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VfL beurlaubt Chef-Trainer Steffen Birkner

Der VfL Fredenbeck hat den Trainer seines Handball-Drittligisten, Steffen Birkner, am Donnerstagabend beurlaubt. Die schlechte Tabellensituation sei nicht der Hauptgrund für Birkners Freistellung, sagt der Geschäftsführer der Handball GmbH, Ulrich Koch.

Von Daniel Berlin Donnerstag, 22.03.2018, 21:00 Uhr

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Vielmehr habe Birkner nicht den gewünschten Zugang zum Team gefunden. „Es ist Steffen nicht gelungen, im Team und im Umfeld anzukommen“, sagt Koch. Die Spieler seien zu Saisonbeginn sogar überfordert gewesen von Birkners Planungen, fünfmal pro Woche jeweils zwei Stunden zu trainieren. „Der VfL Fredenbeck ist schon ein spezieller Verein mit unterschiedlichen Spielertypen, die auch noch arbeiten gehen“, sagt Ulrich Koch. Zwischen den Zeilen bedeutet dies, Birkners Pensum ist unzumutbar. Das Verhältnis zwischen Steffen Birkner und einigen Spielern sei „nicht gut“, so Koch. Im Laufe der Monate habe er, Koch, auch keine Besserung erkennen können.

Der Geschäftsführer hatte Birkner am Donnerstag noch vorm Training seine Entscheidung mitgeteilt. Danach packte der beurlaubte Trainer seine Sachen und fuhr. Der sportliche Leiter der Mannschaft, David Oppong, überbrachte die Nachricht wenig später den Spielern. Ulrich Koch hofft, dass der Schritt von den Spielern als Signal aufgefasst wird, dass sie merken, dass sie jetzt gefordert sind im Abstiegskampf. „Die Spieler haben kein Alibi mehr“, sagt Koch. Bereits in den vergangenen Tagen sollen sich die Entscheider beim VfL in puncto Trainer-Personalie ausgetauscht haben. „Wenn, dann müssen wir jetzt handeln“, sagt Koch. Birkner soll auf die Freistellung „nicht ganz unvorbereitet“ reagiert haben.

Ulrich Koch betont, dass der VfL Fredenbeck und als Gesellschafterin die Handball GmbH im Speziellen „den Kader gerne so aufgestellt hätten, dass der VfL größere Sprünge machen“ könnte. Allein die Gehälter für hochklassige Drittligaspieler in Höhe von 2000 bis 3000 Euro könne sich die GmbH nicht leisten. Koch sagt aber auch und kritisiert damit Birkner: „Aus günstigen Spielern ein Team zu formen, ist schon gelungen.“ Koch hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass das Flaggschiff des VfL Fredenbeck im oberen Drittel mitspielen sollte. Aktuell ist die Lage aber dramatisch. Der Club hat nur zwei Pluspunkte Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz. Allerdings ist das Tabellenbild verzerrt. Der MTV Braunschweig belegt den ersten Abstiegsplatz, hat aber zwei Spiele weniger ausgetragen. Die HG Hamburg-Barmbek, derzeit Letzter, kann ebenfalls noch gleichziehen. Fünf Partien stehen für den VfL Fredenbeck in dieser Saison noch aus.

Ausgerechnet beim MTV Braunschweig muss der VfL Fredenbeck am Sonnabend um 19.30 Uhr antreten. Bei diesem Schicksalsspiel werden David Oppong und Lars Müller an der Seitenlinie sitzen. Wer die abstiegsbedrohte Mannschaft bis zum Saisonende betreut, gibt der Verein in den nächsten Tagen bekannt.

Steffen Birkner besitzt einen Vertrag als Trainer der ersten Mannschaft bis Sommer 2019. Am Anfang dieser Saison übernahm der 37-Jährige den Posten von Andreas Ott. Wie Birkner und die Handball GmbH mit dem Vertrag verfahren, ist noch offen. Offen ist auch, ob Birkner für den Gesamtverein weiterhin als Jugendkoordinator agiert.

Steffen Birkner selbst wollte am Donnerstagabend auf Nachfrage keine Stellungnahme zu seiner Freistellung abgeben. Er bat darum, eine Nacht darüber schlafen zu dürfen.

