Interview

Idil Üner: „Vielleicht eigne ich mich nicht so für Opferrollen“

Regisseurin und Schauspielerin Idil Üner lacht viel, als sie im Video-Gespräch mit TAGEBLATT-Mitarbeiter Manfred Ertel offen über ihre Karriere, aktuelle Projekte und wiederkehrende Herausforderungen spricht.

Samstag, 05.02.2022, 18:02 Uhr
Schauspielerin Idil Üner . Foto: mathiasbothor.com

Schauspielerin Idil Üner . Foto: mathiasbothor.com

TAGEBLATT: „Sie hat ein Herz aus Gold und einen eisernen Willen“ wurde mal über Sie gesagt, wissen Sie eigentlich noch von wem?

Idil Üner: Ja, weiß ich, von meinem lieben Freund Fatih Akin (lacht).

Und was stimmt davon?

Alles, hundertprozentig. Aber ich habe mich trotzdem als Person weiterentwickelt. Man kann ja einen eisernen Willen haben, aber die Methoden, den dann durchzusetzen oder zu realisieren, was man will, die können doch variieren. Ich glaube, da bin ich vertrauensvoller und weicher geworden.

Fehlt in der Aufzählung nicht noch das Temperament einer Löwin, wenn Sie sich begeistern oder ärgern?

Eher wenn ich mich begeistere. Ich ärgere mich nicht viel oder so doll. Und wenn ich mich wirklich mal ärgere, lasse ich ein bisschen Zeit verstreichen, und dann sieht alles schon wieder anders aus. Die Löwin bin ich also eher im positiven Sinne.

Welche Rolle spielt Fatih Akin eigentlich in Ihrem Leben?

Wir sind eng befreundet, inzwischen schon seit 1995, also echt eine ganze Latte an Jahren. Uns verbindet ganz viel. Unter anderem natürlich auch, dass wir im und mit dem Film gewachsen sind. Und wir ja auch sieben tolle Filmprojekte zusammen gemacht haben. Aber darüber hinaus auch sehr persönlich. Wir treffen uns hin und wieder, sehen uns auch familiär. Wir tauschen uns aus, meist künstlerisch, filmisch. Das inspiriert und bereichert mich sehr.

Inzwischen sind Sie ein Multitalent. Film, Schauspiel, Regie, Drehbuch, Gesang – wo sehen Sie sich am liebsten?

Eigentlich in allem, ich kann das gar nicht trennen, im Gegenteil: Das eine ergibt das andere. Ich kann singen und singe sehr gern, obwohl ich keine professionelle Sängerin bin. Ich kann spielen, ich kann auch Regie machen. Für mich ist das alles eine große Leidenschaft. Wenn mich etwas überkommt, dann mache ich das. Ich könnte es kategorisieren, weil ich Schauspiel studiert und wirklich offiziell und beglaubigt gelernt habe. Das hält mich aber nicht davon ab, auch anderes zu machen. Ich finde es ganz wichtig. Jeder sollte das tun, was aus dem Herzen kommt, egal ob studiert oder nicht. Ich mag alles, sonst würde ich es ja nicht machen.

Als Hauptkommissarin in der ZDF-Serie „Nachtschicht“ neben Armin Rohde spielen Sie das, was Sie gefühlt meistens spielen: eine Hauptrolle in einem Krimi...

Sie fühlen das nicht nur, es ist tatsächlich so (lacht). Keine Ahnung, warum das so ist. Vielleicht passt meine Ausstrahlung ja einfach gut in dieses Genre rein. Vielleicht eigne ich mich nicht so für Opferrollen. Ich würde aber auch sehr gern viele andere Sachen spielen. Habe aber keinen Grund, mich zu beschweren.

Ist es etwas anderes, in der ZDF-Reihe als Kommissarin zu agieren, die im Mittelpunkt steht?

Bei „Nachtschicht“ fester Teil eines Teams zu sein fühlt sich schon anders an, weil man das Ganze ja führt und trägt. Natürlich nicht allein, sondern mit den anderen zusammen, denn mit Armin Rohde, Sabrina Ceesay und Özgür Karadeniz sind wir ja das neue Hamburger Team des Kriminaldauerdienstes KDD, das von seinem Charme und Witz lebt und von unkonventionellen Methoden, manchmal auch etwas am Rande der Legalität. Eine richtig coole Rolle (lacht).

Ist es etwas Besonderes, praktisch vor der Haustür in Hamburg drehen zu können?

