Comeback auf großer Bühne: Norddeutsche Minderheitenpartei im Bundestag

SSW-Parteichef Flemming Meyer (links) und Stefan Seidler, Spitzenkandidat des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) auf der Wahlparty der Partei. Foto: Birgitta von Gyldenfeldt/dpa
Fast 70 Jahre war der SSW nicht mehr im Bundestag vertreten. Fast genau so lang trat die Minderheitenpartei nicht mehr bei nationalen Wahlen an. Doch nun ist es offiziell: Der SSW hat künftig einen Abgeordneten nach Berlin. Worum will er sich kümmern?
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«Mission Bundestag» erfüllt: Erstmals seit rund 70 Jahren zieht der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) mit einem Abgeordneten wieder ins nationale Parlament ein. Künftig sitzt der Flensburger Stefan Seidler als fraktionsloser Abgeordneter in Berlin im Parlament. «Ich freue mich, die ganze Partei freut sich mit mir», sagte Seidler am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Er kündigte an, sich für alle Minderheiten einsetzen und den Finger in die Wunde zu legen, wenn Schleswig-Holstein zu kurz komme. «Wenn das der Fall ist, werde ich lautstark darauf aufmerksam machen.»
Die Partei der dänischen und friesischen Minderheit in Schleswig-Holstein hatte am Sonntag zum ersten Mal seit 60 Jahren wieder an einer Bundestagswahl teilgenommen. 1949 schaffte Hermann Clausen als bislang einziger Abgeordneter dem Einzug ins Parlament - für eine Legislaturperiode allerdings nur. 1961 beschloss die Partei, nicht mehr für den Bundestag anzutreten. Seitdem wurde ein Comeback regelmäßig diskutiert, jedoch stets abgelehnt. Im September 2020 entschied sich ein Parteitag mehrheitlich für eine Teilnahme.
Von Fünf-Prozent-Hürde befreit
Als Partei einer nationalen Minderheit ist der SSW von der Fünf-Prozent-Hürde befreit. Die Partei muss nur so viele Stimmen gewinnen, dass ihr nach dem Berechnungsverfahren ein Sitz zusteht. Gewählt werden konnte der SSW nur in Schleswig-Holstein - die 3,2 Prozent reichen für ein Mandat. Hochrechnungen sahen den SSW bereits früh am Sonntagabend mit einem Sitz im Bundestag. Bis zum offiziellen Ergebnis dauerte es allerdings bis in den frühen Morgen.
Viele SSW-Mitglieder harrten bis weit nach Mitternacht aus. Er sei bis kurz nach 4.00 Uhr dabei gewesen, sagte Parteichef Flemming Meyer der dpa. Aber es habe sich gelohnt: «Das Ergebnis ist gut. Dann ist alles gut.» Gut 55 300 Stimmen habe der SSW erhalten. In Schleswig-Holstein ist der SSW seit Jahrzehnten eine feste Größe und im Landtag sowie Kommunalparlamenten vertreten. Von 2012 bis 2017 war die Partei an der Landesregierung beteiligt. Südlich der Elbe hingegen ist die kleine Partei aus dem Norden bisher eher unbekannt.
Themen-Vorbild Skandinavien
«Seit Sonntag kennt man den SSW, denke ich, auch bundesweit», sagte Seidler. Das Interesse sei groß. Mit intensiver und konzentrierter Arbeit wolle er dafür sorgen, dass dies so bleibe, sagte der 41-Jährige, der zwei Töchter hat. «Nicht dass das nach wenigen Monaten wieder abflaut.»
Parteichef Meyer sagte, es gehe darum, in der Minderheitenpolitik und für Schleswig-Holstein etwas zu erreichen. An Beispielen aus Skandinavien wolle man zeigen, wie Herausforderungen etwa bei der Digitalisierung oder in der Verwaltung gelöst werden könnten. «Wir wollen ja nicht nur irgendetwas fordern. Wir wollen ja auch positiv beitragen zu einer Weiterentwicklung des Landes.»
Fraktionsloser Einzelkämpfer
Als Einzelkämpfer ist Seidlers Einfluss allerdings weit geringer als bei Mitgliedern einer Fraktion. Fraktionslose können keine Gesetzesinitiativen starten oder beim Ältestenrat Plenardebatten beantragen. Ausschüssen können sie zwar als beratende Mitglieder mit Rede- und Antragsrecht angehören, dürfen aber nicht abstimmen. (dpa)