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Sieg in Pink: Füllkrugs Schulter lässt die EM-Vorfreude steigen

Thomas Müller klatscht mit Siegtorschütze Niclas Füllkrug ab.

Thomas Müller klatscht mit Siegtorschütze Niclas Füllkrug ab. Foto: Christian Charisius/dpa

Zweites Spiel, zweiter Sieg: Nach dem erfolgreichen Start ins EM-Jahr gegen Frankreich gewinnt die deutsche Nationalmannschaft auch den Klassiker gegen die Niederlande. Matchwinner ist ein Joker.

Von Klaus Bergmann, Arne Richter und Jörg Soldwisch, d Dienstag, 26.03.2024, 22:48 Uhr

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Frankfurt/Main. Matchwinner Niclas Füllkrug klatschte freudestrahlend mit seinen Teamkollegen ab, die verzückten Fans jubelten begeistert, und aus den Lautsprechern dröhnte der Queen-Hit „Don’t Stop Me Now“. Die Fußball-Nationalmannschaft hat einen perfekten Start ins EM-Jahr hingelegt und Hoffnungen auf ein neues Sommermärchen geweckt. 80 Tage vor dem Eröffnungsspiel bei der Heim-EM gewann die von Bundestrainer Julian Nagelsmann neuformierte DFB-Elf nach dem 2:0 in Frankreich auch den zweiten großen Test gegen Oranje mit 2:1 (1:1).

„Die gute Nachricht ist, dass wir zwei sehr gute Testspiele gemacht haben. Die schlechte ist, dass das keine Punkte bringt fürs Turnier“, sagte der einmal mehr spielstarke Rückkehrer Toni Kroos bei RTL. Nach dem frühen Rückstand durch Joey Veerman (4. Minute) habe das Team eine starke Reaktion gezeigt, meinte der Profi von Real Madrid. Vor ein paar Monaten wäre die Mannschaft „halb zusammengebrochen, aber das ist nicht passiert“. Man habe „den Schwung mitgenommen“ aus dem Sieg gegen Frankreich.

Mittelstädt: Erst Depp, dann Traumtorschütze

Der Stuttgarter Maximilian Mittelstädt hatte mit einem wunderschönen Distanzschuss unter die Latte schnell ausgeglichen (11.), der eingewechselten Füllkrug (85.) erzielte mit der Schulter das verdiente Siegtor. Das deutsche Team demonstrierte bei der Premiere im pinken Trikot im ausverkauften Frankfurter EM-Stadion mit seiner Spielfreude und dem Einsatzwillen die lange vermisste Turnierreife. Unter dem ehrgeizigen Nagelsmann entwickelt sich etwas.

Bundestrainer Julian Nagelsmann hat EM-Euphorie entfacht.

Bundestrainer Julian Nagelsmann hat EM-Euphorie entfacht. Foto: Federico Gambarini/dpa

Der Bundestrainer hat in nur einer Woche eine Formation gefunden, der nach Jahren der Tristesse bei der EM viel zuzutrauen ist - vielleicht sogar alles. Vor dem Turnier-Ernstfall am 14. Juni in München gegen Schottland kann Nagelsmann im Trainingslager und den Tests gegen die Ukraine und Griechenland noch am Feinschliff arbeiten.

Vor dem Anpfiff wurde zu Ehren der gestorbenen Weltmeister Franz Beckenbauer und Andreas Brehme eine Schweigeminute abgehalten. Rudi Völler war davon besonders berührt. Kurz davor hatte der DFB-Sportdirektor über das Stadionmikrofon den Fans versprochen: „Wir wollen den Schwung mitnehmen und nachlegen.“ Nagelsmann schickte dafür dieselbe Startelf wie beim überzeugenden Start ins EM-Jahr aufs Feld. Doch zunächst lief die Partie anders als gegen Frankreich.

Neue deutsche Torhymne erklingt

Diesmal lag das deutsche Team nicht früh in Führung, sondern schnell zurück. Nach einem schwachen Rückpass von Mittelstädt agierte Innenverteidiger Jonathan Tah gegen Memphis Depay zögerlich. Der Oranje-Angreifer konnte relativ ungehindert nach innen flanken, wo Veerman ungedeckt per Volleyschuss sehenswert vollendete.

