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Corona-Pandemie

2G plus: Wenn sich die Gastronomie nicht mehr rechnet

Ein Schild an der Tür eines Restaurants weist auf die 2G-Plus-Regel hin. Foto: Sina Schuldt/dpa/Archvbild

Ein Schild an der Tür eines Restaurants weist auf die 2G-Plus-Regel hin. Foto: Sina Schuldt/dpa/Archvbild

Die Gastronomie in Niedersachsen kann ein wenig aufatmen: Die 2G-Regelung mit Testung gilt ab Sonntag nicht mehr - wenn die Gastronomen nur 70 Prozent ihrer Kapazität auslasten. Doch der Unmut in der Branche ist groß.

Freitag, 10.12.2021, 19:30 Uhr

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Es ist eine Corona-Regel, die viele Gastronomen verzweifeln lässt. Umsatzeinbußen von bis zu 80 Prozent sind seit zwei Wochen die Folge der Test-Verordnung in Niedersachsen, die besagt, wer eine Gastwirtschaft besuchen möchte, muss nicht nur geimpft oder genesen sein, sondern zusätzlich negativ auf das Coronavirus getestet.

Jetzt hat das Land reagiert: Die neue Landesverordnung, die ab Sonntag gilt, besagt, dass unter anderem die Inhaber von Gastronomiebetrieben die Möglichkeit haben, auf einen zusätzlichen Test zu verzichten, wenn nur 70 Prozent der Kapazitäten genutzt werden. Dann wird aus 2G plus wieder 2G. Doch die zwei Wochen mit verbindlichem Negativtest haben die Branche hart getroffen.

2G-plus-Regelung ist ein verkappter Lockdown

„Eigentlich ist das eine Katastrophe“, sagt Semih Baskin, Geschäftsführer der „Heimatliebe“ in Steinkirchen. Im Dezember wäre sein Lokal voll ausgelastet gewesen. „Wir hatten viele Weihnachtsfeiern, die fast alle abgesagt wurden.“ 70 Prozent weniger Umsatz ist das Ergebnis der verordneten Testungen seit zwei Wochen. Jetzt hofft der Wirt auf mehr Zuspruch ohne die staatlich verordneten Tests.

Baskin könnte auch 100 Prozent seiner Kapazität nutzen, müsste von seinen Gästen dann aber wieder einen Negativ-Test verlangen. Wobei Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) im TAGEBLATT-Gespräch darauf hinweist, dass diese Tests unter Aufsicht auch unmittelbar in den Gastrobetrieben oder bei den Arbeitgebern (sie gelten 24 Stunden) gemacht werden können.

Trotz der Kurskorrektur sind sich viele Gastronomen einig, dass die 2G-plus-Regelung ein verkappter Lockdown gewesen sei, der nur nicht so genannt wurde und bei dem keine Ausgleichszahlungen fällig werden. Das Gleiche gelte für die „Weihnachtsruhe“, die für Niedersachsen verkündet wurde.

70-Prozent-Regelung kommt zu spät

Lutz Feldtmann vom „Vier Linden“ in Stade ist einer der Kritiker. Er ist der Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands. „Wir haben mal wieder den schwarzen Peter zugeschoben bekommen“, sagt er. Bei ihm wurden 90 Prozent der Weihnachtsfeiern storniert. Den Ausfall will er erst gar nicht beziffern, das tue nur weh.

Feldtmann vermutet „taktische Spielchen“ der Politik. Jetzt, da fast alle größeren Gesellschaften abgesagt wurden, gibt es wieder mit der 70-Prozent-Regelung Freiheiten. Das komme zu spät und helfe nicht jedem. „Was machen die, die eigentlich zu 100 Prozent ausgelastet sind?“, fragt Feldtmann rhetorisch. Feldtmanns Fazit: „Für unsere Branche sieht es düster aus.“

Ärger über Trägheit der Behörden

Unter den 2G-plus-Regeln sei ein Betrieb nicht wirtschaftlich darstellbar, sagt Sabrina Klapper, die dieses Jahr im Stader Kino-Komplex ihr „Klapperina“ aufgemacht hat. Sie schätzt den Umsatzverlust auf 70 Prozent. In der Woche gehe fast gar nichts, am Wochenende deutlich eingeschränkter. Normalerweise habe sie an einem Sonnabend 350 Gäste, vor allem junges Publikum, jetzt waren es nicht mal mehr 150. Klapper versucht, sich zu helfen. Gemeinsam mit Kino und Hotel hat sie im Foyer eine kostenlose Teststation installiert. Außerdem wurde ein alter Opel Corsa für den neu eingerichteten Lieferdienst gekauft, die „Klapperkiste“. Sie ärgert sich über die schlechte Beratung und Trägheit der Behörden. Nach einer Rechtsnachfrage zu ihrer Bar „Klapperino“ in der Innenstadt habe sie zehn Tage auf eine Antwort warten müssen.

