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Jubiläumsübung

Polizei-Spezialeinheiten fassen Geiselnehmer in Hamburg

Einsatzkräfte des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) und des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei Hamburg demonstrieren ein mögliches Einsatzszenario zur Bewältigung einer Geisellage in einem Bus in Winterhude. Foto: Christian Charisius/dpa

Einsatzkräfte des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) und des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei Hamburg demonstrieren ein mögliches Einsatzszenario zur Bewältigung einer Geisellage in einem Bus in Winterhude. Foto: Christian Charisius/dpa

Die Polizei will Geiseln retten, doch am Ende sind sie alle tot. 50 Jahre nach dem Desaster von München will die Hamburger Polizei auf jede Bedrohungslage reagieren können. Die Spezialeinheiten demonstrieren ihre Fähigkeiten. Ein Blick hinter die Kulissen.

Donnerstag, 03.11.2022, 18:15 Uhr

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Es kracht, Nebel steigt auf, Flammen schlagen an einem Linienbus hoch. Rund ein Dutzend schwer bewaffnete Polizisten stürmen mit Gebrüll das Fahrzeug, in dem ein bewaffneter Geiselnehmer Fahrgäste bedroht. Mit diesem gestellten Szenario auf einem Polizeigelände in Hamburg-Alsterdorf demonstrieren die Spezialeinheiten am Donnerstag ihr Vorgehen bei einer Geiselnahme. Die Hamburger Polizei will zeigen, dass sie auf jedes vorstellbare Bedrohungsszenario vorbereitet ist.

Nach Anschlag auf die olympischen Spiele gegründet

Die Spezialeinheiten waren am 6. November 1972 gegründet worden. Damals war der Anschlag auf die Sommerspiele von München erst zwei Monate her. Palästinensische Terroristen hatten zwei israelische Athleten erschossen und neun weitere Israelis als Geiseln genommen. Bei einem gescheiterten Befreiungsversuch der Polizei auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck in Bayern waren alle Geiseln und ein Polizist sowie fünf Terroristen ums Leben gekommen.

Das Gründungsjubiläum sei einerseits ein Grund zum Feiern, sagte Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und fügte hinzu: „Andererseits kann ich die Wunde von 1972 als Polizist in Deutschland immer noch spüren.“ Mehr als 3200 Einsätze, oft in sehr brisanten Lagen, haben die Hamburger Spezialkräfte seit ihrer Gründung absolviert, wie LKA-Chef Jan Hieber sagte. Hinzu kommen mehrere Tausend Observationen und Festnahmen.

Schusswaffe fünfmal einsetzt

Viele Menschen konnten aus lebensgefährlichen Situationen befreit werden. „Die Polizei ist meiner Hinrichtung zuvorgekommen“, sagte der 1998 entführte Hotelierssohn Bodo Janssen nach Angaben von Meyer. Nur fünfmal hätten die Beamten von der Schusswaffe Gebrauch machen müssen, erklärte die Polizei. Dabei seien drei Täter zu Tode gekommen und ein Beamter verletzt worden.

Zwei Polizeibeamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei Hamburg, gekleidet mit der aktuellen Schutzausrüstung (r) und der Schutzausrüstung von 1972. Foto: Christian Charisius/dpa

Zwei Polizeibeamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei Hamburg, gekleidet mit der aktuellen Schutzausrüstung (r) und der Schutzausrüstung von 1972. Foto: Christian Charisius/dpa

Die olivgrün gekleideten Beamten des SEK gehören zusammen mit den meist in Zivil agierenden Kollegen vom Mobilen Einsatzkommando (MEK) zur Abteilung 24 im Landeskriminalamt (LKA 24/SE). Das MEK übernimmt nach Angaben eines Polizeisprechers vorwiegend Observationen. Die Mitglieder des SEK haben eine rund 30 Kilo schwerere Ausrüstung und können „robuster“ vorgehen.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Angriff auf den Pariser Musikclub Bataclan 2015 hätten die Spezialeinheiten neue Einsatzmittel bekommen, darunter Sturmgewehre, Distanz-Elektroimpulsgeräte (Taser) und das gepanzerte Fahrzeug Survivor. „Natürlich sieht das martialisch aus“, sagte Hieber mit Blick auf die Übung zum Jubiläum. Das diene auch dazu, einen Täter zum Aufgeben zu bewegen. Doch die Spezialeinheiten wählten immer das mildeste Mittel. Bei einem Messertäter beispielsweise hätten normale Polizisten oft nur die Möglichkeit, tödliche Gewalt anzuwenden. „Spezialeinheiten haben andere Möglichkeiten, um den Täter sicher zu stoppen.“

Gefahrenlage auf hohem Niveau

Die aktuelle Gefahrenlage in Hamburg sei abstrakt, aber auf hohem Niveau, erklärte der Leiter des LKA 24/SE, Hauke Carstensen. Es seien viele Waffen im Umlauf, psychisch kranke Täter seien eine große Gefahr.

Bei der Jubiläumsvorführung erfolgt der eigentliche Zugriff des Spezialeinsatzkommandos hinter einer dichten Nebelwand. Wenige Augenblicke später führen die Beamten den gefesselten Täter aus dem Bus und setzen ihn in ein Polizeifahrzeug. Es scheint alles nach Drehbuch gelaufen zu sein. Dass es in der Wirklichkeit auch Pannen gibt, zeigt der Rückblick der Polizei auf spektakuläre Einsätze der Vergangenheit. Im „Hamburger Polizei Journal“ heißt es in einem Bericht zur Festnahme eines Räubers, der 1974 in einer Bank Geiseln genommen hatte: „Schaulustige waren zu nah am Tatort. Nach dem Zugriff herrschte ein großes Durcheinander vor der Bank.“ (dpa)-

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