Öko-Anbau weiter auf Wachstumskurs: Bio-Forum tagt in der Festhalle

Bio-Forum in Jork: Helwig Schwartau (AMI), Werner Castiglioni (BioSüdtirol) sowie der Präsident des Europäischen Bioobst-Forums, Fritz Prem aus Österreich, und sein Stellvertreter Peter Rolker aus Jork, sehen ein großes Marktpotenzial für Ä
Bio boomt. Auch die EU-Kommission in Brüssel will den ökologischen Anbau stärken. Doch bislang sei allzu oft ein Lippenbekenntnis. Der Obstbau mahnte beim AMI-Bio-Apfel-Forum in Jork einen wirklichen Kurswechsel an.
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Mit dem European Green Deal hat die Europäische Union das Ziel ausgegeben, dass im Jahr 2030 mindestens 25 Prozent der Flächen ökologisch bewirtschaftet werden. Den Worten müssten jetzt auf Regierungsebene „auch Taten folgen“, so Dr. Friedhelm von Mering vom Bund ökologische Landwirtschaft. Auf Einladung der Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft (AMI) haben sich am Donnerstag in der Altländer Festhalle in Jork beim Bio-Forum Äpfel wichtige Vertreter der Branche aus Europa getroffen – aus den Bereichen Produktion, Vermarktung, Verarbeitung und Handel.
Mehr Mittel für Öko-Forschung
Dr. Friedhelm von Mering vom Bund ökologische Landwirtschaft (BÖLW) an die Adresse der zukünftigen Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen: „Die Regierung muss nicht nur über Öko reden, sondern auch handeln.“
Die Krux: Erst ab dem Jahr 2026 würden die Fördermittel für den ökologischen Anbau aus dem Topf der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aufgestockt. Bund und Länder müssten jetzt Spielräume bei der Förderung nutzen. Um das 25-Prozent-Ziel zu erreichen, müsste die Anbaufläche in Europa verdreifacht werden. Starke Bio-Länder wie Deutschland, Dänemark und Österreich sollten laut Dr. Friedhelm von Mering „die Führung übernehmen“ und einen Öko-Anteil von 30 Prozent bis 2030 anstreben.
Bio sei, so der BÖLW, ein wissensintensives Produktionssystem. Deshalb müssten die staatlichen Forschungsmittel aufgestockt sowie die Bildung und die Beratung gestärkt werden. 380 Millionen Euro werden für die Forschung ausgeschüttet, doch 98 Prozent fließen in Projekte aus dem konventionellen Bereich. „30 Prozent Bio gibt es nicht für zwei Prozent“, mahnte von Mering.
Außerdem müssten Bund und Länder selbst Vorbilder werden und den Bio-Anteil in Behörden-Kantinen und Schulmensen steigern – in Berlin beträgt der Bio-Anteil beim Schulessen bereits 50 Prozent, bei Obst und Milch sogar 100 Prozent. Übrigens: Beim Umweltbundesamt gibt es weder Bio in der Kantine noch eine Öko-Landbauabteilung. Der Öko-Flächenanteil in Deutschland liegt bei zehn Prozent, der Bio-Umsatz bei rund 15 Milliarden Euro. In den vergangenen fünf Jahren habe sich die Fläche verdoppelt, das Umsatzplus betrug 22,3 Prozent. Von Mering: „Weiteres Wachstum ist möglich, der Markt ist aufnahmefähig.“ Bei den konventionellen Betrieben sei laut BÖLW etwa ein Drittel umstellungswillig.
Jeder zweite deutsche Bio-Apfel wird an der Niederelbe produziert
An der Niederelbe beträgt der Öko-Anteil an der Fläche bereits 19 Prozent (Tonnage: 12 Prozent), jeder zweite deutsche Bio-Apfel wird hier produziert, rechnete Dr. Matthias Görgens vom Obstbauzentrum Esteburg vor. Bundesweit werden 80 000 Tonnen geerntet. Der Bio-Obstbau kann mittlerweile den Handel ein ganzes Jahr lang beliefern – über Ware aus den Apfellangzeitlagern. Um erfolgreich wirtschaften zu können, seien dauerhaft höhere Preise als für die IP-Ware notwendig. Bio-Bauern ernten etwa 30 Prozent weniger als ihre Kollegen aus der Integrierten Produktion, die Arbeitszeit pro 100 Kilogramm ist mit 2,4 Stunden doppelt so hoch. Und: Sollte der Mindestlohn auf 12 Euro steigen, werden die Personalkosten pro 100 Kilo von 30 auf 40 Euro steigen, rechnete der Vize-Präsident des Europäischen Bioobst-Forums, Peter Rolker aus Jork, vor. Kurzum: Anbau-Risiko (durch Verzicht auch chemischen Pflanzenschutz) und Arbeitsaufwand sind höher. Drei bis vier Enten dauere die Umstellung auf Bio, auch das Sortiment müsse sich ändern, IP-Markensorten wie der Elstar oder Braeburn seien aufgrund von Alternanz und/oder Schorfanfälligkeit wenig für den Ökoanbau geeignet. Sorten wie Topaz, Santana, Natyra sind die Standardsorten im Bio-Bereich, neue Sorten wie Allegro, Deichperle oder Freya sind entweder schorfrobust oder gegen Mehltau und Schorf gewappnet.

