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Ex-Bundesligaspieler

Martin Harnik: „Ich habe mein Herz immer da gelassen, wo ich unterschrieben hatte“

Der Ex-Fußballprofi Martin Harnik auf einem Putting-Grün in einer Indoorgolf-Anlage. Nach Abschluss seiner Laufbahn als Fußballprofi hat der Ex-Stürmer sein Hobby zum Beruf gemacht: als Geschäftsführer der Golfhalle in Glinde. Foto: Marcus

Der Ex-Fußballprofi Martin Harnik auf einem Putting-Grün in einer Indoorgolf-Anlage. Nach Abschluss seiner Laufbahn als Fußballprofi hat der Ex-Stürmer sein Hobby zum Beruf gemacht: als Geschäftsführer der Golfhalle in Glinde. Foto: Marcus

Die Vorbereitungen für die neue Saison hat Martin Harnik nur zur Hälfte mitmachen können. Denn was in der Bundesliga undenkbar war, ist für den Ex-Nationalspieler inzwischen Alltag: Im Oberliga-Fußball stehen Job und Familie an erster Stelle.

Von Manfred Ertel Sonntag, 13.08.2023, 12:00 Uhr

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Wie sehr juckt es eigentlich in den Füßen, wenn Ihre Ex-Kollegen jetzt in den letzten Vorbereitungen zur neuen Bundesliga-Saison sind?

Das hält sich in Grenzen. Ich spiele ja selber noch ein bisschen. Zwar nicht mehr auf dem Niveau, aber der Durst nach Fußball wird immer wieder gestillt. Mein Karriere-Ende war eine bewusste Entscheidung. Ich wusste, was ich aufgebe und bin mit der Entscheidung völlig fein. Ich beneide die Jungs eigentlich nur in ganz besonderen Spielen, zum Beispiel wenn es um den Aufstieg geht oder bei Samstagabend-Topspielen. Aber ich weiß auch, welche Arbeit dahintersteckt.

Kein heimliches Bedauern, sich mit 33 Jahren vielleicht zu früh aus dem Profi-Fußball verabschiedet zu haben?

(überlegt lange) Bedauern tue ich eigentlich nur, dass meine Kinder noch zu klein waren, um zu verstehen, wie besonders es eigentlich für den Vater war, im Stadion aufzulaufen. Das wäre etwas Großartiges gewesen, wenn gerade mein Sohn das noch aktiv mitbekommen hätte, der jetzt fünfeinhalb ist und so richtig im Fußballfieber. Ich habe ziemlich viel erlebt, weiß das sehr zu schätzen und freue mich über das neue Kapitel in meinem Leben.

Heute gehen 35-jährige Spieler noch für Millionen-Summen nach Saudi-Arabien. Haben Sie da nicht eine Chance verpasst?

Was heute Saudi-Arabien ist, war vor fünf Jahren noch China. Dieses Angebot hatte ich 2016 auf dem Tisch liegen. Ich konnte für sehr viel Geld nach China gehen, Felix Magath wäre mein Trainer gewesen, aber ich habe mich sehr bewusst dagegen entschieden. Das bereue ich mit keiner Faser. Geld ist immer verlockend, aber es gibt Wichtigeres im Leben. Ich wusste einfach, da werde ich mit meiner jungen Familie nicht glücklich.

Inzwischen wechseln schon Spieler im besten Fußballalter nur wegen des Geldes nach Saudi-Arabien. Verstehen Sie diese Entwicklung im modernen Fußball noch?

Als Fan oder Außenstehender versteht man oft nicht so ganz, dass Fußball auch wirklich ein Job ist. Zwar ein Traumjob, aber eben kein Traumhobby. Das merke ich jetzt persönlich noch mal umso mehr, weil ich wieder die andere Seite kennenlerne: Das Hobby, die Leidenschaft, das ist ein ganz anderer Sport. Als Profi ist das aber wirklich ein harter Job, wo man jeden Tag an seine Grenzen stößt und stoßen muss. Und in dem Job geht es am Ende auch um Bezahlung und die Entscheidung, möchte ich um wichtige traditionelle Titel mitspielen oder möchte ich maximal viel Geld verdienen. Diese Entscheidungen gibt es auch in der freien Wirtschaft.

Und das ganze Gerede von Identifikation und Tradition, von beeindruckender Fußball-Atmosphäre mit 50.000 Zuschauern auf den Rängen und Bier und Bratwurst in den Gängen?

