Immer unterwegs: So ist das Leben als Fahrradkantor

Der freiberufliche Kirchenmusiker Martin Schulze fährt mit dem Rad von Orgel zu Orgel.
Wer „Fahrradkantor“ googelt, findet ihn sofort - den freiberuflichen Kirchenmusiker Martin Schulze aus Frankfurt (Oder). Er spielt auf 150 verschiedenen Orgeln im Jahr. Aber in Himmelpforten fühlt er sich besonders heimisch.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Es gibt ein Buch, diverse Berichte und mehrere Filme über den radelnden Kantor, der im Jahr auf bis zu 150 verschiedenen Orgeln spielt. Kürzlich gab der Kirchenmusiker ein Konzert in der St.-Marien-Kirche in Himmelpforten. Es war ein Wiedersehen mit Kirche und Instrument.
Zum Orgelspiel kam Martin Schulze durch Zufall. Er war 13 Jahre alt, als es in seiner Heimat in Brandenburg einen Kursus für nebenberufliche Orgelmusiker gab. Damals konnte er auf dem Klavier nur „Hänschen klein“ spielen. „Ich hatte ja nichts zu verlieren“, erzählt der Frankfurter. Doch dann zog der damalige Organist „alle Register“, und das „Hänschen klein“ von Martin Schulze schallte nur so durch die Kirche. In diesem Moment war es um den jungen Mann geschehen: „Da wusste ich genau, was ich werden wollte“, erzählt er.
Jeden Tag mit dem Rad zum Ausbildungsbetrieb
Nach einer Ausbildung zum Tischler studierte er Kirchenmusik und war in Mecklenburg und Niedersachsen als Kantor tätig. Dabei führte ihn sein Weg 1998 auch für fünf Jahre nach Himmelpforten. „Ich hatte hier eine richtig tolle Zeit mit vielen Freunden“, erinnert sich Martin Schulze zurück. Anschließend arbeitete er noch acht Jahre in Otterndorf, bevor es ihn vor zwölf Jahren nach Brandenburg zurückzog, wo er als Orgelsachverständiger arbeitet und mehrere Chöre leitet.
Doch wie kam es dazu, dass sich Martin Schulze seit vielen Jahren jedes Jahr von Mai bis September auf sein Fahrrad setzt, um bei Wind und Wetter rund 15.000 Kilometer durch Deutschland zu reisen, um Orgelkonzerte zu geben? „Auch das hat sich so ergeben“, antwortet der Kirchenmusiker. Er sei während seiner Tischlerausbildung jeden Tag mit dem Fahrrad zum Ausbildungsbetrieb gefahren. Das Fahrradfahren wurde zur Leidenschaft, er kaufte sich mit 20 Jahren sein erstes Rennrad und fing an, quer durchs Land zu fahren.
Jährlich Konzerte an bis zu 150 verschiedenen Orgeln
Seit zwölf Jahren kombiniert Martin Schulze beide Leidenschaften und gibt als freiberuflicher Fahrradkantor jährlich Konzerte an bis zu 150 verschiedenen Orgeln. So war der Musiker, bevor er am Freitag in Himmelpforten landete, in Berlin. Seine nächsten Ziele liegen in Sachsen-Anhalt, im Harz und im Erzgebirge, bevor Ende September die Fahrradsaison wieder zu Ende geht.
Auch wenn er zwischenzeitlich Vater von zwei Kindern im Alter von neun und sechs Jahren ist, denkt Martin Schulze noch nicht daran, sesshaft zu werden. Zwar sieht er seine Familie in den Sommermonaten nur selten, dafür in den Wintermonaten um so intensiver. „Und sie kennen mich ja nur so“, sagt der Orgelspieler.
„Das ist ein Leben voller Überraschungen und vielseitiger Menschen“
Natürlich gehe bei seinen Touren nicht immer alles gut. So geriet ihm vor rund fünf Jahren die Schnalle einer Packtasche ins „Getriebe“, und er musste sein eierndes Rad zwölf Kilometer durch den Regen schieben. Doch auch amüsante Begegnungen gebe es immer wieder. So traf er im vergangenen Jahr auf einen älteren Herrn, der ihm während ihrer gemeinsamen Wegstrecke von einem Kantor erzählte, der immer mit dem Fahrrad unterwegs sei. „Da musste ich dann schon schmunzeln“, erzählt Martin Schulz, der seinen Begleiter am Ende aufklärte, dass er dieser Fahrradkantor sei.
Der freiberufliche Kirchenmusiker liebt es, jeden Tag mit anderen Leuten zu verbringen, jede Nacht in einem anderen Bett zu schlafen und fast täglich auf einer anderen Orgel zu spielen: „Das ist ein Leben voller Überraschungen und vielseitiger Menschen.“ Doch auf sein Konzert in Himmelpforten freue er sich immer besonders, weil er hier viele Freunde aus seiner Zeit als Kantor habe, mit denen er sich nach dem Konzert treffe. „Das ist ein bisschen wie nach Hause kommen.“
Jetzt die neue TAGEBLATT-Nachrichten-App für's Smartphone herunterladen