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Nachdenkliche Rede

Eine Bilanz: Das sind Michael Roesbergs Abschiedsworte an den Landkreis

Vor über 100 Gästen hielt der scheidende Landrat seine Abschiedsrede.

Vor über 100 Gästen hielt der scheidende Landrat seine Abschiedsrede.

Während seiner Abschiedsfeier hielt Landrat Michael Roesberg eine bemerkenswerte Rede mit nachdenklichen Tönen. Das TAGEBLATT veröffentlicht sie auszugsweise im Wortlaut.

Samstag, 16.10.2021, 19:30 Uhr

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„So langsam nähert sich der Tag, auf den ich mich freue, den ich aber auch ein bisschen fürchte! Die Entscheidung, das Amt des Landrates abzugeben ist mir schon schwergefallen, zu gerne bekleide ich dieses. Es gibt aber persönliche Gründe für meine Entscheidung, und heute nun ist es auch so in Ordnung. Ich bin mit mir im Reinen. ...

Über einen besonderen Job

Es ist schon etwas ganz Besonderes, Landrat in diesem Landkreis Stade sein zu dürfen. Ich habe mich bereits von Beginn meiner Arbeit für den Landkreis an, inzwischen seit fast 30 Jahren, hier sehr wohlgefühlt und bin der Region und den Menschen sehr verbunden.

Ich habe dann im Laufe meines beruflichen Wirkens in meiner Wahlheimat dieses hohe Amt des Landrates 15 Jahre bekleiden dürfen – in einem Landkreis, der auf Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum setzt, der viele Herausforderungen hat, an der Elbe gelegen mit der schönen Landschaft, mit der Gefahr von Sturmfluten, wo die Verkehrsfragen auf der Straße und Schiene täglich drängender werden, ein Landkreis, der vielfältige Infrastruktur braucht (Schulen, KiTas, Pflegeeinrichtungen, Glasfaser, Straßen, Gewerbe und Wohnen) und der eine Menge von Ansprüchen der Bevölkerung von Kindergärten bis zur Kultur erfüllen muss.

Es geht um STD – den Schönsten Teil Deutschlands – es sind dabei immer die Menschen, die unseren Landkreis ausmachen. ...

Ein Bewusstsein für eine gemeinsame Verantwortung für den Landkreis haben die vielen Kreistagsabgeordneten in all den vergangenen Jahren gezeigt– bis auf wenige einzelne Ausnahmen. Die notwendigen Beschlüsse wurden auf Vorschlag des Landrates fast immer im breiten Einvernehmen gefasst. Der Kreistag muss nicht zu allen Vorschlägen der Verwaltung Ja und Amen sagen. Ja genügt!

„Wir bekommen das perfekt nicht mehr hin“

Tagtäglich sind darüber hinaus noch mehr Herausforderungen zu bewältigen, die mit den Aufgaben der Kreisverwaltung mit über 900 Beschäftigten verbunden sind. Wir erleben Jahr für Jahr immer mehr Anforderungen und Veränderungen, als wir sofort bewältigen können. Wir bekommen das perfekt einfach nicht mehr hin.

Der allgemeine Fachkräftemangel ist schon längst in der Kreisverwaltung angekommen. ... Die große Politik muss dringend an den Gesetzen etwas ändern und nicht immer weitere Ansprüche für bestimmte Bevölkerungsteile formulieren. Wir bekommen die Menschen, die die Arbeit in einer Behörde erledigen können, nicht mehr so frei auf dem Arbeitsmarkt, trotz aller Bemühungen. Für die Kreisverwaltung liegt jetzt und in der Zukunft hier die größte Herausforderung.

Hohe Ansprüche der Bevölkerung

Auch die heutigen Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger direkt an einen Landrat sind ziemlich einfordernd. Man wird halt als Landrat für das tägliche Leben vieler Menschen verantwortlich gemacht. Und als Landrat trägt man immer Verantwortung für die Menschen, immer – nicht nur bei der Flüchtlingskrise oder einer Virus-Pandemie. Stichwort Krisen:

Mein Berufsleben war irgendwie immer wieder von Krisen begleitet: Vogelgrippe, Hochwasser, Sturmflutgefahren, über ein Jahrzehnt lang Finanzkrise, die Flüchtlingskrise, Corona und vielleicht in den nächsten Tagen noch die ASP (afrikanische Schweinepest, die Redaktion). ...

Klagen erschweren das Amt

Für einen HVB (Hauptverwaltungsbeamten) eines Landkreises gibt es heute völlig andere Anforderungen ans Amt als noch vor 15 Jahren. Es geht heute nicht mehr nur um Bauakten oder eingezogene Führerscheine wegen zu schnellen Fahrens oder den Bau von Kreisstraßen und Radwegen. Man wird heute für seine Entscheidungen, für sein Handeln zur Rechenschaft auch vor Gericht gezogen. ... Von Klagen einzelner Bürger, die gerne einmal den Landrat vor den Kadi ziehen möchten, mal ganz abgesehen.

Auch die Anfeindungen von gewissen interessierten Seiten oder einzelner Bürger haben heutzutage andere Dimensionen, die man irgendwie aushalten und verarbeiten muss.

Ein Landkreis ist in seinen Belangen und Aufgaben mehrdimensional. Es reicht daher nicht, nur ein Ziel zu verfolgen und z.B. zu sagen, wir wollen den Verkehr im Alten Land reduzieren. Wenn man einen Landkreis voranbringen will, dann genügt es eben nicht, ab und zu ein paar Paukenschläge zu machen. Man muss stets viele Dinge gleichzeitig in Bewegung halten, wie ein Jongleur.