Natürlich weiß jeder Spieler, worauf er in Saudi-Arabien verzichtet. Aber das ist ja vor allem die Perspektive des Zuschauers. Die Perspektive der Spieler auf dem Platz ist Druck: gewinnen müssen, Geld verdienen, und das in einer begrenzten Zeit. Heute werden Fußballer noch früher Profis als vor zehn Jahren. Da ist keine Zeit, ein Studium zu machen oder eine Ausbildung. Die Jungs gehen häufig „all in“ und haben dann natürlich auch die Verpflichtung, bis Mitte 30 so viel Geld verdient zu haben, dass sie für sich und ihre Familie ausgesorgt haben.

Wann wussten Sie, dass Sie unbedingt Profi-Fußballer werden wollten?

Das war jahrelang ein Traum, der aber nie greifbar war. Für mich war eigentlich erst klar, dass ich mit Fußball Geld verdienen kann, als ich zu Werder Bremen gewechselt bin, mit 18 Jahren. Vorher war das nie real.

Haben Ihre Eltern nicht gesagt, lern’ doch erst mal was Vernünftiges?

Doch, aber das habe ich auch gemacht. Ich bin zu Werder Bremen gewechselt und habe noch anderthalb Jahre lang meine Ausbildung zum Versicherungskaufmann beendet. Da hat meine Mutter sehr drauf gepocht. Aber mir war das auch wichtig.

Wären Sie damals eigentlich lieber zum Heimatverein HSV gewechselt, um sich einen heimlichen Traum zu erfüllen?

Ich war nie ein vereinsbezogener Fan mit Trikot oder Bettwäsche. Ich war Fan von Stürmern. Ich fand Roy Präger toll, damals vom VfL Wolfsburg, oder Michael Preetz bei Hertha BSC. Natürlich wäre ich damals sehr gern zum HSV gegangen, der bei uns einen sehr hohen Stellenwert hatte. Ich bin in Kirchwerder auf dem Dorf aufgewachsen, jeder zweite Fahnenmast hatte sonnabends eine HSV-Flagge gehisst. Aber für mich waren am Ende die persönlichen Gefühle und Gespräche ausschlaggebend. Und die waren mit Werder Bremen um ein Vielfaches besser als die beim HSV.

Wie sehr haben Sie mit dem HSV nach der erneut verlorenen Relegation gelitten?

Sehr natürlich. Aber das tue ich nicht nur mit dem HSV. Ich habe auch mit Werder mitgelitten, als sie abgestiegen sind oder mit dem VfB Stuttgart, als der in die Relegation musste. Ich weiß, was die Jungs investieren und ertragen müssen, was das für Emotionen und Kritik im Umfeld auslöst. Das ist eine Perspektive, die mir als TV-Experte jetzt zugutekommt und die dazu beiträgt, dass ich den Job Fußball-Profi sehr differenziert sehe.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass der HSV seit Jahren im Frühjahr einbricht, egal wer Trainer oder Vorsitzender ist, egal welche Spieler in der Mannschaft stehen?

Grundsätzlich glaube ich, dass der HSV mit seinem Präsidium und Trainer auf einem guten Weg ist. Trotzdem gab es auch zum Ende der letzten Saison wieder unglaubliche Unruhe, viele Leute haben sich in den Vordergrund gespielt. So was kostet Energie. Das tangiert die Spieler nicht aktiv, wohl aber passiv. Weil der Trainer nicht die volle Energie in die Mannschaft stecken kann. Außerdem wird der Erwartungsdruck immer größer. Einerseits haben sich die Fans immer mehr mit der 2. Liga identifiziert, andererseits wird das Sehnen nach dem Aufstieg immer größer. Das spüren die Spieler. Sie wissen dass sie zu einem großen Verein wechseln, was das Saisonziel ist und wie lange die Leidenszeit bei den Fans ist. Das beeinflusst die Spieler natürlich auch.

Wird der HSV diese Saison endlich aufsteigen?

Ich muss ehrlich sagen, dass die Chance letztes Jahr so groß wie nie war. Die 2. Liga war da schwächer als sonst. Dieses Jahr gibt es mit den Absteigern Schalke 04 und Hertha BSC zwei große Kaliber, die sofort um den Aufstieg mitmischen werden. Dazu kommen noch andere starke Mannschaften wie St. Pauli, Fürth, Nürnberg, Hannover oder Düsseldorf, die immer ein Wort mitreden wollen. Der HSV muss noch mehr performen als voriges Jahr, und trotzdem wird die Chance nicht größer sein.

