Lindner stellt Gasumlage infrage – Verbraucher im Norden sollen weniger für Strom zahlen
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zweifelt am "wirtschaftlichen Sinn" der Gasumlage. Foto: dpa-Bildfunk
In der Diskussion über die Gasumlage stellte sich Bundesfinanzminister Christian Lindner offen gegen Energieminister Robert Habeck (Grüne). Die norddeutschen Bundesländer brüskieren Bayern mit einer Forderung.
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In der Diskussion über die Gasumlage äußert nun auch Bundesfinanzminister Christian Lindner Zweifel an dem umstrittenen Instrument. „Es stellt sich mir bei der Gasumlage weniger die Rechtsfrage, sondern immer mehr die wirtschaftliche Sinnfrage“, sagte Lindner der „Bild am Sonntag“. „Wir haben eine Gasumlage, die den Preis erhöht. Aber wir brauchen eine Gaspreisbremse, die den Preis senkt“, fügte der FDP-Chef hinzu. Bis Hilfen der Bundesregierung für Haushalte, Handwerk, Sportvereine oder Kultur stehen würden, vergehe noch Zeit. „Eine Gaspreisbremse muss allen Menschen in einer Volkswirtschaft schnell helfen“, betonte der Finanzminister.
Mit der Gasumlage sollen Gasimporteure gestützt werden, die wegen der hohen Einkaufspreise für russisches Gas in Schwierigkeiten geraten. Derzeit ist die Umlage für alle Gasnutzer auf rund 2,4 Cent pro Kilowattstunde festgelegt.
Lindner: Nein zur Gasumlage - weiter ja zur Schuldenbremse
An der Schuldenbremse will Lindner trotz der abzusehenden Mehrausgaben nicht rütteln: „Eine Gaspreisbremse muss mit langfristig stabilen Staatsfinanzen verbunden werden. Die Schuldenbremse für den Bundeshaushalt steht.“
Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sieht vor, dass Bund und Länder ihre Haushalte grundsätzlich ohne Kredite ausgleichen müssen. Vor allem Lindner und seine FDP pochen auf eine strikte Einhaltung der wegen Corona im Bund drei Jahre lang ausgesetzten Regel ab 2023.
Das von Robert Habeck (Grüne) geführte Wirtschaftsministerium hatte bei der Gasumlage noch finanzverfassungsrechtliche Fragen ausgemacht. Laut „Bild am Sonntag“ hat Habeck den Gesetzentwurf vergangenen Mittwoch zwar an die Kabinettsmitglieder verschickt, im Anschreiben dazu aber „unter dem Vorbehalt der finanzverfassungsrechtlichen Prüfung“ des Finanzministeriums gestellt. Auch sei auf die mögliche Alternativen verwiesen worden - direkte Staatshilfen an die Not leidenden Gasversorger oder eine Übernahme der Zusatzkosten der Gasimporteure aus Haushaltsmitteln.
Grünen-Chefin: Lindner muss bei Gasumlage-Aus Alternative finanzieren
Grünen-Chefin Ricarda Lang hat an Christian Lindner appelliert, bei einem Aus der Gasumlage die Finanzierung einer Alternative zu klären. «Die Gasumlage kann weg, sobald es aus dem Finanzministerium die Bereitschaft für eine Alternative gibt. Diese Alternative heißt: eine Finanzierung aus Haushaltsmitteln", sagte Lang am Sonntag in Berlin. Lindner wisse, dass dies Geld koste. "Der Finanzminister muss jetzt liefern und die nötigen Mittel bereitstellen, um erstens die Gasversorger zu stabilisieren und zweitens die Energiepreise zu senken, damit unser Land bestmöglich durch diesen Winter kommt», mahnte Lang. Die Deckelung der Gaspreise für den Grundbedarf nannte sie einen richtigen Weg.
Landkreistag: Gas- und Strompreise deckeln, Gasumlage streichen
Der Deutsche Landkreistag fordert wegen der Energiekrise eine Deckelung der Strom- und Gaspreise. „Bürger und Betriebe können die steigenden Kosten für Gas und Strom sowie die hohe Inflation vielfach nicht mehr tragen“, begründete Landkreistagspräsident Reinhard Sager in den Zeitungen der Funke Mediengruppe die Forderung. Auch sollte die Bundesregierung die Abgaben und Steuern für Energie auf das europäische Minimum senken.
Sager verlangte zudem einen Verzicht auf die Gasumlage. Sie sei ein falscher Weg. An deren Stelle sei die Stützung einzelner Energieunternehmen durch Bundesmittel die bessere, unbürokratischere und wirksamere Alternative.
„Wir müssen alles dafür tun, energieautarker zu werden“, mahnte Sager. Dafür müssten sämtliche Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Sager sprach sich etwa für mehr Solaranlagen auf Dächern aus. Dabei gehörten behindernde Regelungen des Denkmalschutzes auf den Prüfstand.
Der Präsident des Kommunalverbandes plädierte ferner für einen „vorübergehenden befristeten Weiterbetrieb der noch in Betrieb befindlichen beziehungsweise stillgelegten, aber noch nicht zurückgebauten deutschen Kernkraftwerke“.
