Interview

Chef der Hamburger Handelskammer: „Im Bereich des Hafens müssen wir in die Offensive kommen“

Wer den Arbeitsplatz von Malte Heyne betritt, fühlt sich sofort umfangen vom Geist der Hansezeit. Im Gebäude der Handelskammer am Adolphsplatz ist die lange und besondere Tradition der Institution mit Händen zu greifen. Der 43-Jährige findet darin noch heute Inspiration für seine Arbeit.

Von Markus Lorenz Samstag, 20.05.2023, 12:00 Uhr
Volkswirt Malte Heyne kam 2007 zur Handelskammer, ist seit 2020 hauptamtlicher Geschäftsführer. Foto: Handelskammer / Oliver Vonberg

Volkswirt Malte Heyne kam 2007 zur Handelskammer, ist seit 2020 hauptamtlicher Geschäftsführer. Foto: Handelskammer / Oliver Vonberg

Verwegene Kaufleute, die ihr Glück tatkräftig selbst in die Hand nehmen – das soll auch für Hamburgs Zukunft wichtig sein.

TAGEBLATT: Herr Heyne, als Hauptgeschäftsführer der Handelskammer vertreten Sie die Interessen von sage und schreibe 170.000 Unternehmen in Hamburg. Sind Sie mächtig?

Heyne: Es ist unsere Aufgabe, die Positionen dieser 170.000 Unternehmen mit 800.000 Mitarbeitern zu ermitteln und zu vertreten. Ich glaube, dass sich hieraus ein gewisser Einfluss ergibt.

Nicht wenige Menschen denken, die wahre Macht in Hamburg liegt bei den Kaufleuten, nicht beim Senat. Ist da was dran?

Die politische Macht liegt bei den gewählten Volksvertretern. Die Handelskammer bietet der Politik Beratung an. Interessenvertretung ist letztlich die kostenlose Bereitstellung von Informationen. Natürlich haben wir starke Interessen, und es ist notwendig, diese Interessen in den politischen Diskurs einzubringen, damit es in der Wirtschaft gut läuft. Es geht uns nicht um Macht, sondern um gute Rahmenbedingungen. Wir wollen die Zukunft von Hamburg und des Wirtschaftsstandorts aktiv mitgestalten. Das ist ein großer Anspruch.

Wie geschieht die Einflussnahme auf den Senat praktisch?

Das passiert sehr vertrauensvoll. Es gibt einen regelmäßigen Austausch mit dem Bürgermeister und den Senatoren zu konkreten Themen. Das hat nichts Geheimniskrämerisches, das ist unser gesetzlicher Auftrag. Und wir haben den Eindruck, dass man uns als Partner und Impulsgeber auch schätzt.

Es gibt einen sagenumwobenen Gang, der das Gebäude der Handelskammer direkt mit dem Rathaus verbindet. Für die Tür haben angeblich nur die Kammerchefs einen Schlüssel…?

Natürlich benutzen wir diesen Gang ins Rathaus. Vor allem wenn’s regnet, ist das angenehm (lacht). Aber: Das ist nicht sagenumwoben, sondern einfach die Verbindungstür zwischen Handelskammer und Rathaus. Wir haben einen Schlüssel, um sie zu öffnen. Von der anderen Seite geht das meines Wissens tatsächlich nicht.

Hat die Kammer de facto ein Vetorecht bei zentralen politischen Entscheidungen?

Es gibt kein Vetorecht. Aber, wenn wir merken, dass es der Wirtschaft nicht gut geht oder Dinge in die falsche Richtung laufen, ist es unsere Pflicht, die Politik darauf hinzuweisen und das tun wir.

Zum Beispiel?

Aktuell beim Bewohnerparken. Wir sind auch für eine Mobilitätswende, aber es ist des Guten zu viel, wenn Betriebe gegenüber Anwohnern benachteiligt und aus den Quartieren gedrängt werden. Das ist eine Fehlentwicklung, auf die wir klar hinweisen. Wir haben ein Modell vorgeschlagen, Betriebe so zu behandeln wie die Privathaushalte in den Parkzonen. Aus dem Bewohnerparken soll ein Anrainerparken werden.

Hamburgs Handelskammer hat eine sehr lange Tradition seit 1665. Wie viel davon steckt heute noch in der Einrichtung?

Diese lange Tradition ist extrem wertvoll. Als Piraten im 17. Jahrhundert in der Elbmündung Kaufmannsschiffe plünderten und der Senat nicht in der Lage war, das zu beheben, haben die Kaufleute gesagt: Wir finanzieren selbst Konvoischiffe zum Schutz der Handelsschiffe. Dieses Selbstverständnis, die Dinge in die Hand zu nehmen und nicht nur nach dem Staat zu rufen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Kammergeschichte.