Absolut. Erst mal ist es total praktisch. Ich sehe meine Familie dann trotz der Dreharbeiten häufiger. Natürlich immer noch eingeschränkt, denn ich drehe ja nachts und schlafe, wenn die anderen wach sind. Außerdem entdecke ich Ecken in Hamburg, wo man sonst nicht so ohne weiteres hinkommt, das finde ich sehr spannend. Ich bin als Berlinerin vor fünf Jahren hierher gezogen. Und ich liebe die Stadt und das Flair, es gefällt mir so gut hier. Ich kenne Hamburg zwar seit meiner Kindheit, denn meine Tante wohnt hier. Aber durch die Drehs entdecke ich immer wieder Neues.

Ihre TV-Rollen und Figuren wechseln. Sie sind Ärztin, Stiefmutter, Geliebte und jetzt Kommissarin, aber fast immer auch die Türkin. Nervt das manchmal?

Natürlich, je nachdem, wie ich mich grad fühle. Wenn ich nicht so gut drauf bin, habe ich manchmal das Gefühl, ich werde auf meine Herkunft reduziert. Wenn ich gut drauf bin, denke ich dann wieder, das ist ja auch ein Bonus. Aber ich würde mal gerne über eine lange Strecke Angebote bekommen, wo meine türkischen Wurzeln absolut kein Thema sind. Wo es einfach nur um eine Frau geht, die etwas erlebt hat oder etwas bewegt, egal welcher Herkunft.

Werden Schauspieler mit Migrationshintergrund wie Sie immer noch zu sehr auf migrantische Rollen festgelegt?

Nicht so sehr bei mir. Ich bin total zufrieden mit meiner Karriere und wie es aktuell weitergeht. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich würde gerne wieder Kino machen. Zuletzt war das „Hans mit scharfer Soße“, was schon einige Tage her ist. Aber leider ist das für Kolleginnen und Kollegen immer noch Thema. Es hat sich sicherlich viel verbessert. Und aktuell wird noch mehr Augenmerk auf Diversität gelegt, es gibt einen Bewusstseinswandel, weg von den Klischees. Aber es geht alles ein bisschen zu langsam.

Ist das einer der Gründe, warum Sie, wie zurzeit am Thalia Theater, gern mal ins klassische Fach wechseln?

Mit Arthur Millers „Blick von der Brücke“ stehe ich nach zehn Jahren wieder mal auf der Bühne als Schauspielerin, ich bin ja eher die Film- und Fernsehtante. Aber ich habe mir sehr gewünscht, wieder Theater zu spielen und bin darüber echt superglücklich. Auch wenn ich in dem Stück eine italienische Einwanderin spiele (lacht). Aber ich habe ja auch nicht per se etwas gegen Figuren mit nicht deutschem Hintergrund. Eine Sabine Müller könnte ich wahrscheinlich nicht spielen. Oder vielleicht doch. Problematisch ist es erst, wenn die Herkunft problematisiert wird. In der ZDF-Vorabendserie „Sibel & Max“ war ich zum Beispiel die deutsch-türkische Ärztin Sibel Aydin. Aber ich war einfach eine stinknormale Frau mit stinknormalen Problemen, so wie ich privat eine stinknormale Frau bin und mein Leben habe. Das war sehr entspannt, weil es so selbstverständlich war.

In Berlin geboren, in Hamburg zu Hause, in der Türkei verwurzelt – was bedeutet Heimat für Sie?

Ich habe oft darüber nachgedacht und muss ehrlich sagen, ich habe keine Antwort darauf. Da wo ich mich wohlfühle, das ist Heimat. Das sind viele Orte auf der Welt. Zu Hause fühle ich mich am allerwohlsten, aber bei meinen Eltern, bei meinen Freunden in Berlin oder sonst wo auf der Welt eben auch.

Ihre Eltern wollten eine „gute Ausbildung“ für Sie, wie fanden die es, als Sie sich für die Schauspielschule entschieden haben?

Für meine Eltern war wichtig, dass ich eine gute Bildung erhielt, dazu gehörten Abitur, ein Hochschulstudium und ein guter Abschluss. Und das habe ich ja alles gemacht und mit Diplom abgeschlossen. Schauspielerin fanden sie absolut okay, denn sie wissen auch, dass es keine wirklich sicheren Jobs mehr in dieser Welt gibt. Notfalls könnte ich mich ja auf eine Professur bewerben.

Was hat Sie persönlich zur Schauspielerei gebracht?