„Das klingt schwierig...“

Das Amt ist schon Kräfte zehrend, die Themen sind anspruchsvoll und die Termine sind äußerst vielseitig – das klingt schwierig, hat bei mir aber stets den großen Reiz erzeugt, alles mit voller Kraft und Haut und Haaren zu tun. Man sagt mir nach, dass ich in Drucksituationen zur Hochform auflaufe. Mag sein, dies darf aber nicht meine Strategie sein, denn es ist für meinen Körper nicht wirklich nachhaltig, ständig unter Hochdruck zu laufen. Früher hat man im Büro gearbeitet und eilige Akten auch im Auto auf der Fahrt zu Terminen gelesen. Heute arbeitet man dann, wenn es erforderlich ist, d.h. allein wegen der ständigen Mails immer, zu jeder Zeit, an jedem Ort.

Die Erwartungshaltung, dass ein Landrat jederzeit alles sofort beantwortet, ist weit verbreitet. Nicht mehr der Wochentag und die Uhr bestimmen den Lebensrhythmus, sondern das klingende Ping der eingehenden Mails und Nachrichten. Das alles ist in Wahrheit ungesund! Ich brauche nicht jeden Tag Likes und persönliche Bestätigung, die bekommt man in diesem Amt ohnehin nicht.

Lernen, mit allen Extremen umzugehen

Die Menschen, mit denen man zu tun hat, sind sehr verschieden. In so einem Amt muss man also lernen, mit allen Extremen umzugehen. Andererseits haben viele Menschen mit mir die Erfahrung gemacht, dass ich trotz durchaus fröhlichem Naturell nicht jeden Tag einen inneren Rosenmontagszug vorbeiziehen habe. Mit dem Amt eines Hauptverwaltungsbeamten sind viele Begleitaufgaben zu verantworten, z.B. in verschiedensten Aufsichtsräten und Gesellschaften, von den Elbe-Kliniken bis hin zu den Museumsvereinen. Oft genug wird in schwierigen Fragen dabei der Landrat angeschaut, wie es nun weitergeht.

Ich habe diese Aufgaben immer gerne gemacht, und auch Verantwortung nach Innen und Außen für die Institutionen übernommen. Überhaupt habe ich mich immer persönlich für die Dinge verantwortlich gefühlt und die Herausforderungen zu meinen eigenen gemacht. Irgendwie war das emotional alles meins. Das hat nicht jedem gefallen, das muss es auch nicht. ...

Über den Erkenntnisgewinn

Was bleibt an Erkenntnisgewinn für mich? Die Kreispolitik wird in der Öffentlichkeit vielleicht zu wenig Wert geschätzt. Das haben die Abgeordneten nicht verdient, denn der inhaltliche und zeitliche Aufwand, die Kompliziertheit der Themen erfordert ein enormes Pensum. Wer sich dem stellt, verdient also Respekt. Mitarbeiter/innen in der Kreisverwaltung: da gibt es wirklich viele gute Typen, die die notwendigen Veränderungen im administrativen Geschäft aktiv mitgehen....

Grußworte habe ich in all den Jahren genug gehalten und gehört, ich kenne sie alle, ganz selten hört man was Neues. Ich habe meine Reden alle selber geschrieben, da ist so mancher Sonntagvormittag bei draufgegangen. Ich habe genug Grundsteine gelegt, sodass ich auf dem Bau eine echte Hilfe wäre und Jubiläumstorten habe ich mehr als genug angeschnitten und probiert. ...

Meine besonderen Erlebnisse: Ich habe zwei Bundespräsidenten (Horst Köhler, Christian Wulff) die Hand geschüttelt, die waren beide jeweils kurz danach nicht mehr im Amt. Ich habe vier nds. Ministerpräsidenten persönlich die Hand (Sigmar Gabriel, Christian Wulff, David McAllister, Stephan Weil) gegeben, davon ist nur noch einer im Amt. Ich habe der Bundeskanzlerin mehrmals die Hand geschüttelt – die ist noch im Amt. (Ich hätte tatsächlich Staatssekretär werden können, Anfragen gab es, aber das wollte ich nicht - da muss man zu viele Verbeugungen machen.)

Erde drehte sich in seiner Amtszeit 5461-mal

Die Erde hat sich seit meinem Amtsantritt 5461 Mal gedreht. Einige Themen in dieser Zeit auch. ... Mein Resümee: Für das Amt eines Landrates zahlt man einen gewissen Preis. Das Amt ist kein Schönwetter-Amt. „De Wind kümmt jümmers vun vörn!“ Das Privatleben wird immer hintenangestellt. Das ist nur bedingt gut. Ich freue mich, wenn ich morgens nicht mehr zu meiner Frau sagen muss, „bis heute Abend – es wird spät“.

Es gab wirklich viele schöne Termine und Begebenheiten und es überwiegen die guten und wichtigen Entscheidungen, die vielleicht nicht jedem gefallen, die aber im Interesse aller getroffen werden müssen. Für mich in guter Erinnerung bleiben die wunderbaren Einbürgerungsempfänge. Es ist einfach toll zu sehen und zu spüren, wie Menschen sich auf die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft freuen.

„...nur ein kleines Stück Geschichte...“

Die Geschichte unseres Landkreises wird von vielen aktiven Bürgerinnen und Bürgern geschrieben. Ich bin nur ein kleines Stück Geschichte dieses, unseres Landkreises. Ich habe immer den Landkreis und das Amt des Landrates wichtig genommen, nicht mich selbst. Das Amt hat was mit Verantwortung für viele Menschen zu tun, der Ruhestand nimmt mir eine Menge Last von den Schultern, das wird mich entspannen. Ich habe 15 Jahre mein Lieblingsamt innegehabt, in einem Landkreis auf dem wir alle stolz und in dem wir glücklich sein können. Ich bin dankbar, dass ich diesem Landkreis dienen durfte.“

 

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