Norddeutsche Flächenländer für Strompreiszonen - Bayern protestiert
Die norddeutschen Flächenländer sprechen sich für eine Aufteilung Deutschlands in unterschiedliche Preiszonen beim Strom aus. Nach einem Bericht der „Welt am Sonntag“ wollen die Länder so für mehr Gerechtigkeit bei den Strompreisen sorgen. „Wenn ich da lebe oder produziere, wo auch die Energie produziert oder angelandet wird, muss diese Energie dort auch günstiger sein“, wird etwa Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD) zitiert. Der Norden trage seit Jahren die Hauptlast der Energiewende.
Dem Bericht zufolge kritisierte Mecklenburg-Vorpommerns Energieminister Reinhard Meyer (SPD): „Die Höhe der Stromnetzentgelte belastet die Letztverbraucher und benachteiligt den norddeutschen Wirtschaftsstandort.“ Es könne nicht sein, dass Länder, die einen hohen Anteil am Ausbau der erneuerbaren Energien schultern, die höchsten Strompreise verkraften müssten.
Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne) nennt dem Bericht zufolge eine Aufteilung in Preiszonen „die logische Konsequenz des energiepolitischen Irrweges“ bayerischer Landesregierungen. Mehr als 15 Jahre lang hätten diese den Ausbau von Stromnetzen und Windkraft sabotiert. Es sei „den Menschen im Norden schlicht nicht mehr zu vermitteln, warum sie die Zeche dafür zahlen müssen“.
Die bayerische Staatsregierung reagierte empört und stellte eine Gegenrechnung mit dem Länderfinanzausgleich an. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) argumentierte im Bayerischen Rundfunk (BR), der Freistaat versorge sich überwiegend mit eigenem Ökostrom. „Aber was das Absurdeste ist: Bayern zahlt neun Milliarden Länderfinanzausgleich.“ Man sollte hier nicht Nord gegen Süd ausspielen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) entgegnete in der ARD-“Tagesschau“, das eine hänge mit dem anderen in keiner Weise zusammen. In Niedersachsen und anderen norddeutschen Bundesländern produzierte Energie komme am Ende vor allem dem Süden Deutschlands zugute.
Niedersachsens Regierungschef: Gaspreisdeckel muss im Oktober stehen
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verlangt von der Bundesregierung, die gestiegenen Energiepreise schon in den kommenden Wochen wirksam einzudämmen. „Ich erwarte, dass der Gaspreisdeckel im Oktober steht“, sagte Weil der „Bild am Sonntag“. Der Preisdeckel für Gas - und auch für Strom - sollte sowohl für Privathaushalte gelten als auch für die Wirtschaft, meinte er.
Zudem forderte Weil ein wirksames „Bündel an Hilfsprogrammen wie bei Corona“. Klar sei: Das werde Geld kosten, und zwar so viel, dass die Schuldenbremse nicht einzuhalten sein werde. „Aber wenn wir die Unternehmen pleitegehen lassen, wird es am Ende für viele sehr bitter und für die öffentlichen Kassen noch sehr viel teurer.“
Lemke: Strom- und Gassperren verhindern
Strom- und Gaskunden sollen nach dem Willen von Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke in der Energiekrise infolge des russischen Kriegs in der Ukraine nicht mit Sperren belegt werden. „Die Bundesregierung hat beschlossen, eine Strompreisbremse auf den Weg zu bringen“, sagte die Grünen-Politikerin in Berlin. „Sie wird schon einmal die Zahl der Fälle verringern, in denen Menschen sich ihre Stromrechnung nicht mehr leisten können“, so Lemke. „Zusätzlich werden wir eine Regelung gesetzlich verankern, die Strom- und Gassperren verhindert.“ Beides zusammen sei ein wirksamer Schutz.
An diesem Montag sind die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine für die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher auch Thema eines Verbrauchertags in Berlin. Bei der digitalen Veranstaltung der Verbraucherzentralen will Lemke ihre Vorstellungen erläutern.
„Bei der Abfederung der Folgen von steigenden Energiepreisen und Inflation vermischen sich Sozialpolitik und Verbraucherschutz stark“, sagte die Politikerin. „Ich habe die Sorge, dass es im nächsten Winter soziale Härtefälle geben könnte.“ Als Ministerin für Verbraucherschutz sei für sie im Moment neben der Verhinderung von Strom- und Gassperren auch der Kündigungsschutz der Mieterinnen und Mieter essenziell. „Solche Maßnahmen wirken wie ein Sicherheitsnetz, und sie nehmen viele Ängste.“
Strom- und Gassperren seien schon jetzt an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Die Energieversorgungsunternehmen müssten Ankündigungsfristen einhalten. „Und eine Sperre darf nicht unverhältnismäßig sein“, betonte Lemke. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten daher zum Beispiel auf besondere Erschwernisse hinweisen, etwa wenn Kranke oder Kinder im Haushalt lebten. Lemke kündigte an: „Nun geht es darum, solche Optionen für den kommenden Winter anzupassen. Damit sorgen wir dafür, dass niemand keine Wärme- oder Stromversorgung mehr hat, weil er Rechnungen nicht bezahlen kann.“ (dpa)