Die DFB-Auswahl zeigte sich davon nicht geschockt - im Gegenteil. Die rasche Antwort kam ausgerechnet von Mittelstädt, der mit einem wuchtigen Linksschuss unter die Latte nach einer kurz ausgeführten Ecke von Kroos und Vorlage von Jamal Musiala seinen Fehler vor dem 0:1 ausbesserte. Wie schon gegen Frankreich beim Acht-Sekunden-Rekordtor von Florian Wirtz direkt nach dem Anstoß war die DFB-Elf nach einer einstudierten Aktion zum Torerfolg gekommen.

Nach seinem Premierentreffer feierte Mittelstädt (2.v.l.) zur neuen Torhymne „Major Tom“.

Nach seinem Premierentreffer feierte Mittelstädt (2.v.l.) zur neuen Torhymne „Major Tom“. Foto: Federico Gambarini/dpa

Das erste Tor im zweiten Länderspiel des Stuttgarter Linksverteidigers Mittelstädt feierten die Fans „völlig losgelöst“: Im Nachbarduell erfüllte der DFB den Wunsch vieler Anhänger, „Major Tom“ von Peter Schilling bei eigenen Toren zu spielen. Bis zum Abschluss einer Online-Petition waren knapp 70.000 Stimmen dafür zusammengekommen.

Deutsche Mittelfeld überzeugt erneut

Nach dem 1:1 kontrollierte Deutschland weitestgehend das Spiel. Im defensiven Mittelfeld gab Rückkehrer Kroos erneut den ballsicheren Taktgeber, eine Art Quarterback, der sich von der Manndeckung durch Tijjani Reijnders immer wieder befreien konnte. Vor Kroos ließen die beiden Offensiv-Youngster Musiala und Florian Wirtz ihre Klasse aufblitzen. Sie rotierten viel und waren für die niederländische Verteidigung kaum zu greifen. Nach einem feinen Pass von Musiala hatte Ilkay Gündogan in der 18. Minute das 2:1 auf dem Fuß. Doch der Abschluss des Kapitäns war kein Problem für Gäste-Torhüter Verbruggen.

Mittelfeld-Routinier Toni Kroos (2.v.l.) organisierte wieder das deutsche Spiel.

Mittelfeld-Routinier Toni Kroos (2.v.l.) organisierte wieder das deutsche Spiel. Foto: Federico Gambarini/dpa

Insgesamt war Gündogan in seinem 75. Länderspiel besser im Spiel als zuletzt in Frankreich. Der Profi des FC Barcelona verhinderte zudem in der 33. Minute den zweiten Oranje-Treffer, als er nach einer Kopfballvorlage des Münchners Matthijs de Ligt vor dem einschussbereiten Dortmunder Donyell Malen zur Ecke rettete.

Partie wird nach Seitenwechsel schlechter

Nach dem Seitenwechsel kamen die Gäste etwas besser aus der Kabine, und die Deutschen zeigten sich in der Abwehr wie bei der Großchance von Depay (61.) mitunter anfällig. Das erste deutsche Ausrufezeichen der zweiten Halbzeit setzte erneut Mittelstädt, der mit einem satten Distanzschuss Verbruggen prüfte (65.).

Insgesamt wurde das Spiel auf rutschigem Rasen aber zwischenzeitlich schlechter. „Leider ist der Platz eine Katastrophe, wirklich eine Katastrophe“, sagte Nagelsmann am Dienstag bei RTL. Das hätte sowohl offensiv wie auch defensiv negative Auswirkungen auf das zweite Testspiel im EM-Jahr gehabt, meinte der Bundestrainer. „Da gab es viele Situationen im letzten Drittel, als wir weggerutscht sind“, sagte Nagelsmann und nannte namentlich Bayern-Profi Jamal Musiala, „der mit seinen Haken leider in dem Fall keinen guten Stand hatte“.

Nagelsmann reagierte und brachte in Thomas Müller und Füllkrug zwei frische Offensivkräfte, das Unentschieden schien ihm nicht genug. Die Spieler auf dem Rasen schienen die Botschaft verstanden zu haben und erhöhten nochmal den Druck. Musiala (76.) und Müller (83.) scheiterten zunächst mit zwei guten Chancen, dann schlug Füllkrug zu: Nach einer Ecke von Kroos bugsierte der Dortmunder den Ball mit der Schulter ins Tor.

