Klinikreform: Kritik an Niedersachsens Ja – Was sich für Patienten ändert

Niedersachsens Gesundheitsminister Philippi hat die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Lauterbach letzten Endes unterstützt. (Archivbild) Foto: Michael Matthey/dpa
Die Ampel-Regierung ist Geschichte, die Krankenhausreform aber jetzt auch im Bundesrat durch - gegen alle Proteste.
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Hannover. Die umstrittene Krankenhausreform hat auch mit Niedersachsens Unterstützung den Bundesrat passiert. „Nun gibt es Planungssicherheit und nicht zuletzt auch mehr Geld für die Krankenhäuser“, sagte Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD). Von den Kliniken und Kommunen aber kommt Kritik.
Die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft (NKG) und die Landesgruppe des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) reagierten enttäuscht. Sie hatten die Landesregierung aufgefordert, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um Nachbesserungen an dem Gesetz durchzusetzen. Dass Niedersachsen das nicht tat, nannte NKG-Verbandsdirektor Helge Engelke erstaunlich, „denn für die wirtschaftliche Schieflage der Kliniken sowie das zunehmende Risiko für Versorgungslücken muss am Ende das Land geradestehen“. Die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Stabilisierung der Kliniken seien mit der Reform nicht gegeben.
Wofür braucht es überhaupt eine Reform?
Deutschland hat nach Experteneinschätzung im Vergleich zu Nachbarländern relativ viele Kliniken - und es gibt seit Jahren schwelende Probleme: Finanznöte, Personalengpässe, und ein Drittel der 480.000 Betten sind laut Gesundheitsministerium nicht belegt. Lauterbach sieht die Reform denn auch als eine Art Notbremse: Ohne Änderungen drohten Klinik-Insolvenzen und nicht optimale Behandlungen. Dabei sei klar, dass Deutschland nicht den medizinischen Bedarf und nicht das Personal für 1.700 Krankenhäuser habe. Ziel sei daher, den wirklich benötigten Häusern eine auskömmliche wirtschaftliche Basis zu sichern.
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Was sieht die Reform beim Geld vor?
Das vor 20 Jahren eingeführte Vergütungssystem mit Pauschalen pro Behandlungsfall soll grundlegend geändert werden. Denn es führt laut Lauterbach bisher zu einem „Hamsterrad-Effekt“, möglichst viele Fälle auf möglichst günstige Weise zu erreichen - oder sogar zu Anreizen für medizinisch unnötige Eingriffe. Künftig soll es daher einen festen Sockel von 60 Prozent der Vergütung schon allein dafür geben, dass Kliniken eine Grundausstattung mit Personal und Geräten für bestimmte Leistungen vorhalten. Länder wie Schleswig-Holstein kritisieren, dass die künftige Fix-Vergütung aber auch noch von Fallzahlen abhängig sei. Extra-Vergütungszuschläge geben soll es für Kliniken mit Kinderheilkunde, Geburtshilfe, Intensiv- und Unfallmedizin, speziellen Schlaganfall-Stationen und Notfallversorgung.
Was sieht die Reform bei der Behandlungsqualität vor?
Die neue Fix-Vergütung soll eine Klinik für „Leistungsgruppen“ bekommen, die ihr das Land zuweist. Sie bilden medizinische Leistungen ab, und zwar präziser gefasst als grob benannte Fachabteilungen. Ausgangspunkt sollen 65 Gruppen sein, die maßgeblich auf ein Modell aus Nordrhein-Westfalen zurückgehen - etwa „OPs an der Wirbelsäule“ oder „Leukämie“. Mit definiert werden jeweils einheitliche Qualitätsvorgaben zu Fachpersonal und Ausstattung. Lauterbach machte wiederholt klar, dabei keine Abstriche zu machen. Denn es soll bewirken, dass etwa Krebsbehandlungen in Kliniken mit Spezialkenntnissen gemacht werden.
Was heißt das für das Netz der Kliniken?
Steuern sollen den Wandel die für die Krankenhausplanung zuständigen Länder. Sie könnten etwa sagen, ob es in einer Region zwei oder vier Standorte für Wirbelsäulenchirurgie gebe, erläuterte Lauterbach. Die neue Fix-Vergütung soll auch die Existenz kleinerer Häuser auf dem Land weiter absichern. Die Länder sollen Standorte zudem zu „sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ erklären können, die „wohnortnah“ stationäre Behandlung mit ambulanten und pflegerischen Leistungen verbinden. Wo Praxen von Fach- und Hausärzten fehlen, sollen Patienten so künftig für solche Behandlungen auch ins Krankenhaus gehen können. Klinikstandorte wegfallen dürften vor allem in westdeutschen Großstädten.
