem speziellen Aufsitzmäher – auf exakt 3,6 Millimeter. Die kleinsten Unebenheiten werden eliminiert. Petry ist mit dem Ergebnis zufrieden. „Hier werden wir eine gute Spielgeschwindigkeit haben“, sagt er. Mit einem noch kürzeren und damit schnelleren Grün würden höchstens drei Spieler im Deinster Golfclub zurechtkommen.
Tomasz Terpilowski mäht das Grün.
Heutzutage investieren Golfclubs in Deutschland immer mehr Geld in die Platzpflege. Blasio Petry etwa verfügt über ein knapp mittleres sechsstelliges Jahresbudget und einen mehrere Hunderttausend Euro wertvollen Fuhrpark. Das passt zur Beobachtung des Deutschen Golf-Verbandes. Der stellt fest, dass Chef-Greenkeeper nicht nur das bloße Handwerk beherrschen, es werden eben auch „Managementqualitäten“ verlangt. Im Schnitt entfallen bei einer 18-Löcher-Anlage mehr als die Hälfte der Jahresausgaben auf die Platzpflege. Kein Wunder: „Der Spieler achtet natürlich auf die Optik“, sagt Petry.
Um kurz vor Sieben sind weit und breit noch keine Spieler in Sicht. Blasio Petry sticht ein Messer ins Grün. Mit ruckartigen Bewegungen schneidet er ein Stück Rasen samt Erdreich heraus. Petry führt das Stück an seine Nase und schließt die Augen. Wer ihn dabei beobachtet, fühlt sich an einen Kaffeebauern erinnert, der an den Bohnen riecht. Petry nickt. Die Rasenprobe hat die Qualitätskontrolle bestanden. „Es muss nach Wald riechen, dann ist alles in Ordnung.“
Der Chef-Greenkeeper bei der Geruchsprobe .
Im schlimmsten Fall hätte Blasio Petry einen fauligen Geruch wahrgenommen und eine schwarze Schicht in der Erdreich-Probe entdeckt. Ein Anzeichen für „Black Layer“, eine Krankheit, die bei schlecht gelüfteten und verdichteten Böden entsteht. Um das auszubessern, bräuchte der Boden möglicherweise eine lange Ruhepause, die Bahn müsste gesperrt werden. Daher gilt es, die gesamte Anlage trotz des enormen Aufwandes mehrfach im Jahr zu aerifizieren und zu vertikutieren.
Die Sechs-Uhr-Magie ist längst verflogen. Die Sonne wirft ein grelles Licht in Petrys Gesicht, er kneift die Augen zusammen. Gleich endet die Kontrollrunde. Er wird sich danach um die Beregnung einiger Bahnen kümmern. Seine Kollegen pflegen währenddessen weiterhin den Rasen und die Böden. Schon am Nachmittag müssen sie das Feld räumen, auf dem Golfplatz findet ein Herren-Turnier statt. Rund 50 Leute werden dann über die frisch hergerichtete Anlage stapfen.
Für die Serie „24 Stunden: Reportagen rund um die Uhr“ verbringen TAGEBLATT-Redakteure je eine Stunde an einem Ort in der Region. Start und Ende der Serie ist 0 Uhr, was 24 Stunden und damit 24 Serienteile ergibt. Und das sind die Folgen:
- Teil 1: Bei der Polizei
- Teil 2: Im Pressehaus
- Teil 3: Beim Bäcker
- Teil 4: Bei der Post
- Teil 5: Auf der Jagd
- Teil 6: Auf der ersten Fähre
- Teil 7: Der Greenkeeper
- Teil 8: Im Industriehafen
- Teil 9: Bei der Straßenmeisterei
- Teil 10: Im Hotel
- Teil 11: Bei der Tagespflege
- Teil 12: In der Touristen-Information
- Teil 13: Am Imbiss
- Teil 14: Besuch beim Schäfer
- Teil 15: Der Bestatter
- Teil 16: Beim Brückenwärter
- Teil 17: Der Tierarzt
- Teil 18: Im Landgasthof
- Teil 19: In der Notaufnahme
- Teil 20: Bei der Fahrschule
- Teil 21: Auf dem Autohof
- Teil 22: Beim Lieferservice
- Teil 23: Bei der Ernte
- Teil 24: Neben einem Angler
