Kiezwirt: „Wenn ich mich selbst nackt mache, kann mich kein anderer ausziehen“
Kiezwirt Daniel Schmidt schreibt schon an seinem nächsten Buch. Diesmal ist es ein Kinderbuch. Foto: Dagmar Gehm
St. Paulis bekanntester Kiezwirt Daniel Schmidt hat seinen Sohn zum Interview mitgebracht, weil er ihn mit Fieber nicht allein zu Hause lassen wollte. Dem elfjährigen Lennox wird bald langweilig, denn sein Vater hat viel zu erzählen. Heftige Geschichten zum Teil.
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Elbschlosskeller und drei weitere St.-Pauli-Kneipen, zwei Bücher, der Hilfsverein „Wer, wenn nicht wir“. Was hast Du als Nächstes in der Pipeline?
Bald werden wir auch Kiez-Führungen machen. In meinem Buch „Kiez“ gibt es eine Landkarte mit Stationen, auf denen mir mal etwas widerfahren ist, das wollen wir aufgreifen vor dem Weihnachtsgeschäft. Uns fehlt die Kohle, weil sich von unseren vier Läden nur zwei so richtig gut tragen. Es gibt weniger Leute auf dem Kiez, weniger Laufkundschaft.
Also noch mehr Stress?
Im Gegenteil. Anderthalb Stunden mit 20 Leuten an der frischen Luft spazieren gehen, mit ihnen auch gute Gespräche zu führen, da freue ich mich schon tierisch drauf. Ich werde die Führungen mit zwei Cousins von mir machen, zweimal die Woche. Wir sind alle Sabbeltaschen, Hamburger Originale.
Du selbst wohnst nicht auf St. Pauli. Wäre das dann doch zu viel Kiez?
Mit einem elfjährigen Kind und drei Hunden - ja. Ich genieße es, in Meiendorf meine Ruhe zu haben, wenn ich im Baumhaus sitze, aufs Naturschutzgebiet gucke. Das brauche ich zum Abschalten, für meinen Seelenfrieden. Wenn ich in der Kneipe bin, wo man meine Energie und Aufmerksamkeit haben will, ich aber nicht mit Energie geladen bin, wie soll ich meiner Rolle gerecht werden?
Stumpfst Du irgendwann mal ab, was die erotischen Verführungen rundherum betrifft?
Mit Sicherheit. Das sind für mich keine Verlockungen mehr. Null. Ich guck’s mir gern an, aber wuschig oder wild macht es mich nicht, so wie das Mitte der Zwanziger mal war. Das Beuteschema, das ich damals hatte, ist heute das totale Gegenteil. Ich stehe jetzt extrem auf intelligente Frauen. Das optische Ding ist mir inzwischen egal.
Boxen ist für Dich mehr als nur ein Ausgleichssport. Wie regelmäßig trainierst Du?
Jeden Dienstag und Donnerstag beim TSV Glinde. Aber entgegen der Darstellung im Fernsehen habe ich nie in der Ritze geboxt. Mal abgesehen von meinem ersten Boxtraining im Leben, als mich mein Vater mit 14 in die Ritze mitgenommen hat. Die erste Boxstunde von meinem Sohn hat da auch stattgefunden. Aber die Ritze ist nicht mein Stall. Ich habe beim SC Condor trainiert und jetzt beim TSV Glinde.
Auch wegen des Hypes um Deine Person nach Erscheinen Deines ersten Buches „Elbschlosskeller“ bist Du abgestürzt. Jetzt reist Du zu Lesungen für das zweite Buch bis nach Mallorca. Hast Du keine Angst, dass bald das Gleiche wieder passiert?
Wegen meines Vaters Lothar, mit dem ich mich vor seinem Tod nicht ausgesöhnt habe, musste ich eine Trauerbewältigungstherapie machen. So eine ganz tiefsitzende Trauer, die mich damals in das ganz tiefe Loch gerissen hat, ist deshalb nicht mehr in mir. Ich habe mein Konsumverhalten geändert. Im Elbschlosskeller trinke ich gar keinen Alkohol mehr, nur wenn ich im Urlaub bin, oder mal bei meinem Nachbarn auf der Terrasse. Ich bin auch nach wie vor in therapeutischer Behandlung, einmal die Woche habe ich einen Termin mit einem Suchtberater.
Du siehst Dich doch permanenter Versuchung ausgesetzt...
Die ist fast immer da, weil ich es über 20 Jahre im Keller gewohnt war. Immer wieder werde ich zum Trinken aufgefordert. Einmal hat mir sogar ein Ex-Knasti heimlich einen doppelten Wodka in meinen Drink gekippt. Oft sagen Gäste: „Ey, du bist ja gar nicht der vom Kiez, du kannst ja gar nicht saufen.“ Doch über 70 Prozent haben Verständnis.
Wie hat sich Deine Wahrnehmung geändert aus nüchterner Sicht?
Am Anfang jeder Schicht hat mich mein Vater früher angerufen und gesagt: „Nimm erst mal einen zum Lockerwerden.“ Das ist tatsächlich so. Wenn du da acht Stunden stehst und nicht trinkst, sind die Leute zehnmal so anstrengend. Und man ekelt sich auf einmal viel mehr. Jemand, der mich umarmen und sein Leid bei mir loswerden möchte, dem es beim Weinen aus der Nase läuft, und wo es an anderer Stelle noch eitert, das ist schon sehr grenzwertig. Das sind dann solche Momente, wo ich denke, jetzt hätt’ste gern einen Kurzen.
