Das schlichte Leben im Haus aus dem Quelle-Katalog

Eine Besucherin schaut in das Arbeitszimmer im Quelle-Fertighaus – eingerichtet im Stil der 1970er. Fotos: FLMK
Ein weiterer spannender Baustein der „Königsberger Straße“, mit der die Nachkriegszeit und die Zeit des Aufbaus am Kiekeberg einziehen, steht jetzt den Besuchern offen: Das Quelle-Fertighaus von 1966 gibt Einblicke in das Leben in den 1970ern.
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Im Sommer 2019 war das mehr als 40 Tonnen schwere Haus in einem aufwendigen Transport in einem Stück quer durch den Landkreis gerollt und von Winsen nach Ehestorf versetzt worden – jetzt ist es eröffnet worden und lädt die Besucher zu einer Zeitreise zurück in die 1970er-Jahre. Gebaut 1966, ist das Fertighaus, das Familie Gröll 1968 für 110 000 D-Mark aus dem Quelle-Versandhauskatalog kaufte, jetzt so eingerichtet, wie die fünfköpfige Familie in den 1970er-Jahren in ihm wohnte. Zur Einweihung waren die Söhne Christian und Matthias Gröll an den Kiekeberg gekommen – ist es doch ihre Familiengeschichte, die in dem 105 Quadratmeter großen Fertighaus gezeigt wird. Die Besucher gehen nun durch ihr Jugendzimmer mit Designer-Lampen und Musikkassetten, durch Küche, Arbeits- und Schlafzimmer, sehen das Wohnzimmer mit Kunstwerken und Keramiken und die Sammlungen der Söhne im Jugendzimmer: Cola-Flaschen, Comic-Hefte und selbstverständlich Schallplatten. Alles atmet den Geist der 1970er-Jahre, der Zeit von Woodstock und Rebellion, aber auch des zunehmenden Wohlstands.
Fertighaus vom Versandhausriesen
Auch die Grölls waren beispielhaft für viele Landkreis-Bewohner jener Jahre: Die junge Familie hatte vorher in dürftigen Verhältnissen gelebt, ein schneller Einzugstermin und die verkehrsgünstige Lage in der Nähe des Bahnhofs waren für den Hausherrn Walter Gröll wichtig, der täglich nach Hamburg pendelte. Seine Frau Gisela Gröll war gebürtige Hamburgerin, wollte jedoch der Kinder zuliebe in einem Haus mit Garten wohnen, das in Hamburg für das Paar unerschwinglich gewesen wäre.
Als die Familie 1968 einzog, war das Wohnen im Fertighaus ungewöhnlich, erinnert sich Christian Gröll: „Man sieht, dass das Haus aus Platten zusammengesteckt ist, die Wände und die Decken. Freunde sagten‚ ‚das sieht doch nicht aus‘. Aber unsere Eltern haben das Haus immer verteidigt: ‚Das bleibt so, das ist der Charakter.‘ Wir alle waren begeistert von der langen Panoramascheibe nach draußen.“ Sein Bruder Matthias Gröll ergänzt: „Damals traute sich kaum einer, so ein Haus zu kaufen. Alle wollten was Solides aus Stein.“
Deutsche sind skeptisch
Diese Skepsis der Deutschen ging in die internationale Fachliteratur ein, berichtet Museumsdirektor Stefan Zimmermann: „Bei Häusern aus Holz dachten viele an Notbauweise nach dem Krieg. Es entwickelte sich der Begriff ‚Barackenkomplex‘. In der „Königsberger Straße“ können die Besucher diese Entwicklung nun nachvollziehen: Auf kleiner Fläche zeigt die Baugruppe das Leben in einer Notunterkunft nach 1945, eines der frühen Flüchtlingshäuser aus den 1950ern – das erste eigene Dach über dem Kopf – und nun auch das moderne Leben im Fertighaus. „Das Haus ist funktional und innovativ: ein Haus als Massenprodukt, aus dem Katalog eines Versandhausriesen“, sagt Zimmermann. „Quelle warb damals für seine ‚Häuser von heute für Menschen von morgen‘ und versprach einen Aufbau in fünf Tagen, was aber meist nicht eingehalten wurde.“

Christian und Matthias Gröll sind in dem Fertighaus mit der großen Panoramascheibe aufgewachsen.
Für Kuratorin Zofia Durda, die seit Jahren zum Haus forscht und es mit den Gröll-Brüdern eingerichtet hat, ist die Arbeit mit dem Haus wie das Eintauchen in ein eigenes Universum: „Es ist ein Glücksfall, so außergewöhnlich gut dokumentiert. Die Tagebücher der Mutter Gisela Gröll, Fotos, wenig Umbauten und die Schilderungen der Brüder Gröll – auf dieser Basis werden wir weiter forschen.“
Eingebettet ist das Haus in die „Königsberger Straße“, die mit sechs Gebäuden die Entwicklungen der Region nach 1945 zeigt – als sich die Bevölkerung im Landkreis Harburg verdoppelte. Erfreulicherweise sind wir immer noch Zuzugslandkreis“, sagte Landrat Rainer Rempe bei der Eröffnung mit Blick auf die junge Familie aus Hamburg, die sich bahnhofsnah in Winsen das Quelle-Haus kaufte. „Das Museum schlägt mit der ‚Königsberger Straße‘ einen Bogen bis heute, es bleibt interessant für Menschen, die jünger sind. Und es blickt immer auch in die Gegenwart.“