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Interview

„Ein Pferd ist kein Tennisschläger, den man mal eben neu bespannt“

Pferde-Expertin Julie von Bismarck saß schon im Alter von nur einigen Monaten auf einem Pferd. Foto: Guido Behsen

Pferde-Expertin Julie von Bismarck saß schon im Alter von nur einigen Monaten auf einem Pferd. Foto: Guido Behsen

Julie von Bismarck, Autorin mehrerer Bücher, ist als Beraterin für den richtigen Umgang mit Pferden weltweit im Einsatz. Im TAGEBLATT-Interview spricht sie über ihre Leidenschaft für Afrika, ihre Rückkehr nach Deutschland und über den richtigen Umgang mit Pferden.

Sonntag, 06.08.2023, 10:00 Uhr

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Ihre persönliche Reise hat die Urururgroßnichte von Otto von Bismarck nach vielen Jahren in Afrika unlängst zurück in den Norden geführt. Denn wo sie auch war, Hamburg und Umgebung waren immer ihre Heimat. Weil die Suche nach Haus und Hof aber noch andauert, traf sie sich mit TAGEBLATT-Mitarbeiter Guido Behsen dort, wo sie sich immer gut aufgehoben fühlt - auf einem Reiterhof der Familie.

TAGEBLATT: Julie von Bismarck - kein Name wie jeder andere...

Julie von Bismarck: Sie spielen vermutlich auf Otto von Bismarck an, nicht auf die Heringe oder den Korn (lacht). Otto von Bismarck ist mein Urururgroßonkel. Ich entstamme also nicht der Friedrichsruher Linie, sondern der, die auf Ottos Bruder zurückgeht. Meine Großeltern sind in Ostpreußen in der Nähe von Stettin aufgewachsen. Auf einem der Güter ist auch Otto selbst groß geworden. Die Wiege stand bei uns, hat mein Großvater immer ganz stolz erzählt.

Aber Ihre Wiege stand in Hamburg, richtig?

Ich bin in Hamburg geboren und darauf lege ich auch großen Wert. Aber mit 14 Jahren brauchte ich mal eine Auszeit. Die meisten aus meiner Klasse sind für ein Jahr in die USA gegangen, aber das fand ich irgendwie langweilig. Also ging ich nach Namibia in Afrika. Meine Gastfamilie hatte eine große Farm, dort habe ich Pferde eingeritten und Rinder getrieben. Das war natürlich herrlich.

Und Afrika wurde Ihre zweite Heimat.

Ja. Weil ich ganz gut in der Schule war, konnte ich auch später länger als üblich in Afrika sein. Das habe ich ausgiebig genutzt, auch nach dem Abitur. Richtig heimisch geworden bin ich schließlich in Südafrika in einer Region namens Wilderness. Dort gibt es einen 70 Kilometer langen Strand.

Trotzdem treffen wir uns heute auf einem Reiterhof zwischen Hamburg und Lübeck...

Ich war mit meiner Tochter zwischenzeitlich immer wieder in Deutschland. Zum einen, weil ich hier viel zu tun hatte und zum anderen, weil ich finde, dass Kinder nicht ausschließlich in Afrika aufwachsen sollten. Es ist wunderschön, dort Ferien zu machen, man kann auch viel über die Natur lernen. Aber es ist auch sehr isoliert. Es ist schwer, überhaupt Spielverabredungen zu bekommen und wenn, hat man die Eltern auch immer dabei. Mal eben zum Bäcker radeln - so etwas geht nicht.

Ist das nur eine Frage der Entfernungen oder auch eine der Sicherheit?

Beides. Insgesamt sind die Dörfer in Südafrika einfach nicht darauf ausgelegt. Alles wird mit dem Auto erledigt. Es gibt auch gar keine richtigen Bürgersteige, dafür Schlangen und Paviane. Man muss immer ein wenig observieren, ob man will oder nicht. Hier ist das Wetter schlechter, dafür gibt es eine Oma und einen Opa, Cousins und Cousinen.

Es ist also eine Rückkehr zum Wohle des Kindes?

Ja, auch. Meine Tochter wird nächstes Jahr eingeschult, sie soll auch ihre deutschen Wurzeln und ihre Verwandtschaft hier wirklich kennenlernen. Sie geht jetzt hier in den Kindergarten und findet es toll. Das wundert mich gar nicht, weil viele Kinder in Südafrika nach der Schule sofort im Heimkino sitzen. Meine Tochter hat noch nie einen Film gesehen, sondern ist draußen in der Natur und denkt sich selbst etwas aus. In ihrem Kindergarten hier gibt es ganz viele Kinder, die genauso sind.

