Doping-Fall Vuskovic: HSV-Sportchef Boldt will System hinterfragen

Auch der dritte Verhandlungstag bringt kein Urteil: HSV-Profi Mario Vuskovic muss aber höchstens noch zwei Wochen warten. Der Fall wird die Doping-Experten und Analysten wohl noch lange beschäftigen.
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Ulrike John und Claas Hennig, dpa
"Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es bei Epo Unklarheiten gibt", sagte Boldt am Samstag dem TV-Sender Sky vor dem Zweitliga-Spiel des Hamburger SV gegen Holstein Kiel. Dass die Wada und die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada ihr System schützten, ist für den 41-Jährigen menschlich verständlich, aber auch "bedauerlich und für mich auch eine Farce".
Der Hamburger Fußball-Profi Vuskovic steht im Verdacht des Epo-Dopings. Am Freitag hatte das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) auch nach dem dritten Verhandlungstag noch kein Urteil gesprochen. Das soll nach Angaben des Vorsitzenden Stephan Oberholz in den nächsten zwei Wochen schriftlich erfolgen. Der 21-jährige Vuskovic hatte am Freitag erneut seine Unschuld beteuert. "Je länger das dauert und je tiefer man eintaucht, desto deutlicher wird, dass es eigentlich nur einen Freispruch geben kann", sagte Boldt.
Boldt: Präzedenzfall auf dem Rücken eines jungen Mannes
Vuskovic ist seit November vorläufig gesperrt. Dem kroatischen Innenverteidiger droht eine Sperre bis zu vier Jahren. Bei einem Schuldspruch kann er vor das DFB-Schiedsgericht ziehen. Sollte er freigesprochen werden, könnten die Nada oder die Wada den Internationalen Sportgerichtshof Cas einschalten.
Im Laufe des Prozesses vor dem DFB-Sportgericht hatte die Vuskovic-Seite Gutachten vorgelegt, in denen Zweifel an der Epo-Analysemethode der Wada geäußert wurden. Boldt sagte, es sei "keine Verhältnismäßigkeit", wenn das menschliche Auge entscheidet, ob ein Befund positiv oder negativ sei. Zum wissenschaftlichen Streit meinte er, dass man "leider auf einem Rücken eines jungen Menschen einen Präzedenzfall" habe.
Tränen, aber kein Urteil
Unter Tränen beteuerte Fußballprofi Mario Vuskovic im Schlussplädoyer des weitreichenden Doping-Verfahrens seine Unschuld. Der 21 Jahre alte kroatische Abwehrspieler des Hamburger SV darf auf einen Freispruch hoffen, muss aber auch weiter eine vierjährige Sperre befürchten. Das Sportgericht des Deutschen Fußball hat am dritten Verhandlungstag in Frankfurt/Main das Urteil erst für die nächsten zwei Wochen angekündigt. Wegen der Besonderheit des Verfahrens, wie der Vorsitzende Richter Stephan Oberholz in der DFB-Zentrale in Frankfurt/Main erklärte: "Wir brauchen Zeit."
Ein Dolmetscher übersetzte kurz vor Schluss der vierstündigen Verhandlung im Saal "Golden Goal" die Worte von Vuskovic: "Ich habe im Sport niemals betrogen, und das werde ich auch niemals tun (...). Jeden Tag wünsche ich, dass dieser Alptraum zu Ende geht. Vor allem befürchte ich, dass es morgen einen anderen Athleten treffen kann."
Streit um Epo-Nachweis
Der Rechtsstreit um den Zweitliga-Spieler hatte eine Grundsatzdebatte über den Nachweis bei Blutdoping entfacht - und diese ist wohl noch lange nicht zu Ende. Vuskovic steht unter dem Verdacht des Dopings mit körperfremden Erythropoetin (Epo). Seit November 2022 ist er suspendiert - trainieren mit seiner Mannschaft durfte er auch nicht.
Bei einer Verurteilung kann Vuskovic vor das DFB-Bundesgericht ziehen. Im Falle eines Freispruchs könnten die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada und die Welt-Anti-Doping-Agenur Wada den Internationalen Sportgerichtshof (Cas) anrufen.
Oberholz ließ schon zu Beginn der Verhandlung durchblicken, dass die Causa aus seiner Sicht wissenschaftlich "ausgeschrieben" sei. "Es droht, eine Never-Ending-Story zu werden", gab er angesichts der vielen Gutachten zu bedenken und betonte: "Wir meinen eine Entscheidung - heute - durchaus treffen zu können."
In einer über eineinhalbstündigen Pause wurde laut Oberholz dann versucht, das Ganze "konsensual", also einvernehmlich, zu regeln. Dies sei aber gescheitert. DFB-Chefankläger Anton Nachreiner sagte in seinem Plädoyer: "Ich halte diesen Dopingvorwurf völlig problemlos für nachgewiesen." Er plädierte aber für Strafmilderung "für einen 21-Jährigen jungen Mann, der vielleicht einmal einen Fehler gemacht hat" - bevor man "eine wahrscheinlich sehr erfolgreiche Karriere zunichtemachen würde". Die Anwälte des Fußballers hatten Freispruch beantragt, "weil Mario Vuskovic nicht gedopt hat".
HSV-Gutachter zweifeln Doping-Befund an
Angesichts des Streits der Experten hatte Oberholz zuletzt als Gutachter Jean-Francois Naud bestellt. Der Kanadier wurde aber erst gar nicht mehr wie erwartet in der Verhandlung zugeschaltet, sondern Oberholz berichtete von dessen Erkenntnissen: Demnach sei die Bewertung der Vuskovic-Probe im Dopinglabor Kreischa korrekt gewesen. Naud sitzt allerdings bei der Wada mit Kreischas Laborleiter Sven Voss in der Arbeitsgruppe für Epo. Einen Befangenheitsantrag der Vuskovic-Anwälte hatte das Sportgericht zuvor abgelehnt.
Vier vom Hamburger SV engagierte Experten hatten den positiven Befund des von der Wada akkreditierten Analyselabors in Kreischa einhellig als "falsch-positiv" angezweifelt. Laborleiter Voss versicherte hingegen, die Probe von Vuskovic sehe genauso aus, "wie eine positive Probe aussehen" müsse. Lorenz Hofbauer, Fachberater der Verteidigung und Professor am Universitätsklinikum Dresden, nannte am Freitag noch einmal verschiedene Kritikpunkte am Epo-Analyseverfahren. So sei die geringe Trennschärfe bei den Tests zwischen körpereigenem und körperfremdem EPO "fundamental".
Dass die seit über 20 Jahren angewendete Epo-Analyse nicht längst durch eine massenspektrometrische Methode ersetzt wurde, wird immer wieder kritisiert. Denn: Fast alle anderen Doping-Substanzen werden mit diesem Verfahren aufgespürt. Ein Epo-Ergebnis wird anhand eines Bildes per Augenschein interpretiert.