Ist der deutsche Fußball wirklich so schlecht, wie er nach dem Ausscheiden jetzt auch der Frauen bei der WM beschrieben wird?

Beim Frauenfußball kenne ich das System zu wenig, da fehlt mir ehrlicherweise die Expertise, um eine klare Meinung zu haben. Bei den Männern habe ich persönlich Zweifel an der Jugendarbeit. Ich bin kein großer Fan der Nachwuchsleistungszentren in den Vereinen.

Weil?

Weil mir da zu wenig auf den einzelnen Spieler geschaut wird: Stattdessen wird knallhart aussortiert, es fallen viel zu viele durch das Sieb und werden danach nicht aufgefangen, sondern fallengelassen. Wenn ein 14- oder 15-Jähriger nicht gut genug ist, in den nächsten Jahrgang zu kommen, heißt das ja nicht, dass er sich in den kommenden fünf Jahren nicht so entwickeln kann, den Weg in die Bundesliga zu schaffen.

Sprechen Sie aus Erfahrung?

Ich bin, wie zum Beispiel auch Max Kruse, eine Ausnahme. Wir haben es im Profi-Fußball geschafft, ohne in so einem Nachwuchszentrum gewesen zu sein. Wer da heute bereits mit 14, 15 oder 16 Jahren ist, geht eigentlich viel zu früh „all in“. Für den gibt es keine Geburtstagsfeten, kein Herumhängen mit Kumpels, keine Feiern und Party-Erfahrungen. Ich bin als 16-Jähriger mal am Tag vor einem Spiel zu einer Party gegangen, die bis in die Nacht dauerte. Meine Leistung auf dem Platz war danach schlecht. Diesen Fehler habe ich nur einmal gemacht. Die Jungs aus den Nachwuchszentren müssen darauf verzichten, solche Fehler zu machen und daraus Erfahrungen sammeln zu können. So entstehen praktisch gezüchtete Profi-Fußballer. Es müsste auch mehr auf die schulische oder berufliche Ausbildung jedes Einzelnen geachtet werden, auf Ausbildung ihrer Persönlichkeit. Viele Vereine werden ihrer Verantwortung da nicht gerecht.

Können Sie sich ein Leben ganz ohne Fußball vorstellen?

(lacht) Aktuell nicht.

Bitte ergänzen Sie...

Wenn ich mal nicht an Fußball denke... spiele ich Golf.

Selfies mit Fans finde ich... eine schöne Wertschätzung.

Mein größter Fehler als Fußballer war... keiner, der nicht auch was Gutes für mich hatte, weil ich daraus lernen konnte oder von dem ich noch heute träume.

Wenn sonnabends die Sportschau läuft... sitze ich mit der Familie beim Abendbrot.

In der Bundesliga drücke ich die Daumen... für alle meine Freunde und Ex-Vereine. Ich bin nie ein Wappen-Küsser gewesen. Ich habe mein Herz immer da gelassen, wo ich unterschrieben hatte.

Zur Person

13 Jahre lang spielte Martin Harnik (36) auf höchstem Niveau Fußball. In 244 Spielen der 1. Bundesliga für Werder Bremen, VfB Stuttgart und Hannover 96 erzielte er 66 Tore, in 83 Begegnungen der 2. Liga noch mal 33 Treffer. Zum Abschluss seiner beachtlichen Karriere kickte er in seiner letzten Spielzeit im Trikot des HSV. 2020 war für ihn dann Schluss mit dem Profi-Fußball.

Harnik ist im ländlichen Hamburger Osten geboren und aufgewachsen, als Fußballspieler wurde er vor allem beim SC Vier- und Marschlande ausgebildet. Als Sohn eines Österreichers spielte er 68-mal für die Nationalmannschaft des Nachbarlandes. Seit drei Jahren kickt er im Team des TuS Dassendorf in der 5. Liga. In der vorigen Saison knackte er dort mit 46 erzielten Treffern den über 40 Jahre alten Torrekord der Oberliga Hamburg.

Er lebt mit seiner Frau und den drei Kindern im Sachsenwald vor den Toren Hamburgs. Beruflich kümmert er sich vor allem um seine Indoor-Golfanlage „Eisen 7“ in Glinde. Dem Fußball ist er als TV-Experte weiter eng verbunden bei Sport1 und Servus TV.

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