Der Obstbau setzt auf plastikfreie Verpackung. Foto: Vasel
„Bio boomt. Der Bio-Apfel ist kein Nischenprodukt mehr. Die Nachfrage nach Bio-Äpfeln wird weiter steigen“, betonte der AMI-Marktobstexperte Helwig Schwartau. Der Öko-Apfel sei nach der Banane das zweitbeliebteste Bio-Obst der Deutschen. Mittel- und langfristig würden der IP-Anbau und der Bio-Anbau zusammenlaufen – insbesondere wegen der fehlenden Pflanzenschutzmittel. Schwartau ist weiterhin überzeugt: Die Masse der Verbraucher wird Bio-Äpfeln aus der Region und aus Deutschland weiterhin den Vorzug gegenüber der Importware geben – ähnlich wie der Handel.
Obstbauer Torsten Wichmann von der Fördergemeinschaft Ökologischer Obstbau (Föko) mahnte, dass der Bio-Apfel seinen ökologischen und sozialen Mehrwert nicht verlieren dürfe: „Wir müssen die Natur vor dem Ausverkauf schützen und Ressourcen wie Luft, Wasser und Boden weiterhin schonen.“ Bio-Anbau stehe für eine enkeltaugliche Landwirtschaft, bei steigendem Marktanteil und Angebot dürften nicht die herkömmliche Marktmechanismen greifen, dann drohe der „Billigsumpf“. Notwendig sei eine Neue Ökonomie – geprägt durch Wertschätzung von Handel und Verbraucher für die Früchte der Arbeit der Obstbauern.
Wissenswertes rund um den deutschen Bio-Apfel-Markt
Sechs von zehn Verbrauchern in Deutschland kaufen bereits oft Bio-Produkte. Sie geben in Umfragen an, in der Zukunft häufiger Bio-Ware in den Einkaufswagen zu packen, so Helwig Schwartau von der AMI. Allerdings gibt es noch einen deutlichen Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit. 97 Prozent geben an, Bio-Obst und -Gemüse zu kaufen, doch die Haushaltsdaten des GfK-Marktforschungsinstituts zeigen, dass es nur 87 Prozent sind.
Insgesamt liegt der Bio-Anteil im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) bei sechs Prozent. Der Umsatz bei Äpfeln hat sich von 2015 bis 2021 mit rund 121 Millionen Euro verdoppelt, rund 680 Millionen Euro beträgt der Bio-Obst-Umsatz im deutschen Einzelhandel insgesamt (2021). Preis und Mengen steigen, ein Kilo kostet im Laden rund 3,42 Euro – fast doppelt so viel wie die IP-Ware. Der Einkauf privater Haushalte stieg von 27 000 Tonnen auf 48 500 Tonnen.
Discounter verkaufen 31 Prozent der Bio-Äpfel
Etwa 70 Prozent der Bio-Ernte sind Tafeläpfel, 30 Prozent werden zu Saft, Mus, Chips und anderen Produkten weiterverarbeitet, der BÖLW fordert deshalb den Ausbau der Verarbeitung.
31 Prozent der Bio-Äpfel werden in Discountern wie Aldi und Lidl verkauft, 29 Prozent bei Vollsortimentern wie Edeka oder Rewe und 15 Prozent im Naturkosthandel. Etwa 15 Prozent werden direkt vermarktet – ab Hof oder über den Wochenmarkt. Und acht Prozent der Bio-Äpfel werden von privaten Haushalten bereits im Online-Handel eingekauft.
28 Prozent der Bio-Äpfel (Frischmarkt) werden importiert, Italien (Südtirol) hat einen Anteil von 13 Prozent am deutschen Markt, gefolgt von Argentinien (7 Prozent).
Stärkste Bio-Konsumenten sind laut AMI/GfK-Haushaltspanel die Gruppen „Familien mit Kindern“ und „Menschen mit einem Netto-Einkommen von 3000 Euro und mehr“.

Bio-Äpfel. Foto: Vasel