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Fußball-Weltmeisterschaft

Füllkrug rettet Punkt und WM-Hoffnung

Deutschlands Niclas Füllkrug jubelt nach dem Tor zum 1-1. Foto: Robert Michael/dpa

Deutschlands Niclas Füllkrug jubelt nach dem Tor zum 1-1. Foto: Robert Michael/dpa

Dafür hat Hansi Flick ihn nach Katar mitgenommen. Der Bremer Niclas Füllkrug bewahrt die DFB-Elf gegen Angstgegner Spanien vor einem weiteren WM-Rückschlag. Jetzt muss ein Sieg gegen Costa Rica her.

Sonntag, 27.11.2022, 21:59 Uhr

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Arne Richter, Klaus Bergmann, Ulrike John und Florian Lütticke

Der Joker hat gestochen. Niclas Füllkrug hat Deutschland vor einem zweiten WM-Tiefschlag bewahrt. Durch das späte Tor des Bremers in der 83. Minute bestand die DFB-Elf den Charaktertest gegen den großen Angstgegner Spanien gerade noch so. Mit vereinten Kräften rang die Fußball-Nationalmannschaft ihrem Schreckgespenst nach dem Gegentor von Álvaro Morata (61.) ein 1:1 (0:0) ab. Doch das Zittern ist für Hansi Flick längst nicht vorbei. Nach dem hart erarbeiteten Remis im Beduinen-Stadion von Al-Chaur muss für den Einzug ins Achtelfinale am Donnerstag gegen Costa Rica nun aber unbedingt der erste Sieg in Katar her. Sonst wird der peinliche zweite WM-K.o. in der Gruppenphase für den vierfachen Champion doch noch bittere Realität.

Mit nur einem Punkt ist Deutschland in der Gruppe E nach dem schlechtesten Start in der langen WM-Historie immer noch Letzter. Durch die unerwartete Hilfe durch Costa Ricas Sieg gegen Japan wenige Stunden vor dem intensiven Kräftemessen der Ex-Weltmeister hat die DFB-Elf ihr Turnierschicksal aber immerhin wieder in der eigenen Hand – auch wenn Spanien seit nun 34 Jahren in einem Pflichtspiel einfach nicht zu schlagen war.

Füllkrug versenkt zweiten Treffer im Nationaltrikot

Den Mannschaften war lange Zeit anzumerken, was für sie auf dem Spiel stand - die Spanier hätten durch einen zweiten Sieg nach dem 7:0-Offensivwirbel gegen Costa Rica dank überragender Tordifferenz mit dem Achtelfinale planen dürfen. So jedoch schrieb der 29 Jahre alte Füllkrug von Werder Bremen in seinem erst dritten Länderspiel mit dem zweiten Treffer im Nationaltrikot seine unglaubliche Geschichte weiter.

Zu Beginn wollte kein Team ins Risiko gehen, Taktik war Trumpf, das Aufbauspiel bestand auf beiden Seiten aus viel Abtasten und Abwarten.  Die erste und für längere Zeit einzige Großchance der Spanier vereitelte Neuer mit einer etwas unkonventionellen Parade gegen Dani Olmo. Den Schuss des Leipzigers lenkte der deutsche Kapitän mit der rechten Hand an die Latte (7.). Der 36 Jahre alte Neuer bestritt sein 18. WM-Spiel und zog damit als Torhüter mit den Rekordhaltern Sepp Maier und Claudio Taffarel aus Brasilien gleich.

Ihre spielerische Klasse ließen die Spanier immer wieder mit feinen Ballannahmen aufblitzen. Um das Zentrum «zuzumachen» und den Kombinationswirbel der Iberer zu unterbinden, hatte Flick den gegen Japan noch eingewechselten Leon Goretzka neben dessen Bayern-Teamkollegen Joshua Kimmich im defensiven Mittelfeld aufgestellt. Mit seiner Physis zeigte Goretzka die vom Bundestrainer erhofften Qualitäten, störte immer wieder den spanischen Spielaufbau. Ilkay Gündogan rückte zentral eine Position nach vorne, konnte sich aber im Vergleich zu seinem Auftritt mit Elfmetertor gegen Japan nicht entfalten.

Vermeintliche Führung in der 40. Minute

Defensiv blieb die Mitte dicht, offensiv ging Flicks Plan hingegen zunächst nicht auf. In der Sturmspitze war Thomas Müller viel unterwegs, nahm aber kaum Einfluss auf das Spiel. Youngster Jamal Musiala blieb auf der linken Angriffsseite ohne Wirkung, schimpfte mehrfach.

Zumindest durch Standards und nach eigenen Balleroberung entwickelte das deutsche Team vereinzelt Gefahr. Mit raumgreifenden Schritten überbrückte Goretzka das Mittelfeld, nachdem Gündogan ihm den Ball auflegte. Der Pass auf Gnabry kam jedoch zu spät - abseits (10.). Der Schuss des Bayern-Rechtsaußen vom Strafraumrand strich Mitte der ersten Halbzeit am langen Pfosten des Tors von Unai Simón vorbei (24.). 

Kurz vor der Pause jubelte das deutsche Team über die vermeintliche Führung. Vor seinem wuchtigen Kopfballtreffer stand Abwehrchef Antonio Rüdiger jedoch - wie die Videoüberprüfung aufdeckte - klar im Abseits (40.). Den Versuch des Verteidigers von Real Madrid fünf Minuten später aus spitzem Winkel vereitelte Simon ohne größere Mühe.