Der ehemalige Weltklasse-Spieler Binjo Tluczynski stand bis Sommer 2005 als Trainer an der Seitenlinie beim VfL. Fredenbeck schaffte den Klassenerhalt in der zweiten Bundesliga damals nur aufgrund einer Entscheidung am grünen Tisch. Tluczynskis Nachfolger Tomasz Malmon trat in der Folgesaison eine zum Scheitern verurteilte Mission an. Er stieg mit kleinem Kader sang- und klanglos in die Regionalliga ab. Bereits im Dezember 2005 stellte der Verein Malmon Michael Hein als Co-Trainer zur Seite. „Sein Weihnachtsgeschenk“, nannte Malmon die Personalie damals. Ahnend, dass im Sommer 2006 Hein wohl komplett übernehmen werde. So kam es dann auch. Michael Hein hielt bis Oktober 2008 durch. Der VfL war gerade mit 1:7 Punkten in die Saison gestartet. Die wahren Gründe für Heins Ende als Trainer neben dem sportlichen Fehlstart bleiben aber bis heute nebulös.

Den Posten von Hein übernahm Ralf Böhme. Unter ihm schloss der VfL in der Saison 2009/2010 die Saison als Zweiter ab, so gut wie nie zuvor. Dennoch ging er zum Saisonende. Offiziell hatten Trainer und Vorstand verschiedene Auffassungen des Konzeptes der sportlichen Zukunft. Böhme wurde zudem vorgeworfen, dass die Mannschaft unattraktiven Handball spiele, was sich bei Platz zwei als recht unschlüssiges Argument anhört. Der VfL installierte erneut Tomasz Malmon, der bis März 2012 auf der Bank saß. Dann übernahm Uwe Inderthal den Club bis zu seiner Freistellung im Dezember 2013. Fredenbeck kämpfte gegen den Abstieg und schaffte den Klassenerhalt erst nach einer Aufholjagd und einer erfolgreichen Relegation unter Interthal-Nachfolger Andreas Ott. Otts Bilanz war danach ganz gut. Zweimal landete er in der Nordstaffel im Mittelfeld, einmal in der Weststaffel auf dem zweiten Rang. Er gab das Team am Ende der Saison 2016/17 aus familiären und beruflichen Gründen an Steffen Birkner ab.

Ein Kommentar von Daniel Berlin

Steffen Birkner ist ein Bauernopfer. Aber die Mechanismen im Leistungssport funktionieren eben genau so. Da beurlaubt der Club den Coach, weil er nicht die Spieler vom Hof jagen kann. Da schasst der Verein den Trainer, weil er seine strukturellen Verfehlungen der vergangenen Monate und Jahre auf die Schnelle nicht korrigieren kann. Selbst den richtigen Zeitpunkt für eine Trainerentlassung hat der VfL Fredenbeck verpasst. Im Dezember oder im Januar wäre dieser Schritt noch als Warnschuss oder Weckruf durchgegangen. Heute taugt er nur noch dazu, das sportliche Chaos zu verstärken.

Steffen Birkner hat schlichtweg qualitativ hochwertiges Personal gefehlt, um in der Tabelle heute besser dazustehen als auf dem zwölften Platz. Der VfL Fredenbeck gab in der Vorsaison seine besten Abwehrspieler ab und ergänzte die Mannschaft allenfalls mit Talenten. Dass die Personalpolitik von Fehlentscheidungen geprägt war, hat aus der Führungsriege bis heute noch keiner zugegeben.

Der Verein hätte die Euphorie aus der Saison 2015/16 nutzen müssen, um sich finanziell besser aufzustellen und die Professionalisierung voranzutreiben. Als Zweiter der Weststaffel war der VfL seinerzeit in aller Munde und hatte gute Argumente für Sponsoren. Es blieb aber gefühlt alles beim Alten. Und genau in die Zeit fällt mit Steffen Birkner ein hochprofessioneller Trainer, der intelligente Handballer für seine Ideen benötigt.

Birkner war einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Die einzigen Dinge, die ihm vorzuwerfen sind: Er will zu professionell arbeiten und geht dabei zu theoretisch vor. Die meisten Spieler haben schlichtweg Birkner nicht verstanden.

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