Kein Scherz: Hunderte Bürger wählen im Keller von Dagmar Müsing

Am Waldrand in Buchholz in der Nordheide liegt das ungewöhnliche Mini-Wahllokal von Dagmar Müsing, hier mit Andreas Kant, Wahlvorsteher für den Wahlbezirk. Foto: Philipp Schulze/dpa
Fitnessgeräte raus, Wahlurne rein: Am Waldrand in der Nordheide liegt das wohl ungewöhnlichste Mini-Wahllokal. Ein öffentliches Gebäude im Ort gibt es nicht. Ein Vor-Ort-Besuch.
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Buchholz. Die Fitnessgeräte werden für ein paar Tage aus dem Keller verbannt, stattdessen kommen eine Wahlurne und zwei Wahlkabinen für die Bundestagswahl in das Haus von Dagmar Müsing in Buchholz in der Nordheide.
Seit etlichen Jahren richtet die 68-Jährige im Untergeschoss ihres Zuhauses das kleine Wahllokal ein. Ob sie dies 1996 oder 2001 das erste Mal tat, weiß sie nicht mehr so genau. „Ich rechne so mit 300 bis 400 Menschen, die am Sonntag kommen“, sagt Müsing.
Sie rechnet mit einer hohen Wahlbeteiligung
Eigentlich kennt sie inzwischen fast alle, die meisten aus der Nachbarschaft. „Die Wahl ist für viele sehr wichtig, ich könnte mir vorstellen, dass die Wahlbeteiligung hoch sein wird“, sagt die erfahrene Wahlhelferin.
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Wegen der Aufwandsentschädigung für Strom und Heizung stellt sie ihr Haus aber nicht zur Verfügung. Man merkt ihr an, dass ihr das ganze Prozedere viel Spaß macht. Auch, wenn es mit Arbeit verbunden ist: „Es ist eigentlich gar nicht schlimm, ich muss nur vorher saubermachen, dabei saubermachen und hinterher sowieso“, erzählt die ehemalige Postbankangestellte lachend.
Bauhof-Mitarbeiter seit Jahren dabei
Eine Firma räumt am Donnerstag Laufband, Crosstrainer und Stepper aus dem Raum, Müsing packt bei Bügelbrett und Tisch selbst noch an. Schon die Stimmung beim Ausräumen ist herzlich. Man kennt sich, es ist nicht das erste Mal.
„Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich schon im Keller war“, sagt Bauhof-Mitarbeiter Martin Becker. Seit ungefähr 20 Jahren sei er dabei, „immer dann, wenn eine Wahl war“.

Martin Becker (links) und Dietmar Biesler, Mitarbeiter vom Bauhof, räumen ein Laufband aus dem Kellerraum. Foto: Philipp Schulze/dpa
Am Anfang sei es noch etwas Besonderes gewesen. „Inzwischen ist es eigentlich schon eine alte Freundschaft.“ Die schweren Sportgeräte die Treppe hoch, die massive Wahlkabine herunter - das ist zweimal Schwerstarbeit, denn am Montag wird alles wieder hereingeräumt.
Für die Wahlhelfer backt sie Kuchen
„Ich habe das damals gemacht, weil ein Raum gesucht wurde und hier viele ältere Menschen leben“, erzählt Müsing zu ihrer Motivation. Inzwischen sei eine Bundestagswahl reine Routine. Weil sie mit Leidenschaft dabei ist, backt sie sogar Kuchen für die Wahlhelferinnen und -helfer.
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Den ganzen Tag steht die Buchholzerin zur Verfügung, ihre offizielle Schicht beginnt am Nachmittag bis in den Abend. Manch ein Nachbar habe zum Dank sogar schon einmal Pralinen mitgebracht. Viele verweilen auch für einen Plausch, das ist anders als im Bezirksamt.
„Vom technischen Ablauf ist es hier nicht anders als in anderen Wahllokalen, aber es ist eine besondere Situation hier unten“, bestätigt Andreas Kant, Wahlvorsteher für den Wahlbezirk.
Man habe keine ebenerdige Zuwegung, müsse die Wahlurne plus Kabine nach oben bringen, wenn jemand die Treppe nicht bewältigen könne oder mit einem Rollstuhl komme. Denn barrierefrei ist das Mini-Wahllokal nicht.

Hunderte Wähler werden am Sonntag erwartet. Foto: Philipp Schulze/dpa
Die meisten Wähler werden am Nachmittag erwartet
Die Stimmung sei den ganzen Sonntag lang persönlicher: „Wir sind hier in einem eingeschworenen Team und machen es uns gemütlich.“ Aber schneller ginge der Wahlvorgang nicht. Am Nachmittag nach dem Kaffeetrinken rechnet der Wahlvorsteher mit den meisten Wählern. „Man kennt sich“, sagt Kant. Gemeinsam wird abends per Hand ausgezählt.
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Im kleinen Ortsteil Suerhop leben 600 Menschen - ein öffentliches Gebäude, das sich für die Wahl eignen würde, gibt es nicht. „Das ist hier einmalig“, bestätigt Jasmin Eisenhut von der Stadt Buchholz mit 42.000 Einwohnern. Wahllokale auf dem Land zu finden, sei nicht leicht. „Uns als Stadt ist daran gelegen, dass die Leute kurze Wege haben.“
Mit Wahlhelfern sei man dieses Mal insgesamt sehr gut bestückt. Viele Menschen hätten sich bereiterklärt, zu helfen. „Es haben sich 600 Personen gemeldet, wir benötigen aber nur 200“, berichtet sie. Wer nicht kontaktiert wurde, werde aber für die nächste Wahl vorgemerkt. „Wir haben auch schon Anrufe bekommen, warum es keine Absage gab. Aber das schaffen wir nicht“, meint Eisenhut. (dpa)