Schauspiel war für mich von Kindesalter an ganz klar der Weg. Als Kind und Jugendliche war das mein Hobby. Im Gymnasium war ich in der Theater-AG, in der Oberstufe in der Jugend-Werkstatt eines Theaters. Später gab es in Berlin das türkischsprachige Theater „Tiyatrom“, da bin ich erst in der Jugendwerkstatt gewesen und dann war ich sogar anderthalb Jahre Mitglied im Ensemble, bevor ich dann angefangen habe zu studieren. Ich habe auch klassischen Gesangunterricht gehabt, aber eigentlich war das nicht mein Ding.

Und dann haben Sie auch noch eine Ausbildung zur „Kräuterkundigen“ gemacht. Was ist denn das?

Ich liebe Pflanzen und Natur, das ist für mich wahnsinnig lebendig und vor allem gesund. Irgendwann habe ich von einer Pflanzenheilkundlerin gelesen, die Spaziergänge im Hamburger Jenischpark anbietet und auch eine Ausbildung. Bei ihr habe ich ein Jahr lang Pflanzen kennengelernt und ihre Wirkungsweisen. Alle heimischen Heilkräuter, die vor unserer Nase wachsen und auch noch umsonst sind, habe ich so kennen und schätzen gelernt.

Haben Sie was von einer Hexe in sich?

Für mich gibt es im Leben mehr als das, was ich sehen und anfassen kann. Ich glaube daran, dass uns alles in der Natur gegeben ist, was uns guttut und spüre zur Natur eine besondere Verbindung. Vielleicht würden mich deshalb manche als Hexe bezeichnen (lacht). Aber ich würde niemals irgendwelche Menschen behandeln oder kurieren wollen, außer meine Kinder oder mich selber. Ich bin sehr offen für die pflanzenheilkundlichen, homöopathischen Ansätze, zusammen mit der Schulmedizin. Wenn man beides verbindet und damit durchs Leben wandelt, ist das eine gute Kombi.

Bitte ergänzen Sie...

Aus Berlin oder Istanbul vermisse ich ... aus Berlin meine Freunde, meine Familie und mein Stammcafé und aus Istanbul das entspannte, freudige und warmherzige Lebensgefühl.

Aus Hamburg fehlt mir, wenn ich unterwegs bin ... die Hamburger Entspanntheit, das Wasser und der weite Himmel, den ich hier von fast überall sehen kann.

Wenn ich abschalten will ... dann gehe ich in den Wald. Wir haben in Hamburg große Parks, das sind halbe Wälder. Da kann man schön eintauchen und niemanden treffen, wenn man nicht will.

Frankreich und seine Kultur ... liebe ich, schon in meiner Jugend war ich verrückt nach Frankreich, ich mag diese lang gewachsene Kultur: musikalisch, kulinarisch, die Landschaften. Die Musik ist für mich immer eine große Inspiration gewesen.

Wenn ich mich im Fernsehen sehe ... dann schaue ich, ob ich das gut gemacht habe. Meist bin ich ganz zufrieden. Hin und wieder denke ich nur, ich würde gern mal eine andere Rolle spielen.

Persönliches zu Idil Üner

Geboren und aufgewachsen ist Idil Üner (50) in Berlin. Sie studierte Schauspiel an der Hochschule für Künste in der Hauptstadt. Ihr Fernsehdebüt gab sie noch während des Studiums – natürlich in einem Krimi: im „Tatort“. Ebenfalls 1994 stand sie das erste Mal vor einer Filmkamera. Die intensive Zusammenarbeit mit Schauspieler und Regisseur Fatih Akin begründete eine lange persönliche Freundschaft. Üner war unter anderem in seiner filmischen Hommage an Istanbul („Im Juli“) dabei und in dem preisgekrönten Film „Gegen die Wand“.

Als Regisseurin drehte sie 2001 den Kurzfilm „Die Liebenden vom Hotel von Osman“ und schrieb dafür auch das Drehbuch, außerdem inszenierte sie unter anderem am türkischen Theater „Tiyatrom“ in Berlin. In vielen Krimis, die Quotenhits sind, ist die Schauspielerin seit Jahren Stammgast: Sie stand im „Tatort“, der „Mordkommission Istanbul“ oder für den „Zürich-Krimi“ vor der Kamera, zuletzt auch in der ARD-Thriller-Serie „Schneller als die Angst“. Seit vorigem Jahr ist sie Kommissarin in der neuen Staffel der ZDF-„Nachschicht“, die in Hamburg spielt.

Zusammen mit ihrem Mann, dem Schauspieler Laurens Walter, und ihren zwei Töchtern lebt sie in Hamburg.

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