Christian Redl: „Du bist ein bisschen dumm, aber sieh zu, dass es keiner merkt“

Schauspieler Christian Redl: „Mit meinem Beruf bin ich viel besser klargekommen als mit meinem Leben.“ Foto: Westend
Frisch zurück von der Leipziger Buchmesse, wo Christian Redl seine Autobiografie „Das Leben hat kein Geländer“ vorstellte, trifft er das TAGEBLATT in seinem ehemaligen „Wohnzimmer“ im Reichshof Hotel. Ein treffender Platz, um noch mal über das eigene Leben zu reden.
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„Das Leben hat kein Geländer“ heißt Ihre Autobiografie, haben Sie in Ihrem Leben zu oft ein Geländer oder eine Stütze vermisst?
Ja, das war wohl so. Ich habe oft ins Leere gegriffen oder hatte keinen Halt.
Dabei scheint es so, als hätte es für Sie zum richtigen Zeitpunkt immer die richtige Stütze gegeben: der Lehrer, der Sie für das Theater begeisterte, der Dramaturg, der an Sie glaubte, Freunde wie Schauspieler Ulrich Tukur oder Regisseur Uli Waller, die für Sie da waren, und nicht zuletzt Ihre Frauen.
Alles richtig, aber dazwischen gab es immer wieder lange, lange Phasen, wo ich mit mir selber zurechtkommen musste. Wo ich auf mich selbst angewiesen war und eben niemand da war, der mich irgendwie gestützt oder mir zumindest einen guten Rat gegeben hat. Ich bin ja in dieses Leben rausgegangen, ohne zu wissen, was da auf mich zukommt. In der Waldorfschule landete ich plötzlich auf der Bühne als einer, der mehr oder weniger ein schüchternes, scheues Kind war. Und der als nicht wahnsinnig helle galt, wie mein Vater sagte: „Du bist ein bisschen dumm, aber sieh zu, dass es keiner merkt“, das hat er wirklich zu mir gesagt. Darüber kann man lachen, aber das ist ein Satz, der sitzt. Ich will nichts mit der Kindheit entschuldigen, aber ich hatte oft das Gefühl, nicht der zu sein, der ich sein wollte. Selbstbewusstsein war mir nicht gegeben, ich musste es mir immer wieder aufs Neue erkämpfen.
Sie kämpften viele Jahre gegen ein tief sitzendes „Gefühl von Bedeutungslosigkeit“ und konnten vor Menschen nicht über sich reden. Was hat Sie trotzdem so sicher gemacht, Schauspieler werden zu wollen?
Das ist eine Sache, die ich bis heute nicht wirklich verstanden habe: Dass ich als Schüler „unter ferner liefen“ plötzlich den Mut hatte, mich auf eine Bühne zu stellen und den Prinzen von Homburg zu spielen. Und dann auch den Hamlet. Ich weiß bis heute nicht, wie das passieren konnte. Offenbar hatten die Texte eine unmittelbare Wirkung auf mich ausgeübt. Und das Vertrauen in mich selbst, diese nicht ganz einfachen Rollen spielen zu können, kam wie von selbst. Wie ein unerwartetes Geschenk.
Wann hat sich dieses Gefühl von Bedeutungslosigkeit verabschiedet und wodurch?
Es hat sich beruhigt, aber es hat sich nie verabschiedet.
Sie schreiben in großer Ehrlichkeit über Ihre Frauengeschichten. Waren die auch ein Versuch, aus der Bedeutungslosigkeit zu entkommen?
Na, sicher. Bei meinen Buchpräsentationen wird immer wieder gesagt, ich sei schonungslos gegen mich selbst. Was denn aber sonst? Soll ich mich anlügen und mein Leben im Plauderton aufschreiben? Anekdoten erzählen und bebildern, mit meinen Lieblingsrollen, die schmerzhaften und unangenehmen Dinge weglassen? Dafür sorgen, dass ich mich in einem möglichst günstigen Licht präsentiere? Diese Biografien gibt es zuhauf. So etwas wollte ich nicht.
Warum nicht?