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Sind Finanzhilfen geplant?
Das Gesetz sieht auch Finanzspritzen vor. So sollen Kostensteigerungen der Kliniken unter anderem bei den Tariflöhnen aller Beschäftigten schon von diesem Jahr an nicht mehr nur zur Hälfte, sondern voll von den Krankenkassen finanziert werden. Um den Wandel zu den neuen Strukturen zu unterstützen, soll zudem ein „Transformationsfonds“ kommen, aus dem von 2026 bis 2035 bis zu 25 Milliarden Euro fließen könnten – sofern sich Länder in jeweils gleicher Höhe beteiligen. Kommen soll das Geld aus Mitteln der gesetzlichen Kassen und - entsprechend ihrem Anteil an den Behandlungen - der privaten Krankenversicherungen.
Wie geht es weiter?
In Kraft treten soll das Gesetz zum 1. Januar 2025 - auf einen Schlag umgesetzt wird sie dann aber nicht, sondern nach und nach bis 2029. Geplant ist, dass die Länder ihren Kliniken bis Ende 2026 die jeweiligen Leistungsgruppen zuweisen. Die Finanzierung soll dann 2027 und 2028 schrittweise auf das neue System umgestellt werden, wie das Ministerium erklärt.
Die Reaktionen: Landkreise sehen Land finanziell mit in der Verantwortung
Eine Befragung der NKG hatte jüngst ergeben, dass mehr als jede zweite Klinik im Land ihre wirtschaftliche Existenz bis zum Wirksamwerden der Krankenhausreform voraussichtlich 2027 als gefährdet ansieht. Jedes vierte Krankenhaus plant demnach bereits, Leistungen zu reduzieren beziehungsweise das Versorgungsangebot einzuschränken.
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Der Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistags, Hubert Meyer, nannte das Reformgesetz verkorkst. Meyer erklärte, er sehe nun das Land in der Verantwortung, einen eventuell notwendigen Ausgleich der Defizite kommunaler Krankenhäuser wenigstens zur Hälfte mitzufinanzieren.
Der Landesleiter des Verbandes der Ersatzkassen, Hanno Kummer, appellierte: „Wir brauchen für die Umsetzung im Land jetzt einen klaren Kompass, damit Patientinnen und Patienten auch zukünftig entsprechend ihrer Erkrankung gut und sicher versorgt werden können.“ So müsse es bei der Zuweisung der Leistungsgruppen an die Krankenhäuser zu einer stärkeren Konzentration kommen. „Vergleichbare Leistungen kann es nicht mehr an so vielen Standorten wie bisher geben, dafür fehlt schlicht das Fachpersonal“, sagte Kummer.
Philippi: Deutlicher Fortschritt zu bisherigen Regelungen
Gesundheitsminister Philippi, der die Reformpläne des Bundes lange selbst kritisiert hatte, räumte ein, dass die Reform „noch nicht den Optimalzustand“ abbilde. „In der Summe bildet das Gesetz aber schon jetzt einen deutlichen Fortschritt im Vergleich zu den aktuell bestehenden Regelungen.“ Nachbesserungsbedarf sieht Philippi unter anderem beim Abbau von Bürokratie, damit die Beschäftigten mehr Zeit für die Patienten bekommen. Zudem müsse der Bund die Defizite der Krankenhäuser ausgleichen.
Vor der Abstimmung im Bundesrat hatte Philippi gewarnt, wenn die Reform im Bundesrat scheitere, drohe ein kalter Strukturwandel, bei dem gerade die Krankenhäuser in Insolvenz gerieten, die für die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung gebraucht würden.
Die niedersächsischen Krankenhäuser können laut Ministerium von März 2025 an Leistungsgruppen beantragen. Die folgenden Qualitätsprüfungen und Bescheide sollen bis Ende Oktober 2026 für alle Kliniken abgeschlossen sein. „Das war heute der Startschuss für die Krankenhausreform, nicht der Zieleinlauf“, sagte Philippi.