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in der Einzelkritik:

Ter Stegen: Ohne Abwehrchance bei Veermans Volley. Hielt gegen Simons den Sieg fest. Muss sich jetzt auf die EM-Reservistenrolle hinter Neuer einstellen.

Kimmich: Hinten rechts ist jetzt sein Revier. Nahm die Rolle wieder souverän an. Dirigierte und motivierte die Kollegen. Offensiv ist auf der Außenbahn noch mehr möglich.

Rüdiger: Defensiv aufmerksam und immer Herr der Lage. Verlor praktisch keinen Zweikampf. Seine weiten Diagonalpässe öffneten geschickt das Feld.

Tah: Stellungsfehler beim Gegentreffer, danach in seiner Bayer-Form. Grätschte viele Bälle weg und ist ein souveräner Abwehrstabilisator.

Mittelstädt: Ließ sich vom Fauxpas beim Gegentor nicht beirren. Schwebte förmlich nach seinem Premierentreffer. Gab keinen Ball verloren. Ist ein großer Gewinner der Testwoche.

Andrich: Räumte als Nebenmann von Kroos alles weg. Das ist sein Auftrag. Hat sich als Arbeiter gegen zwei Top-Teams für die EM in beste Position gebracht.

Robert Andrich (M.) im Zweikampf mit Tijjani Reijnders aus den Niederlanden.

Robert Andrich (M.) im Zweikampf mit Tijjani Reijnders aus den Niederlanden. Foto: Federico Gambarini/dpa

Kroos: Die Holländer stellten ihm Reijnders auf die Füße. Schuf sich trotzdem seine Räume und verteilte die Bälle präzise. Übernahm für die letzte halbe Stunde die Kapitänsbinde.

Musiala: Dribbelte Oranje in Grund und Boden. Machte dabei zu oft einen Schritt zu viel. Hatte die Großchance zum Siegtor (75.). Sein größter Gegner war der rutschige Rasen.

Jamal Musiala (M) kurbelte die Offensive an.

Jamal Musiala (M) kurbelte die Offensive an. Foto: Arne Dedert/dpa

Gündogan: Der Kapitän war viel präsenter als gegen Frankreich. Füllte gekonnt den Raum zwischen den Zauberern Musiala und Wirtz. Nach einer knappen Stunde runter.

Wirtz: Mr. Überall. Der Leverkusener ist neben Kroos die prägende Figur der neuen Fußball-Freude. Technisch brillant und wehrhaft gegen robuste Attacken von Oranje.

Havertz: Der Arsenal-Profi bewegt sich geschmeidig zwischen den Linien. Kein klassischer Mittelstürmer, aber immer auf der Lauer für den nächsten Pass von Wirtz oder Musiala.

Führich: Kam für Gündogan, ging mutig drauf und zeigte bei einem Solo seine Qualitäten. Läuft es in Stuttgart weiter gut, ist er bei der EM als Backup dabei.

Groß: Erste Länderspiel-Minuten seit September für den Brighton-Profi. Mit seiner Ballsicherheit und Übersicht kann er jederzeit die Rolle neben Kroos ausfüllen.

Füllkrug: Kam für 20 Minuten als Joker für das Sturmzentrum und setzte wieder einmal den Lucky Punch. Tor Nummer elf im 15. Länderspiel untermauert seinen Wert für die EM.

Müller: Der Routinier sang vor dem Spiel bei „Major Tom“ laut mit. Den Tor-Jingle konnte er dann bei seiner Riesenchance nicht starten. Bei der EM soll er mit seiner Erfahrung punkten.

Henrichs: Durfte in der Schlussphase als rechter Verteidiger ein paar Länderspiel-Minuten sammeln. Sein EM-Plus: Er kann auf beiden Seiten verteidigen.

Raum: Kam wie sein Leipziger Kollege Henrichs für die Schlussphase. Wird vermutlich mit genau diesem um einen Turnierplatz kämpfen müssen.

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