Wie groß ist die Chance, Dich persönlich im Elbschlosskeller zu treffen?
Wir haben neben dem Elbschlosskeller noch drei weitere Läden: Meuterei, Motherfukker, Bayernstüberl. Wenn nicht alles zum Beispiel wegen eines neuen Buchs sehr eng getaktet ist, bin ich donnerstags und sonntags von 6 bis 14 Uhr dort am Tresen und jeden Freitag ab 20 Uhr in der Meuterei zum Kobern am Eingang.
Du leidest an ADHS. Wie kriegst Du es in den Griff, nimmst Du regelmäßig Medikamente?
Ich konsumiere ab und zu Marihuana, weil es mir tatsächlich dabei hilft, fokussiert und klar in eine Richtung zu denken. Nicht regelmäßig, aber ich brauche es, um mal aus diesem Wirbel zu kommen, der mich in alle Richtungen gleichzeitig dreht. Medikamente dämpfen mich zu sehr, auch was Emotionen angeht. Dann hast du lieber ab und an mal so einen tiefen Schmerz und denkst, die Welt geht unter, Depression hoch 10, aber du bist leistungsfähig, du bist du selbst. Bei mir kam die Diagnose ADHS ja erst so kurz vor den 30ern. Ich habe gelernt, damit zu leben.
Wie wirken sich diese Emotionen auf Dein Familienleben aus?
Das Einzige, was nicht so toll ist, das ist für Lennox die Streitkultur zwischen seiner Mutter und mir. Sie hat nämlich auch ADHS, ist ebenso impulsiv. Wir diskutieren manchmal zwei Stunden herum, und er sagt: „Hört auf zu streiten.“ Und wir sagen: „Tun wir doch gar nicht, wir reden doch nur.“ Neulich habe ich mich bei ihm entschuldigt, wie anstrengend Mama und Papa manchmal sind.
Du fandest es wichtig, dass der Kiezpastor den Elbschlosskeller segnet. Bist Du generell ein spiritueller Mensch?
Wir gehen oft in den Wald. Ich sage dann zu Lennox, er soll sich vorstellen, dass hier vielleicht die Ritter gekämpft haben. Wir haben eine jahrhundertealte Eiche umarmt und ihre Energie aufgenommen. Ich versuche, ihn ein bisschen dafür zu sensibilisieren. Wenn ich einen Energieschub brauche, laufe ich selbst bei minus 20 Grad barfuß über die Wiese. Und wenn ich abends nicht bete, bin ich am Tag darauf ein unausgeglichenerer Mensch.
Einerseits verstehst Du es, Deine Läden und Deine Bücher geschickt zu vermarkten. Andererseits lieferst Du Dich mit Deiner Offenheit manchmal auch ans Messer.
Wenn ich mich selbst nackt mache, kann mich kein anderer ausziehen. Ich bin immer schon so offen und ehrlich mit allen gewesen, weil ich versuche, die Welt, das Miteinander ein Stück weit besser zu machen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es nur funktioniert, indem man sich vernünftig austauscht, das geht nur durch Offenheit und Ehrlichkeit.
Schreibst Du schon am nächsten Buch?
Ja, an einem Kinderbuch. Es geht in der Geschichte um drei Hunde. Meine Hunde Toffi, Maya und Betsi, die alle aus sehr schwierigen Verhältnissen stammen. Betsi kommt aus dem Tierheim, Maya aus dem Versuchslabor. Meine Lebensgefährtin Susanna hat früher in der Tierbefreiung gearbeitet, sie war da richtig aktiv. Toffi habe ich einer Crack-Prostituierten weggenommen, die sie aus dem 10. Stock geschmissen hat. Ich erzähle in kindgerechten Texten von den Hunden, die bei uns ein Happy End gefunden haben. Ein befreundeter Tätowierer hat tolle Illustrationen dazu gemacht.
Bitte ergänzen Sie...
Wenn ich nicht Wirt wäre, könnte ich mir vorstellen… Feuerwehrmann zu sein. Möchte ich immer noch, hat aber nie gepasst.
Wenn ich mal richtig runterkommen will, gehe ich… in den Wald.
St. Pauli bedeutet für mich… Heimat.
Currywurst oder Edelrestaurant? Currywurst. Die Leute mit ’nem Stock im Arsch mag ich nicht. Dann stehe ich lieber in der Frittenbude.
Diese Hamburger Persönlichkeit bewundere ich… Susanna Horn, meine Lebensgefährtin. Geil finde ich auch Carlo von Tiedemann. Weil er ’ne Type ist, ein Original, seit vielen Jahrzehnten immer gleich geblieben. Ich kann ihm heute noch genauso lange zuhören wie damals.
Zur Person
Daniel Schmidt ist Jahrgang 1984 und wurde in Hamburg-Sasel geboren. Bis zur 10. Klasse ging er auch hier zur Schule, bis zur 12. Klasse in Ohio/USA. Danach machte er sich mit einer B-Lizenz als Fitness-Trainer mit einem Fitnessstudio selbstständig. Von 2011 bis 2014 folgte eine Lehre zum Zimmermann. Zwischendurch arbeitete er immer im Elbschlosskeller. Mit seiner Lebensgefährtin Susanna Horn hat er einen elfjährigen Sohn.