Inwieweit sind Sie schon wieder in Norddeutschland angekommen?

Ich wohne aktuell an der Ostsee, bin aber ständig in Hamburg und suche einen Hof im Hamburger Umland. Ich liebe Hamburg, aber zum Aufwachsen ist das Landleben einfach schöner. Ich habe mich als Kind immer aufs Wochenende gefreut, weil es dann in die Lüneburger Heide zu den Pferden hinausging.

Pferde haben also schon immer eine große Faszination auf Sie ausgeübt?

Schon immer, ja. Ich saß mit ein paar Monaten auf dem Pferd, das wurde mir tatsächlich in die Wiege gelegt. Meine Großmutter war Pferdefrau durch und durch, sie hatte den sprichwörtlichen „goldenen Hintern“ und hat mir alles beigebracht. Nicht nur das Reiten selbst, sondern auch die innere Einstellung, Ethik und Disziplin, aber auch Freundlichkeit und Höflichkeit. Heute bringen viele Leute diese Einstellung nicht mehr mit, wollen aber trotzdem reiten und das geht dann zulasten der Pferde - das kann man übrigens auch sehr gut auf andere Teile der Gesellschaft übertragen.

Haben Sie auch deswegen angefangen, Bücher zum Thema zu schreiben?

Schreiben war immer meine Leidenschaft. Ich habe angefangen, Bücher über Pferde zu schreiben, nachdem ich auf der ganzen Welt unterwegs war und sie behandelt habe. Ich dachte, es kann nicht sein, dass ich immer repariere, was die Halter verkehrt machen. Eigentlich müsste ich ihnen erklären, was sie verkehrt machen und wie sie es künftig richtig machen, damit es gar nicht erst so weit kommt.

Was macht das Besondere Ihrer Publikationen aus?

Es geht beim Reiten nicht nur um Körpergefühl, sondern auch um emotionale Selbstbeherrschung, Ethik, Disziplin und Eigenverantwortung. Pferde kommunizieren mit kleinsten Mitteln und merken sich alles. Sie reagieren auf Stimmungen und Emotionen und passen ihren Herzschlag dem des Reiters an. Wenn man Pferde falsch behandelt, sind die Schäden nicht nur psychisch, sondern auch körperlich und sogar die Organe betreffend. Ein Pferd ist kein Tennisschläger, den man mal eben neu bespannt.

Warum läuft beim Umgang mit Pferden so viel falsch?

Die Probleme fangen an, wo sich jemand ein Pferd zulegt und meint, Youtube genügt zum Reitenlernen - oder keinen guten Reitlehrer findet. Früher war Reiten ein privilegierter Sport für einen exklusiven Kreis, der dafür aber bereit war, sich den hohen Anforderungen und der langen Ausbildung zu stellen. Das Pferd stand immer an erster Stelle. Würde man das wieder mehr beherzigen, kann Reiten ein Wegweiser fürs Leben sein. Aber das, was bei Instagram und Facebook gepostet wird, stellt meistens nicht das korrekte Reiten dar. Dafür ein größeres Bewusstsein zu schaffen, ist mir ein Anliegen.

Wie sehen dabei die nächsten Schritte aus?

Ich habe in der Ukraine eine App entwickeln lassen, eine Art digitale Bibliothek, die alle meine Themen und Beiträge bündelt und die hoffentlich in einigen Wochen in den Stores abrufbar sein wird.

Danach hätten Sie theoretisch Zeit für weitere Projekte. Ist etwas in Arbeit?

Ich möchte schon seit Jahren mal wieder ein Buch schreiben, das sich nicht allein um Pferde dreht. Seit vier Jahren liegt ein angefangener Roman in meiner Schublade. Es geht auch um Pferde, aber vor allem um das Leben und darum, dass es nie zu spät ist, sein Leben zu ändern.

Etwas ändern ist ein gutes Stichwort. Die Welt scheint an einem Scheidepunkt angekommen zu sein...

Definitiv. Wir müssen handeln, renaturieren, Bäume pflanzen und die von uns verschmutzten Ozeane wieder in Ordnung bringen. Ich sehe unsere Generation da absolut in der Pflicht. Nichts gegen die Generation, die nach uns kommt, aber wenn ich jetzt jemanden einstellen will, geht es hauptsächlich darum, wie viel bezahlten Urlaub es gibt und ob man genügend Freizeit für Yogastunden mehrmals die Woche hat. Das ist für jemanden wie mich, der immer nur unter Volldampf unterwegs war und ist, schwierig zu akzeptieren. Wenn wir jetzt nichts anstoßen, werden unsere Kinder später ziemlich zirkeln mit der Welt.