Inspiriert Sie ein solcher hanseatischer Kaufmannsgeist heute noch?

Ich bin zwar ein Typ, der sehr in die Zukunft schaut, aber auch historisch sehr interessiert ist. Ich halte es für wichtig und spannend, zu gucken, was wir aus unserer Geschichte für die Zukunft lernen können. Unsere Geschichte gibt Inspiration und eine gewisse Kraft.

2017 übernahmen „Kammer-Rebellen“ die Macht, schafften mit Kritik an Machtgebaren, Selbstherrlichkeit und übertriebener Traditionspflege der früheren Kammerführung einen Erdrutschsieg. Was ist von der Rebellion geblieben?

Ich habe 2020 eine Kammer vorgefunden, die stark mit sich selbst beschäftigt war und die wir neu aufstellen mussten. Dass dies gelungen ist, lag sicherlich auch an den damals sehr intensiven Diskussionen. Wir haben uns mit der Kritik auseinandergesetzt. Denn die Frage nach Sinn und Nutzen von Industrie- und Handelskammern ist berechtigt, und wir haben diese Frage klar beantwortet. Die Hamburger Wirtschaft hat gesagt: Wir wollen eine moderne Kammer mit moderner Mitgliederbeteiligung. Unsere Aufgabe ist es, mit der Wirtschaft und über die Wirtschaft hinaus, die Zukunft des Standortes Hamburg zu gestalten.

Sie und Präses Norbert Aust haben die Kammer nach den Chaosjahren der „Rebellen“ in ruhiges Fahrwasser geführt. Sind Sie jemand, der besonders gut Vertrauen schaffen und Menschen zusammenbringen kann?

Ein Kammer-Hauptgeschäftsführer braucht grundsätzlich die Fähigkeit, Leute zusammenzubringen, Verbindungen herzustellen. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren ist alles andere als eine Einzelleistung gewesen. Es geht nur im Team.

Corona, Ukraine-Krieg, Inflation, Energieknappheit – Wie geht es der Hamburger Wirtschaft nach drei Jahren Dauerkrise?

Insgesamt war es ein erfolgreiches Krisenmanagement. Hamburgs Wirtschaft ist robust. Mehr und mehr Unternehmen kämpfen sich aus der Krise, die Stimmung ist weniger pessimistisch als noch im Herbst. Wir sind also ganz gut durchgekommen bisher, was aber nicht gottgegeben ist.

Das heißt?

Jede Krise legt strukturelle Herausforderungen offen. Hamburg muss aus diesen Krisen Lehren ziehen und seine Hausaufgaben machen. Im Bereich des Hafens etwa müssen wir in die Offensive kommen. Wir müssen dringend aufpassen, dass wir unsere Energiepreise international wettbewerbsfähig gestalten. Aktuell fließen viele Investitionen in die USA – Stichwort Inflation Reduction Act – und eben nicht an unseren Standort.

Zeigt sich gerade in großen Krisen ein besonderer Hamburger Unternehmergeist?

Das Wissen um die eigene Stärke und Tradition und dass man schon eine Menge Krisen abgewettert hat, zeigt sich dabei schon. Es gibt hier eine gewisse Unaufgeregtheit und das Motto: Wir packen das jetzt an. Das ist in Hamburg stark verankert.

Identitätskern ist der Hafen, doch der stagniert seit 15 Jahren. Was macht Hamburg falsch?

Der Hafen war immer wichtig, ist wichtig und bleibt wichtig. Gerade, weil die Zukunft Hamburgs in Innovationen liegt. Autonome Mobilität, Wasserstoff, Energieversorgung der Zukunft, Nutzung von Künstlicher Intelligenz – das passiert alles schon im Hafen. Aber natürlich sehen wir auch, dass der Umschlag stagniert. Das hat vielfältige Gründe.

Welche?

Die Elbvertiefung ist zu spät gekommen, außerdem ist der Hafen relativ teuer für Unternehmen. Wir brauchen mehr Effizienz durch Automatisierung in den Terminals. Zudem gibt es Wettbewerbsnachteile wie die Einfuhrumsatzsteuer. Ein weiterer Grund ist das langwierige, lähmende Planungsrecht. Wir kommen bei wichtigen Infrastrukturprojekten nicht schnell genug voran. Die Analyse ist klar, jetzt muss gehandelt werden.

Wie denn?

Wir warten auf den neuen Hafenentwicklungsplan, inklusive der Flächenentwicklung im Hafen, um dort mehr Industrieansiedlung machen zu können, etwa für die Wasserstoffwirtschaft. Auch eine neue Köhlbrandquerung und die Autobahn A 26 Ost müssen endlich kommen.

