NS-Recherche: „Herz von St. Pauli“ nicht mehr Stadionlied

Vor den Spielen des FC St. Pauli wird das „Herz von St. Pauli“ nicht mehr gespielt. Foto: Christian Charisius/dpa
Weil der Texter des Liedes „Das Herz von St. Pauli“ unter anderem in die NS-Propaganda verwickelt war, will der FC St. Pauli das Stück nicht mehr als Stadionhymne. Die Debatte soll weitergehen.
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Hamburg. Fast 20 Jahre gehörte „Das Herz von St. Pauli“ zu einem Spiel des FC St. Pauli am Hamburger Millerntor wie die zwei Tore in beiden Spielfeldhälften. Es war Ritual und Kult. Nun ist vorerst Schluss damit. Der Fußball-Bundesligist entschied: Das Lied mit dem Hymnen-Status wird nicht mehr gespielt.
Grund für die Absetzung des Lieds ist die Rolle des Texters Josef Ollig in der Zeit der Nazi-Herrschaft in Deutschland und im 2. Weltkrieg. Er war nach den Recherchen des Vereinsmuseums Kampfpilot und Kriegsberichterstatter für die NS-Propaganda gewesen sein.
Einen Tag vor dem Heimspiel gegen den SC Freiburg (Samstag, 15.30 Uhr/Sky) zog der FC St. Pauli die Konsequenzen aus der Debatte. Die kam aus dem Verein selbst und war durch einen Beitrag von Museums-Mitarbeitenden auf der Club-Webseite am 5. Februar ausgelöst worden.
Keine andere Wahl für den FC St. Pauli möglich
„Wir wissen und verstehen absolut, dass das Lied für viele Menschen eine sehr große emotionale Bedeutung hat“, sagte Präsident Oke Göttlich zur Absetzung des Lieds.
Die Entscheidung des Vereins hat aber auch viel mir dessen eigenem Anspruch zu tun. Der FC St. Pauli positioniert sich immer wieder deutlich gegen rechtsextremistische Tendenzen, Diskriminierung, Homophobie. Zudem beschäftigt er sich mit seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus.
Das Lied „Das Herz von St. Pauli“ wurde von Hans Albers in dem gleichnamigen Film von 1957 gesungen. Die Mitarbeitenden des FC St. Pauli-Museums hatten sich schon mit der Biografie von Albers beschäftigt und taten dies nun auch mit Ollig und dem Komponisten Michael Jary.
Auch Trainer Blessin sang mit
Vor den Heimspielen wurde das Lied in der rockigen Version der Band „Phantastix & Elf“ gespielt. Nach dem Ende setzten die Fans die Gesänge auch ohne die eingespielte Musik fort. „Mir gefällt dieses Lied und ich singe auch immer mit“, hatte Trainer Alexander Blessin bei der Spieltags-Pressekonferenz am Donnerstag gesagt.
Der 51-Jährige hatte bei der Frage nach einer Absetzung des Lieds aber auch betont: „Mit dieser Konstellation ist es schwierig.“
Eine Hymne im Stadion habe eine besondere Funktion, schrieb der Verein auf seiner Webseite zu dem Verzicht. Ein solches Lied solle die Menschen zusammenbringen, es solle ein gemeinsamer und verbindender Moment sein. „Angesichts der Diskussion um das Lied kann ein solcher Moment derzeit nicht geschaffen werden, denn viele Mitglieder und Fans haben deutlich gemacht, dass sie sich mit dem Lied nicht mehr wohlfühlen.“
Ein Verzicht, aber kein Ende der Diskussion
Mit dem Verzicht auf das Lied soll das Thema aber nicht beendet werden, betonte der Verein. Viele Fragen seien noch offen, was die Rolle von Ollig beim NS-Vernichtungskrieg in Osteuropa und in der Nachkriegszeit betrifft. Daher solle der Austausch fortgeführt werden – auch auf Basis einer wissenschaftlichen Dokumentation. „Wir wollen eine möglichst fundierte Grundlage schaffen und keine vorschnellen Entscheidungen treffen“, sagte Göttlich. „Wir wollen aber auch nicht einfach ‚Weiter so!‘ sagen.“