Zähl Pixel
Nahverkehr

ADFC warnt wegen 9-Euro-Ticket vor Fahrrad-Verbot in der Bahn

Fahrgastvertreter fordern wegen des erwarteten Andrangs, die Fahrradmitnahme im Juni, Juli und August einzuschränken.

Fahrgastvertreter fordern wegen des erwarteten Andrangs, die Fahrradmitnahme im Juni, Juli und August einzuschränken.

Am 1. Juni soll es losgehen: Eine Großaktion mit günstigen Fahrkarten für den Nahverkehr als Entlastung von den hohen Energiepreisen. Doch um die Kostenteilung gibt es Streit - gerät noch alles ins Wanken?

Dienstag, 17.05.2022, 06:00 Uhr

Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!

Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub warnt davor, die Fahrradmitnahme in Zügen während der 9-Euro-Aktion einzuschränken. Die Sommermonate seien die Hauptsaison für den Radtourismus, teilte der Verein mit. Im Gesamtjahr 2021 seien mehr als fünf Millionen Menschen für Tagesausflüge mit dem Rad oder für Radreisen mit der Bahn angereist. „Es wäre auch klimapolitisch eine Katastrophe, wenn man all diese klimafreundlich Reisenden 2022 zwingen würde, mit dem Auto statt mit der Bahn zum Ostseeküstenradweg, ins Allgäu oder an den Bodensee zu fahren.“

Von Juni bis August sollen Fahrgäste für monatlich neun Euro bundesweit unbeschränkt Busse und Bahnen im Nahverkehr nutzen dürfen. Die Aktion soll Pendler wegen hoher Spritpreise entlasten und für einen Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel werben. Bundestag und Bundesrat entscheiden in dieser Wochen über den Plan. Es gibt aber Streit um die Kostenübernahme. 

Dreimonatiges Mitnahmeverbot für Fahrräder mitten in Urlaubssaison diskutiert

Fahrgastvertreter hatten wegen des erwarteten Andrangs vorgeschlagen, die Fahrradmitnahme während der drei Monate einzuschränken. Die Deutsche Bahn rechnet mit sehr vollen Zügen und rät von der Fahrradmitnahme ab. Die Mitnahme könne nicht garantiert werden, teilte sie mit.

Der ADFC äußerte sich aus Anlass einer Anhörung im Verkehrsausschuss des Bundestags generell skeptisch zum 9-Euro-Ticket. „Es ist zu kurzfristig und kein nachhaltiges Angebot, denn an der schlechten ÖPNV-Verfügbarkeit besonders in ländlicheren Regionen ändert das günstige Ticket natürlich nichts“, sagte Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider. Wichtiger sei es, den öffentlichen Verkehr längerfristig günstiger zu machen und das Angebot zu verbessern und auszubauen.

Milliardenpoker um Sommer-Billigtickets für Busse und Bahnen

Parallel zu den Vorbereitungen der Anbieter vor Ort müssen Bundestag und Bundesrat das entsprechende Gesetz noch in dieser Woche besiegeln – die Zeit drängt. Der HVV etwa hat bereits einen Vorverkaufsstart für diesen Freitag, 20. Mai, angekündigt.

Verkehrsunternehmen und Länder fordern aber weitergehende finanzielle Absicherungen vom Bund, auch über die dreimonatige Sonderaktion hinaus. Denn es handelt sich um ein „großes Experiment“, wie Branchenvertreter am Montag in einer Anhörung im Bundestag deutlich machten. Verkehrspolitiker der Ampel-Koalition wandten sich gegen Blockadedrohungen aus den Ländern.

Im Gesetz geht es nicht um die praktische Ausgestaltung, sondern nur ums Geld. Genauer gesagt, um Extra-Geld über die zehn Milliarden Euro hinaus, die der Bund in diesem Jahr regulär für den öffentlichen Nahverkehr an die Länder überweist. Als Ausgleich für Einnahmeausfälle durch das 9-Euro-Ticket soll es 2,5 Milliarden Euro mehr geben. Das entspricht dem Drei-Monats-Anteil, also einem Viertel der erwarteten Ticketeinnahmen von zehn Milliarden Euro in diesem Jahr. Die Länder sollen auch die 9 Euro pro Ticket behalten können. Daneben will der Bund 1,2 Milliarden Euro geben, um Verluste in der Corona-Krise auszugleichen, in der Kunden ausblieben.

Diese insgesamt 3,7 Milliarden Euro reichen den Ländern aber nicht. Einige wie Bayern drohten schon mit einem Nein im Bundesrat. Auf den letzten Metern ist damit noch ein Milliardenpoker eröffnet. In einer Experten-Anhörung des Verkehrsausschusses machten am Montag auch Verkehrsanbieter Druck für zusätzliche Finanzzusagen. Denn neben Einnahmeausfällen werde absehbar ein Mehraufwand im Betrieb entstehen – etwa für zusätzliches Personal und Fahrzeuge, erklärte der Bundesverband Schienennahverkehr als Organisation der regionalen Verkehrsverbünde. Das werde „ein gigantischer Akt“, sagte Vize-Geschäftsführer Robert Dorn.

Debatte um Zukunft des Nahverkehrs: Mehr Menschen sollen auf Bus und Bahn umsteigen 

Der Verband der Verkehrsunternehmen erläuterte, es werde mit ungefähr 30 Millionen Nutzern pro Monat für das Sonderticket gerechnet, dies sei aber nur eine Schätzung. Es wäre gut, wenn der Bund alle Kosten auch für das „Prognoserisiko“ übernähme, sagte Geschäftsführer Jan Schilling. Die Frage sei zudem, was danach passiere. Die 9 Euro seien so unschlagbar günstig, dass es natürlich einen Preissprung geben werde. Und zugleich würden Diesel für Busse und Strom für Bahnen teurer. Darauf unternehmerisch mit deutlichen Preiserhöhungen zu reagieren oder das Angebot herunterzufahren, sei aber auch nicht geboten. Das stünde dem erhofften „Klebe-Effekt“ entgegen, viele Nutzer des 9-Euro-Tickets zu Dauerkunden zu machen.

Überhaupt fällt die Aktion in die grundlegende Debatte, den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) für mehr Klimaschutz mit attraktiveren Angeboten deutlich voranzubringen. Ziel müsse sein, die Zahl von 24 Millionen täglichen Nutzern aus der Vor-Corona-Zeit bis 2030 zu verdoppeln, sagte der Verkehrsexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Jens Hilgenberg, in der Anhörung. Daher dürfe es nun nicht nur zu einem „Strohfeuer“ kommen. Nötig seien dauerhafte Verbesserungen des Angebots vor allem auf dem Land. Wo jetzt kein Bus fahre, werde ja auch durch das verbilligte Ticket keiner fahren. (dpa)

Weitere Themen

Weitere Artikel

Kreise: Bahn verschiebt Start von Stuttgart 21 erneut

Die Fertigstellung des Bauprojekts Stuttgart 21 verzögert sich weiter. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen der Projektpartner und des Bahn-Aufsichtsrates erfuhr, soll der Tiefbahnhof nicht mehr wie geplant im Dezember 2026 eröffnen. Zuvor hatten mehrere Medien (...).
Copyright © 2025 TAGEBLATT | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.