Sabrina Klapper.

Sabrina Klapper.

 Klapper hat ihre eigene Theorie: Die 70-Prozent-Vorschrift habe wegen der vorgeschriebenen Abstände quasi schon unter 2G plus gegolten. Jetzt das Plus wieder einzukassieren, sei eine rein gesichtswahrende Maßnahme der Regierung. Sie ist sich mit Feldtmann einig: Immer werde die Gastronomie bestraft. Und sie fragt: „Wer bezahlt mir eigentlich die Ausfälle?“

Ständig neue Regeln verunsichern die Gäste

Klaus Cohrs.

Klaus Cohrs.

„Das Wirrwarr muss ein Ende haben“, sagt Klaus Cohrs, Inhaber von „Viebrocks Gasthaus“ in Rutenbeck. Rund 60 Prozent Geschäftseinbuße musste er in der Woche hinnehmen. Die Lage sei für Gastronomen schwierig, sagt Cohrs. Seit zwei Jahren habe er ein „extrem fremdbestimmtes Geschäftsleben“, weil er nicht weiß, welche Verordnungen und Bestimmungen demnächst gelten werden. Das Gleiche gelte für die Zeit, wenn die Werte wieder runtergehen: „Das haben wir schon zweimal mitgemacht.“ Ein Problem: Die Gäste reagierten zurückhaltend, wenn die Verordnungen „sich alle drei Tage ändern und angepasst werden“.

Gastwirt Sebastian Wohlers von der „Niedersachsenschänke“ in Fredenbeck ist niedergeschlagen und frustriert. Die immer wieder neuen und teilweise widersprüchlichen Verordnungen verunsicherten die Gäste. Er habe seine Öffnungszeiten reduzieren müssen. Für die Gastronomen seien die kommenden Wochen nicht planbar: „Wir können gar nicht nach vorne sehen.“ In den ersten drei Tagen nach der Einführung von 2G plus hätten 250 Leute abgesagt. Es seien zwar noch Gäste da, aber längst nicht genug für ein auskömmliches Geschäft – daran würden auch die Erleichterungen ab dem Wochenende nichts ändern. Der Betrieb bleibe ein Zuschussgeschäft. Die üppigen Förderprogramme böten zwar auch Chancen, doch die Zukunft sei ungewiss. An große Veranstaltungen wie die sonst übliche Mallorca-Party im Sommer sei nicht zu denken. Am 1. Weihnachtstag sei die „Niedersachsenschänke“ normalerweise ausgebucht. Wie es in diesem Jahr aussieht, vermag Wohlers nicht zu sagen: „Bis heute war nicht einer hier und hat seine Karte abgeholt, nicht einer hat angerufen.“ Der kleine Mann bleibe auf der Strecke. Die Menschen reagierten zunehmend aggressiv, die Menschlichkeit gehe verloren.

Wieder Kurzarbeit beantragt

„Erst wurde 2G plus eingeführt, ohne für ausreichend Testmöglichkeiten zu sorgen. Jetzt hat man mehr Möglichkeiten und nun will man die Tests wieder abschaffen. Das ist nicht zu verstehen“, sagt Marc Grünberg, Gastronom und Inhaber vom „Fährhaus“ in Wischhafen. Die 2G-plus-Regelung sei ein Lockdown durch die Hintertür gewesen und habe zunächst zu zahlreichen Stornierungen geführt, erzählt der 53-Jährige. Seit dreifach Geimpfte keinen Test mehr benötigen, habe sich die Lage beruhigt. Die Stammgäste seien häufig schon geboostert, und die jüngere Generation ist mobiler, um zu einem Testzentrum zu fahren, ergänzt Nicole Grünberg. Sie und ihr Mann, die vor 21 Jahren die Gaststätte von Marc Grünbergs Vater übernommen haben, glauben nicht, dass die 70-Prozent-Regel mehr bringt. „Es ist fraglich, ob dann wirklich mehr Gäste kommen.“

„Uns sind jetzt 90 Prozent des Weihnachtsgeschäftes weggebrochen“, sagt Wilhelm Wehrt, Inhaber des Hotels Altes Land und des Restaurants „Ollanner Buurhuus“ in Jork. Der Staat habe die Gastronomie in der Vergangenheit durch die Corona-Hilfen gut unterstützt, Gesundheit sei ein hohes Gut. Doch das gegenwärtige Hin und Her bei 2G und 2G plus sei geschäftsschädigend, so Wehrt. Er habe wieder Kurzarbeit beantragt. Sein Team habe viel Zeit investiert – drei Tage lang sei das Haus für einen vierstelligen Betrag weihnachtlich geschmückt worden, stundenlang hätten seine Mitarbeiter wegen 2G plus die Gäste anrufen müssen, um sie über die neuen Regeln zu informieren, die nun wieder kassiert worden sind.