Von Aktionen wie jenen der sogenannten Letzten Generation halten Sie also nichts?

Diese Aktionen sind ganz sicher nicht die Lösung. Aber dass solche gefährlichen Leute wie die AfD derart an Einfluss gewinnen konnten, liegt sicher auch daran, dass in unserer Gesellschaft leider vieles in gewisser Weise egal geworden ist, auch grundsätzliche konservative Werte.

Wie sieht Ihr Beitrag zur Nachhaltigkeit aus?

Ich arbeite mit Jane Goodall zusammen, indem ich ihr helfe, Fundraising zu machen. Sie ist mit beinah 90 Jahren noch eine wahnsinnig scharfsinnige und humorvolle Frau und ständig unterwegs. Außerdem unterstütze ich diverse Artenschutz- und Wiederaufforstungsprojekte. Und aktuell, das freut mich ganz besonders, arbeite ich zusammen mit Peter Pane an einem Reit-Workshop für Kinder der Hamburger Arche. Patrick Junge ist, glaube ich, einer der Unternehmer, die ihre Verantwortung der Welt gegenüber sehr ernst nehmen. Er pflanzt jedes Jahr mehr als 100.000 neue Bäume, sät riesige Blumenwiesen für die Bienen und kümmert sich mit „Peter Hilft“ um Kinderprojekte wie dieses.

Hilft der Name Bismarck dabei, solche Projekte erfolgreich zu gestalten?

Ja und nein. Ich hatte es wegen meines Namens oft schwerer als andere, weil ich allein deswegen immer herausgestellt wurde. Das hat mich immer gestört, weil ich nie jemand war, der gern herausgestanden hat. Und natürlich ist so etwas in der Schule auch immer mit einer Form von „gegrillt werden“ verbunden gewesen. Aber das ist nun einmal so. Der Name bringt eine gewisse Verantwortung und Vorbildfunktion mit sich, und das lebe ich auch. Deswegen hören die Menschen vielleicht auch zu, wenn ich über Pferde, die Umwelt, unseren Planeten und den richtigen Umgang damit rede.

Verantwortung, Selbstbeherrschung, Disziplin: Sie scheinen auch sich selbst gegenüber recht streng zu sein...

Disziplin ist nichts Schlimmes, man kann trotzdem Spaß haben. Ich habe auch gar keine Zeit, undiszipliniert zu sein, dazu sind meine Tochter und meine Arbeit mir viel zu wichtig. Darum fängt mein Tag auch schon um kurz vor 4 Uhr an. Aber mein Plan ist schon, das ein wenig zu ändern. Wenn man abends ein bisschen soziales Leben haben will oder es auch mal eine gesellschaftliche Verpflichtung gibt, ist 4 Uhr auf Dauer doch sehr früh.

Bitte ergänzen Sie...

Meine drei Lieblingsorte in Hamburg sind... die Außenalster, Willkomm Höft und der Stadtpark.

Auf meinem Nachttisch liegt gerade das Buch... „The Power of Your Subconscious Mind“ („Die Macht Ihres Unterbewusstseins“) von Joseph Murphy.

Zwischen Fischbrötchen und Franzbrötchen... entscheide ich mich für das Franzbrötchen.

Der größte Unterschied zwischen Südafrika und Deutschland ist... die Weite.

Eine besonders wichtige Charaktereigenschaft ist... Humor.

Auf die Palme bringt mich... Faulheit.

Zur Person

Julie von Bismarck ist in Hamburg geboren und aufgewachsen, verbrachte aber seit ihrer Jugend viel Zeit in Afrika, vor allem Südafrika, wo sie bis heute zeitweilig lebt. Als Pferde-Expertin, Dozentin und Buchautorin ist ihr Rat auf der ganzen Welt gefragt. Zuletzt erschien der zweite Teil von „Mit dem Pferd statt auf dem Pferd“. Auch ihren lange unerfüllten Kinderwunsch machte Julie von Bismarck 2019 in einem Buch öffentlich. Inzwischen ist die 47-Jährige mit ihrer fünf Jahre alten Tochter nach Norddeutschland zurückgekehrt. Neben Pferden gilt ihr Engagement sozialen Projekten und dem Artenschutz. Julie von Bismarck spielt gern Tennis und geht schwimmen - aber nur im Meer.

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