Die Beteiligung von Cosco am Containerterminal Tollerort ist hoch umstritten. Macht Ihnen das Sorgen?

Das ist eine politische Diskussion, die dem Sachverhalt aus unserer Sicht nicht gerecht wird. Das Instrument von Terminalbeteiligungen nutzen viele andere Häfen sehr erfolgreich, auch Hamburg muss dafür offener sein. Klar ist, dass es keine Beteiligung an Grund und Boden im Hafen gibt, sondern nur an der Betreibergesellschaft des Terminals. Und solange im konkreten Fall keine Sicherheitsaspekte transparent und nachvollziehbar berührt sind, müssen unternehmerische Entscheidungen unternehmerische Entscheidungen bleiben.

Sie halten eine Abhängigkeit vom Handelspartner China für unbedenklich?

Wir müssen genau hingucken und fragen: Was sind die Abhängigkeiten von China? Der weit überwiegende Teil des Chinahandels ist völlig unkritisch. Wenn es aber um Rohstoffe geht wie seltene Erden oder um Chips und Elektronik, müssen wir uns breiter aufstellen. Für einen Kaufmann ist es immer gut, mehrere Bezugsquellen zu haben. Dabei unterstützen wir als Handelskammer die Unternehmen.

Die Handelskammer hat ein visionäres Standortkonzept für Hamburg 2040 vorgelegt. Motto: „Wie wollen wir künftig leben – und wovon?“ Ja, wovon denn?

Tatsächlich stellen wir etwas provokant die Frage nach dem Wovon ins Zentrum. Wir sagen, in Hamburg muss – bei allem Krisenmanagement – jetzt in die Zukunft investiert werden.

Wo liegt Hamburgs Zukunft?

Vor allem die Energiewende ist eine Riesenchance, auch um den norddeutschen Wirtschaftsraum stärker zu entwickeln und für die Industrieansiedlung. Denn Industrie folgt der Energie. Insgesamt liegt Hamburgs Chance in einer innovativen Transformation der Wirtschaft.

In welchen Bereichen?

Zuerst durch einen klaren Fokus auf Kerntechnologien, in denen wir Weltmarktführer werden können, nämlich Wasserstoff, MRNA-Technologie, autonome Mobilität und Künstliche Intelligenz, insbesondere in der Logistik.

Warum sollen weltweit begehrte pfiffige Jungunternehmen sich ausgerechnet in Hamburg ansiedeln?

Dafür wollen wir Innovationsfreiräume schaffen, in denen der Staat finanziell fördert und innovativen Firmen regulatorischen Freiraum gewährt. Das ist Neuland, so etwas gibt es bisher in Deutschland nicht. Anders als in Technologieparks geht es nicht um ein geschlossenes Gebiet, sondern die Regelungen sollen in ganz Hamburg gelten. So können wir die Stadt für internationale Unternehmen als Startrampe positionieren. Diese Zukunftsoffensive sollte der Senat durch eine Innovationsmilliarde unterstützen, finanziert aus den privatwirtschaftlichen Erträgen der Stadt, zum Beispiel der Hapag-Lloyd-Dividende. Wir müssen weltweit das Signal geben: Hamburg meint es ernst.

Die OECD hat Hamburg und der Metropolregion schon vor Jahren ins Stammbuch geschrieben, ihre großen Potenziale nicht zu nutzen. Passiert ist seither fast nichts. Kein Ruck, nirgends. Was macht das mit Ihnen?

Ich bin ein ungeduldiger Mensch, mir geht’s nicht schnell genug voran. Wir als Kammer haben aber leider nicht die Entscheidungsmacht. Hamburg und die Metropolregion brauchen mehr Geschwindigkeit. Und wir wünschen uns vom Senat eine größere Zukunftsorientierung.

Zur Person

Malte Heyne ist in Hannover geboren. Der Volkswirt mit Doktortitel kam 2007 zur Handelskammer. Sechs Jahre leitete er als Geschäftsführer die IHK Nord, den Verbund der zwölf norddeutschen Kammern. Nach den turbulenten Jahren der Kammer-“Rebellen“ übernahm er im August 2020 den Posten des hauptamtlichen Hauptgeschäftsführers der Institution am Adolphsplatz. An der Seite des ehrenamtlichen Präses Norbert Aust leitet Heyne seither die mit Abstand wichtigste Wirtschaftsvertretung im Stadtstaat, in der 170.000 Unternehmen organisiert sind. Der 43-Jährige ist verheiratet, hat drei Söhne im Alter sechs, acht und zehn Jahren. In seiner Freizeit spielt Heyne Hockey und segelt. Die Familie lebt in Ahrensburg, plant aber einen Umzug nach Hamburg.

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