Weil ich meiner Frau versprochen habe, mein Leben so aufzuschreiben, wie es war. Glücklicherweise war ich nicht unter Zugzwang eines Verlags. Ich habe einfach drauflosgeschrieben und hatte ehrlich gesagt überhaupt nicht daran gedacht, das irgendwann zu veröffentlichen. Eigentlich habe ich es nur für meine Frau und für mich geschrieben. Als ich mit dem Buch dann fertig war und es ein paar Kollegen zum Lesen gegeben hatte - irgendwie ist man ja doch eitel - sagten die mir, das ist doch auch Zeitgeschichte. Zum Beispiel die Erinnerungen an meine Kindheit, wenn die Familie am Samstagabend nacheinander in der gleichen Badewanne gebadet hat, anfangs der Vater und als Letztes ich, wenn das Wasser schon kalt und schmutzig war.
Ist an Ihnen eigentlich ein erstklassiger Musiker und Sänger, vielleicht sogar ein Popstar verloren gegangen?
Definitiv nein. Ich war immer sehr im Zweifel mit mir. Aber es gab auch Phasen von Größenwahn. Es gab zum Beispiel den Moment auf Mykonos, als ich Songs komponiert, geschrieben habe. Da dachte ich, das ist ja richtig gut, oh scheiße, jetzt werde ich berühmt. Und das will ich doch eigentlich gar nicht: So berühmt zu sein, dass die Presse hinter mir her ist. Da kriegte ich Panik.
Trotzdem haben Sie den Tag, an dem Sie die Lieder im eigenen Studio einspielten und alle Instrumente selbst bedienten als den „sinnvollsten Tag ihres Lebens“ mit einem „unbeschreiblichen Gefühl innerer Genugtuung“ bezeichnet ...
So war es auch. Ich war alleine mit mir und nicht in irgendeiner Abhängigkeit zu Leuten, mit denen ich irgendwie auskommen musste. Alleine mit meinen Instrumenten in meinem kleinen Tonstudio. Ich konnte machen, was ich wollte. Und alles schien mir spielerisch leicht zu gelingen. Das war nach wie vor der sinnvollste Tag meines Lebens, weil ich da unheimlich kreativ und ganz bei mir selbst war. Und vor allem war ich frei von Angst. Gerade die Angst war immer ein riesen Thema für mich.
Haben Sie ihren Bühnenerfolg als Schauspieler teuer erkauft, zum Beispiel mit der Anhängigkeit zu Ihrem „besten Freund, dem Alkohol“?
Alkohol ist kein guter Freund. Diese Erfahrung habe ich nun wirklich gemacht und sie hat mich auch einiges gekostet. Vor allem an verplemperter Zeit. Fast jede Nacht habe ich in einer Säuferkneipe in St. Georg gesessen. Nach den Vorstellungen habe ich da gehockt und mich gefragt, warum erkennt mich keiner, warum bin ich so traurig, so melancholisch. Das wechselte mit Zuständen heftigster Euphorie, die mich glauben ließen, alles sei möglich. Das kam und ging. Wie am Theater. Der Erfolg, den ich am Abend auf der Bühne hatte, währte maximal nur eine halbe Nacht. Schon am Morgen danach war es vorbei. Dann musste ein neuer Erfolg her. Oder irgendein Trost.
Der Gang auf die Bühne kam an vielen Abenden „einem Gang zum Schafott gleich“, schreiben Sie…
Ja, der Gang auf der Langen Reihe hoch zum Hamburger Schauspielhaus. Hier im „Reichshof“ habe ich dann oft gesessen, meine Texte memoriert und versucht, die immer wiederkehrende Angst vor dem Versagen abzuschütteln.
Trotzdem nimmt Ihre Theaterkarriere den größten Raum in Ihrer Biografie ein.
Weil ich eine Filmkarriere nicht gemacht habe, das kann man schon so sagen. Beim Fernsehen ist eine Menge passiert, hätte aber auch mehr sein können. Aber ich war ja schon vierzig, als ich mit dem Fernsehen angefangen habe. Ich habe lange gezögert, aus Überzeugung. Weil ich als Theaterschauspieler dachte, Fernsehen ist Müll. Das macht man nur für Geld.
Und dann wird Ihnen ausgerechnet da die „klassische Altersrolle“ als eigenbrötlerischer TV-Kommissar in inzwischen 15 „Spreewaldkrimis“ beschert, wovon die meisten Kolleginnen und Kollegen in Ihrem Alter nur träumen können. Fühlen Sie sich manchmal auch vom Glück beschenkt?