Wilhelm Wehrt.

Wilhelm Wehrt.

Reisebusse kommen nicht mehr

Der Kutenholzer Festhallenwirt Dieter Murck war nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen voller Hoffnung. Die 2G-Regelung habe sich bewährt, auch Veranstaltungen mit rund 200 Gästen seien problemlos gelaufen. In der großen Halle seien Abstände gut einzuhalten. Als die 2G-plus-Regelung kam, musste Murck die ersten Termine absagen. Ein Großteil der Gäste komme über Bus-Reiseunternehmen. „Wo sollen sich die Senioren denn testen lassen?“, fragt Murck. Die Reiseunternehmen hätten ihre großen Kontingente storniert – über Wochen im Voraus.

Obwohl jetzt ohne die Testpflicht und mit einer 70-prozentigen Auslastung wieder mehr Möglichkeiten für Gastwirte bestehen, sagt Murck: „Das hilft uns nicht.“ Die Termine seien storniert worden. Das betreffe auch das Büfett an Weihnachten, ein Musik-Duo sollte auftreten. 200 Karten waren bereits reserviert. Nun gibt’s nur noch Essen im Außer-Haus-Verkauf. Die große Silvesterparty fällt auch aus: „Tanzen mit Maske läuft nicht, das machen die Leute nicht mit.“

Murck vermisst eine gerade Linie in der politischen Kommunikation: „Das ist wie im Kindergarten. Wir müssen es ausbaden.“ Er habe viel Geld investiert in die Modernisierung der Festhalle – „aber die Bude steht leer“.

Viele Weihnachtsfeiern abgesagt

„Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, sagt der Buxtehuder „Primus“-Wirt Matthias Schönfeld. Der Dezember wäre ohne Corona sein umsatzstärkster Monat, das Lokal in der Buxtehuder Altstadt auch wegen der Weihnachtsfeiern voll ausgelastet. „Normalerweise würde ich in diesen Tagen neue Reservierungswünsche absagen müssen, jetzt bekomme ich Absagen der reservierten Tische.“ Am vergangenen Dienstag verloren sich beispielsweise 15 Gäste im „Primus“, eine kleine Geburtstagsfeier und eine fünfköpfige Männerrunde, die dem Wirt noch Überstunden brachte, weil einer der Kerle um Mitternacht Geburtstag hatte. „Ich verzage nicht“, sagt Matthias Schönfeld, der aber inständig hofft, dass mit der neuen Regelung auch wieder mehr Gäste in den „Primus“ kommen.

„Die Absagen kann ich gar nicht alle zählen“, sagt Hein Höft. Das Auftragsbuch von „Höft’s Markthaus“ am Pfingstmarktplatz in Neukloster war für den Dezember randvoll: Landfrauen, Bauhof, Stadtwerke, Baumarkt – das sind nur einige von denen, die hier ihre Weihnachtsfeier gebucht hatten. Aber keine einzige davon hat die 2G-plus-Regel überlebt.

Hein Höft.

Hein Höft.

„Höft’s Markthaus“ bietet Platz für bis zu 120 Personen, und der Dezember ist wegen der Weihnachtsfeiern normalerweise der stärkste Monat. Nach einem schwierigen Jahr war das Geschäft eigentlich gerade wieder gut angelaufen. „Wir haben einen tollen September gehabt“, sagt Höft. Viele hätten Feiern nachholen wollen. Sogar mit 2G sei es noch einigermaßen gelaufen. „Ich kann das ja alles verstehen. Aber dann sollen sie uns mit dem Plus nicht noch einen reinknallen“, sagt Höft.

Nachfrage nach Unterstützungsprogramm groß

Das Plus hat Niedersachsen nun zurückgenommen und zudem ein 55-Millionen-Euro-Unterstützungsprogramm auf den Weg gebracht. Wer das von den Gastronomen nutzen will, muss sich aber beeilen, denn die Nachfrage sei groß. Minister Althusmann: „Für die Gastronomie wollen wir mit einer machbaren Erleichterung dafür sorgen, dass unter den derzeitigen Pandemiebedingungen der Betrieb aufrechterhalten werden kann.“ (ari, bene, bv, ing, sal, sh, wst)

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