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Gemeinschaftshaus

Nachhaltig Bauen mit Stroh: Wenn die Hauswände vom Feld nebenan kommen

Architektin Anna Dienberg steht Im Rohbau des Dorfgemeinschaftshauses mit Wänden aus Stroh.

Architektin Anna Dienberg steht Im Rohbau des Dorfgemeinschaftshauses mit Wänden aus Stroh. Foto: Swen Pförtner/dpa

Nachhaltig und regional sollte das neue Gemeinschaftshaus in Adelebsen werden. Dass es daher nun aus Strohballen gebaut wird, damit hatte auch der Bürgermeister nicht gerechnet.

Von Maurice Dirker, dpa Mittwoch, 06.11.2024, 11:00 Uhr

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Stein auf Stein entsteht für gewöhnlich ein Haus. Nicht so aber im Flecken Adelebsen in Südniedersachsen. Dort wird derzeit ein Gemeinschaftshaus gebaut, das auf Strohballen steht. Laut Architektin Anna Dienberg ist es das erste Mal, dass diese Bauweise für ein öffentliches Gebäude genutzt wird. Was hat es damit auf sich?

„Es handelt sich um eine experimentelle Bauweise“, sagt die Architektin, die sich in ihrem Masterstudium im österreichischen Linz mit der Technik beschäftigte. Sie glaubt, Strohballenhäuser könnten in Zukunft eine Alternative zur herkömmlichen Bauweise sein. „Noch steckt die Technik aber in den Kinderschuhen.“ Auch vom Baugewerbeverband Niedersachsen heißt es: „Bei der Bauweise handelt es sich derzeit um Einzelvorhaben.“

Die Strohballenbauweise sei daher auch nicht von Anfang an geplant gewesen, sagte Bürgermeister Holger Frase (SPD). Als die Gemeinde den Bau des Gemeinschaftshauses für die Ortsteile Erbsen, Lödingsen und Wibbecke 2016 plante, sei sie froh gewesen, überhaupt ein Planungsbüro gefunden zu haben. Das Büro habe dann die Idee gehabt und den Rat letztlich überzeugt. Unter anderem wegen des nachhaltigen Baumaterials - „das in Zukunft auch leicht zu verwerten ist, weil kein Sondermüll anfällt“, sagt Frase.

Stroh von umliegenden Feldern

„Viele aus der Region haben mitgeholfen, die Strohballen zusammenzutragen“, berichtet Architektin Dienberg. Die Wände des Gebäudes würden von Feldern aus rund 500 Metern Entfernung stammen. Ab kommenden Sommer soll das Gebäude, das direkt am Dorfplatz des Ortes Erbsen liegt, Platz für Vereine, Sitzungen und Veranstaltungen bieten.

Im Rohbau des Dorfgemeinschaftshauses sind Wände aus Stroh zu sehen.

Im Rohbau des Dorfgemeinschaftshauses sind Wände aus Stroh zu sehen. Foto: Swen Pförtner/dpa

Unterm Strich mache die Bauweise für die Gemeinde kaum einen Unterschied. 800.000 Euro Budget sind für den Bau eingeplant, 500.000 davon kommen aus Fördergeldern. Auch bei einer herkömmlichen Bauweise wären die Kosten für das Gebäude mit 160 Quadratmetern Nutzfläche ähnlich gewesen, meint Bürgermeister Frase.

Perspektivisch könnten Strohballenhäuser laut Dienberg allerdings günstiger sein als Steinhäuser. Stroh koste wenig und sei schnell montiert. In Erbsen dauerte der Rohbau zwei Wochen. „Die Wände aus drei Reihen Strohballen standen innerhalb von zwei Tagen“, so Dienberg. Durch die gegenseitige Reibung seien die versetzt gestapelten Strohballen praktisch unbeweglich. Mörtel brauche es nicht. Auf dem Stroh liegen im Boden verankerte Holzplanken, auf denen das Dach abgestützt wird.

Aufwendige Genehmigung

Kosten habe etwa die aufwendige Genehmigung verursacht, weil die Bauweise mit Strohblöcken in Deutschland bisher kein Standard ist. In der Schweiz oder Österreich seien derartige Häuser bereits weiter verbreitet. Zudem habe jeder Strohballen einzeln auf das richtige Maß überprüft werden müssen. „Die Ballen werden mit einer herkömmlichen Strohballenpresse hergestellt, die nicht für den Hausbau konzipiert ist“, sagt Dienberg.

Der Flecken Adelebsen im Landkreis Göttingen investiert in den Bau einer Begegnungsstätte in tragender Strohbauweise.

Der Flecken Adelebsen im Landkreis Göttingen investiert in den Bau einer Begegnungsstätte in tragender Strohbauweise. Foto: Swen Pförtner/dpa

So erreichen die Ballen eine Dichte von 130 Kilogramm pro Kubikmeter, sind kaum zu durchdringen und schließen wenig Luft ein. Das mache sie stabil und schütze vor gefräßigen Mäusen sowie Feuer, erklärt Dienberg. Wenn die Wände verputzt sind, sollen sie dem Brandschutzstandard F90B entsprechen. Das bedeutet, dass sie Flammen für 90 Minuten widerstehen können. Auch der Dämmwert soll mit herkömmlichen Häusern vergleichbar sein.

Statik unflexibel

Als Dämmmaterial werden kleinere Strohballen bereits auch in herkömmlichen Bauten genutzt. Dass ganze Strohhäuser mehr als eine Alternative werden, glaubt Dienberg aber nicht. Zwar könne mit Stroh auch mehrgeschossig gebaut werden, doch fehle in Städten der Platz für 1,20 Meter dicke Wände. Zudem könne mit Strohballen in der Statik nicht so flexibel gearbeitet werden, wie mit anderen Materialien.

Und: Nicht immer stehe gutes Stroh zur Verfügung. In Erbsen etwa verzögerte sich der Bau des Gemeinschaftshauses um ein Jahr, weil es 2023 zur falschen Zeit regnete. „Das Stroh war dann zu sehr mit Schimmel durchsetzt“, berichtet Dienberg. Dafür sei die Technik aber auch sehr langlebig. So seien die ersten Strohhäuser um 1900 im amerikanischen Nebraska gebaut worden - „und sie stehen teilweise noch heute“.

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