Was das betrifft schon. Mein Leben war sicherlich anstrengend: viele Katastrophen, Depressionen, der Alkohol. Aber summa summarum habe ich auch viel Glück gehabt. Mit meinem Beruf bin ich viel besser klargekommen als mit meinem Leben. Mein Problem war, mich selber auszuhalten und mich immer wieder einzukriegen. Als das ZDF und der Regisseur Kai Wessel mir das Angebot machten, den Kommissar im Spreewaldkrimi zu spielen, wusste ich sofort, das ist jetzt ein großes Glück, das mir da grade widerfährt. Hildegard Knef hat mal einen wunderbaren Satz gesagt: „Das Glück sind nur Minuten, der Rest ist warten“.
Seit 2015 sind Sie mit Ihrer großen Liebe verheiratet und leben eine Fernbeziehung. Warum ziehen Sie nicht einfach nach Recklinghausen zu Ihrer Frau?
(lacht) Weil ich im Moment hier in Hamburg noch sehr gerne lebe und sie da ja noch die Schule hat und ihre Mutter. Und weil es uns so sehr gut gefällt.
Oder haben Sie einfach Angst, auf Ihre alten Tage wieder Ihre Freiheit zu verlieren?
Nee, die habe ich nicht. Um meine Freiheit mache ich mir wirklich keine Sorgen. Wir sehen uns regelmäßig, genießen es aber auch, immer mal wieder auf Abstand voneinander zu gehen. Und dann gibt es natürlich die Phasen, in denen wir länger zusammen sind und viel Zeit miteinander verbringen. Alles ist gut so, wie es ist, ich kann es mir gar nicht besser wünschen. Mit meiner Frau Martina habe ich enormes Glück gehabt: Dass sie mir gerade noch rechtzeitig über den Weg gelaufen ist, das betrachte ich nach wie vor als ein kleines Wunder.
Bitte ergänzen Sie...
Wenn ich mal nicht auf der Bühne oder vor der Kamera stehe... gehe ich spazieren, am liebsten am Wasser, zum Beispiel an der Alster, oder ich lese. Ich sitze aber auch wahnsinnig gern im Café und lasse die Gedanken fliegen.
Die griechische Insel Mykonos... war für mich ein erfüllter Traum, als der Tourismus noch nicht so brachial war. Es gab viele schöne einsame Momente, ich konnte das Licht genießen, das Wasser.
Mein Lieblingsplatz in Hamburg ist.... meine Wohnung.
Freundschaft bedeutet mir... einen Menschen zu haben, dem ich mich völlig anvertrauen kann.
Liebe ist... das Elementarste überhaupt. Ohne Liebe geht gar nichts.
Angst vor dem Tod... ist noch nicht vorhanden, komischerweise. Ich warte noch auf den Moment. Und sage mit Hamlet: „In Bereitschaft sein ist alles.“
Zur Person
Er hat in seinem Leben schon fast alles gemacht: Theater, Film, Fernsehen, Musik, Lyrik, Hörspiel. Jetzt schaut Christian Redl (75) zurück. Mutig und in radikaler Offenheit spricht er über Ängste und Versagen, Scheitern und innere Zerrissenheiten, seinen Kampf gegen den Vater und den Alkohol. Und mit der Liebe. Von allem hatte sein Leben etwas zu viel.
Er ist in Schleswig geboren und in Kassel aufgewachsen. Zum Schauspiel brachte ihn ein Lehrer seiner Walddorfschule, der ihn mit 18 Jahren Shakespeares „Hamlet“ am Schultheater spielen ließ und ihn so für die Bühne begeisterte. Ein Dramaturg holte ihn gegen Widerstände zu seinem ersten Engagement ans Schauspielhaus Wuppertal und nahm ihn später dann an die Städtischen Bühnen Frankfurt mit. Redl spielte von 1980 bis 1993 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg unter Regisseuren wie Peter Zadek und Luc Bondy. Später auch in den Kammerspielen und am St. Pauli Theater.
Für seine erste große Filmrolle als „Hammermörder“ wurde er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Zu seinen bekanntesten Filmen gehört „Der Untergang“ von Bernd Eichinger. Seit 2006 spielt er den wortkargen und eigenbrötlerischen TV-Kommissar in der ZDF-Reihe „Spreewaldkrimi“.
Seit 1980 lebt Redl im Hamburger Stadtteil St. Georg, seit 2015 ist er mit einer Schuldirektorin in Recklinghausen verheiratet und lebt mit ihr in einer Fernbeziehung.