Neben Rüdiger durfte Niklas Süle nach seinem missglückten Auftritt als Rechtsverteidiger gegen Japan wieder auf seiner Lieblingsposition im Zentrum ran. Und dort fühlte sich der Dortmunder sichtbar wohler, agierte bis zum Rückstand präsent. In der Rückwärtsbewegung hatte auf der linken Abwehrseite David Raum allerdings mehrfach Probleme. Doch nachdem Neuer bei einem Fehlpass ungewohnte Schwächen mit dem Fuß offenbarte, rettete der Leipziger seinen Keeper, indem er Ferran Torres entscheidend störte (26.).

Spanien schockte das deutsche Team

Das deutsche Team trat insgesamt konzentriert auf. Vor den Augen von DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der zwei Plätze neben FIFA-Chef Gianni Infantino auf der Ehrentribüne Platz nahm, legte die Flick-Auswahl in der zweiten Halbzeit zunächst auch die Angst vor einem erneuten Rückschlag ab. Kimmich eroberte den Ball mit einer Grätsche am gegnerischen Strafraum, Gündogan legte quer zurück, doch Simón lenkte den Schuss Kimmichs zur Ecke lenken (56.).

Aber Spanien blieb stets gefährlich - und schockte das deutsche Team. Thilo Kehrer, der für Nico Schlotterbeck in die Startelf gerückt war, stand auf der rechten Abwehrseite zu weit von Jordi Alba. Die flache Hereingabe des Profis des FC Barcelona verwertete Morata, der einen Schritt schneller als Süle war.

Der Rückstand war ein kurzer Wirkungstreffer für das deutsche Team. Kurz nach der Führung der Spanier setzte Marco Asensio freistehend seinen Schuss aus 16 Metern über das Tor von Neuer. Flick brachte Füllkrug und den genesenen Leroy Sané für die Offensive - diesmal passten die Wechsel. Der Bayern-Offensivstar setzte seinen Bayern-Teamkollegen Musiala in Szene. Mit einem unüberlegten Schuss scheiterte der 19-Jährige jedoch an Simon (73.) anstatt zu Füllkrug querzulegen. Wie schon gegen Japan mangelte es an der offensiven Effizienz.

Doch der Füllkrug beendete die Torlosigkeit. Sané setzte Musiala ein, dieser leitete mit toller Ballbehandlung weiter, der Bremer vollendete. Mit dem hart erkämpften Punktgewinn ist nun wieder alles möglich. 

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in der Einzelkritik

  • Neuer: Der Kapitän lenkte Olmos Schuss so eben an die Latte (7.). Ein schlimmer Fehlpass blieb folgenlos. Beim 18. WM-Einsatz gegen Moratas perfekten Abschluss machtlos.  
  • Kehrer: Kam als rechter Außenverteidiger ins Team, ist aber keine Lösung. Der West-Ham-Profi wird zu oft überlaufen. Beim 0:1 konnte er Flankengeber Jordi Alba nicht stören.  
  • Süle: Im Abwehrzentrum ist er besser aufgehoben. Klärte oft. Aber beim Tor der Spanier hob der Dortmunder das Abseits auf und grätschte dann bei Moratas Schuss ins Leere (62.). 
  • Rüdiger: Der Verteidiger von Real Madrid ist ein echter Zweikämpfer. Beim Kopfballtor nach Kimmichs Freistoß knapp im Abseits (40.). Ist der stabilste deutsche Verteidiger.
  • Raum: Anfangs war der Leipziger links hinten ein Unsicherheitsfaktor. Ging dann beherzter in die Zweikämpfe. Steigerte sich im Spielverlauf. Seine Flanken flogen vorn ins Nichts.  
  • KImmich: Barças Pedri nahm der Bayern-Profi komplett aus dem Spiel. Musste seine Offensivaktionen dosieren. Dennoch nahe am 1:0, Unai Simon hielt seinen Schuss (56.).4
  • Goretzka: Die Dynamik und Körperlichkeit des Kraftpakets taten dem deutschen Spiel gut. Bekämpfte Barças Jungstar Gavi. Ungenaues Zuspiel auf Gnabry nach Vorstoß (10.).
  • Gnabry: Der Bayern-Angreifer zündet nicht mehr im Nationaltrikot. Seit über elf Monaten nun schon torlos. Ein gefährlicher Schuss (25.). Ihm misslang viel zu viel - ausgewechselt. 
  • Gündogan: Der Techniker rückte im Vergleich zum Japan-Spiel vor auf die Zehn. Dort nicht so produktiv. Die Auswechslung nach 70 Minuten war diesmal verständlich.
  • Musiala: Bayerns Jungstar kam erst auf dem Flügel nicht zur Geltung. Warf sich mutig in einen Schuss von Ferran Torres (36.). Zentral drehte er dann auf: Scheiterte selbst am Torwart (73.), bereitete aber das Tor von Füllkrug vor.  
  • Müller: Als Angriffsspitze erster Anläufer der Spanier. Hohes Arbeitspensum, aber die großen Offensivaktionen fehlten im 120. Länderspiel. Der WM-Zauber von 2010 und 2014 ist weg. 
  • Füllkrug: Kam für Müller - und zündete als Joker. War gleich aktiv im Strafraum. Kam nach Musialas Hereingabe zu spät, das zweite Zuspiel aber verwandelte der Bremer stark (83.). 
  • Klostermann: Löste Kehrer rechts ab (70.), ohne besonders auffällig zu werden. 
  • Sané: Der Münchner kam nach Knieproblemen als Joker. Starker Pass auf Musiala, der am Torwart scheiterte (73.). War ein Aktivposten - mit großer Chance in der Nachspielzeit.
  • Hofmann: Kam nach dem 1:1 für Gnabry.  Der Gladbacher fand nicht mehr ins Spiel.
  • Schlotterbeck: Löste Raum in den Schlussminuten hinten links ab. Wichtige  Grätsche im Strafraum gegen Morata. (dpa)

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