Dem Mittelstand droht die Schuldenfalle

Das Minus zeigt's an: Das Konto ist überzogen. Foto: Mascha Brichta/dpa-tmn
Immer mehr Menschen steht finanziell das Wasser bis zum Hals. Sie suchen Hilfe bei Schuldnerberatungen. Doch auch hier sind die Kapazitäten knapp. Und es dürfte im nächsten Jahr wegen der steigenden Zinsen noch schlimmer werden.
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Von Elena Eggert und Christoph Willenbrink
Bis zu zehn Wochen Wartezeit müssen Schuldner in Kauf nehmen, wenn sie zum Beispiel eine Schuldnerberatung der Caritas in Anspruch nehmen wollen. Vielen Haushalten liefen angesichts der steigenden Energie- und Lebensmittelpreise die Kosten aus dem Ruder. „Wenn die Preissteigerungen Grundposten betreffen wie Energie, Mobilität und Nahrungsmittel, können Haushalte sehr schnell vor Entscheidungen stehen wie: Heizen wir oder essen wir drei Mahlzeiten am Tag?“, sagt Birgit Fix, Co-Leiterin der Kontaktstelle Politik des Caritasverbands.
Von den Preissteigerungen seien besonders Menschen mit niedrigem Einkommen betroffen, die bisher aber noch gut genug verdient haben, so dass sie nicht auf Sozialleistungen angewiesen waren.
Schuldnerberatungen über Wochen ausgebucht
„Viele Menschen und Familien, die bisher gerade so oder sogar gut über die Runde gekommen sind, können die aktuellen Preise nicht stemmen“, sagt Fix. Zwar seien auch Menschen, die auf die Grundsicherung angewiesen sind, anfällig für steigende Preise, sie seien jedoch über eine Anpassung der Leistungen gezielter zu erreichen. Vielen drohten nun Schulden oder die bereits angehäuften Schulden ließen ihnen keine Luft.
Auffällig sei, dass sich die Gruppe derer, die in den Schuldnerberatungen Hilfe suchten, zunehmend verändere. Seit der Pandemie würden neue Personengruppen, darunter auch (Solo-)Selbstständige, die Dienste in Anspruch nehmen. „Die Inflation treibt diese Erweiterung der Klientenbasis noch weiter voran. Unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Beratung berichten auch, dass die Fälle komplexer werden und sie länger beschäftigen als früher“, so Fix.
Steigende Kreditzinsentreffen vor allem Familien
Zunehmend Druck bis in den Mittelstand hinein erzeugen die steigenden Kreditzinsen, etwa für Familien, die angesichts günstiger Bauzinsen ein Eigenheim finanziert haben. Vor allem nach der Finanzkrise seit 2011, als die Zinsen deutlich sanken, wurden viele Immobilienkredite mit niedrigen Zinssätzen gewährt, die bei höheren Belastungen kaum bewilligt worden wären. Viele dieser Kredite laufen in den kommenden beiden Jahren aus. Dann sind die Zinsen für die Anschlussfinanzierungen nach heutigem Stand um bis zu drei Prozent höher.
Damit steigen die Belastungen der Haushalte durch die Monatsraten deutlich. Auf eine zehnjährige Laufzeit macht das bei einer Kreditsumme 150.000 Euro schnell einen mittleren fünfstelligen Betrag aus. Aktuell liegen die Zinsen für Immobilienkredite laut dem Finanzvermittler Interhyp mit annähernd vier Prozent auf dem höchsten Wert seit 2011. „Dass die Zinsen zeitnah wieder spürbar sinken werden, ist unwahrscheinlich“, sagte Mirjam Mohr, die für das Privatkundengeschäft zuständige Vorständin.
Nach Einschätzung von Fernando Fastoso, Luxusmarken-Experte an der Hochschule Pforzheim, werden in den kommenden Monaten für viele Menschen Dinge nun zu Luxus, die früher selbstverständlich waren. „Sonderausgaben wie Reisen - und gar Restaurantbesuche oder das Handyupgrade - werden für viele Menschen zum Außergewöhnlichen - und somit zum Luxus.“
Zahlungsschwierigkeiten? Schuldnerberatung frühzeitig aufsuchen
Das Konto ist leer, die monatlichen Rechnungen sind aber nicht beglichen: Wer beginnt, mit seinen finanziellen Verpflichtungen zu jonglieren, ist auf dem besten Weg in die Überschuldung. Bei ersten Anzeichen sollte man eine Schuldnerberatung aufsuchen.
"Erfahrungsgemäß gehen viele Menschen zu spät in die Beratungsstelle", sagt Christoph Zerhusen von der Verbraucherzentrale. Nämlich dann, wenn die Zahlungsunfähigkeit schon eingetreten ist.
Besser sei es, sich möglichst früh Hilfe zu suchen, sagt Ines Moers von der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung (BAG-SB). Das könne zum Beispiel sein, wenn ein Inkassoschreiben mit unerwartet hohen Kosten ins Haus flattert oder der Gerichtsvollzieher die Abgabe einer Vermögensauskunft fordert.
Anerkannte Beratungsstellen arbeiten meist kostenlos
Gute Anlaufadressen für Schuldnerberatungen sind Wohlfahrtsverbände, Kommunen und Verbraucherzentralen. "Wichtig ist, darauf zu achten, dass die Beratungsstelle amtlich anerkannt ist", sagt Zerhusen. Unter www.meine-schulden.de können Schuldner in einem Adressverzeichnis geeignete, nahe gelegene Beratungsstellen finden. Die Webseite bietet auch Informationen darüber, wie die Schuldnerberatung abläuft.
Vorteil der anerkannten Beratungsstellen: Sie arbeiten in der Regel kostenlos. "Wo doch Kosten anfallen, sollten diese auf jeden Fall vor Beginn der Beratung geklärt werden, damit es am Ende keine bösen Überraschungen gibt", sagt Zerhusen. In ganz Deutschland bestehe aber ein sehr gut ausgebautes gemeinnütziges Angebot in öffentlicher Trägerschaft.
Vorsicht bei Lockangeboten im Netz
Achtung: Gerade im Internet werben viele Anbieter mit schneller Beratung und kostenlosem Erstgespräch. Oft seien das aber Lockangebote, an die teure Beratungsverträge geknüpft sind, warnt Moers. Sie rät: "Lassen Sie sich darauf nicht ein – eine gute Schuldnerberatung muss nichts kosten!"
Wie schnell man einen Termin bei der Schuldnerberatung bekommt, ist regional sehr unterschiedlich. Mitunter liegen die Wartezeiten laut Moers bei bis zu acht Monaten. Wer allerdings in eine existenzbedrohende Situation geraten ist - zum Beispiel bei Kontopfändung oder drohendem Wohnungsverlust - sollte bei der Terminanfrage unbedingt darauf hinweisen. Für solche Fälle böten fast alle Beratungsstellen eine kostenfreie und sofortige Notfallberatung an, sagt Moers. (dpa/tmn)