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Landkreis Stade

Potsdamer Konferenz: Hat Correctiv gelogen?

Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben.

Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben. Foto: Jens Kalaene/dpa

Dem Recherche-Medium Correctiv wird vorgeworfen, Angaben zum Treffen in Potsdam über rechte Migrationsideen frei erfunden zu haben. Stimmt das? Der Faktencheck sorgt für Klarheit und erklärt, woher die Vorwürfe kommen.

Von dpa Mittwoch, 13.03.2024, 15:40 Uhr

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Landkreis. Das Treffen rechter Politiker mit dem Taktgeber der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, in Potsdam hat die deutsche Gesellschaft aufgerüttelt. Nach Correctiv-Recherchen wird öffentlich, dass dort im November 2023 über Pläne zur Ausweisung Geflüchteter, aber auch deutscher Staatsbürger gesprochen worden sei.

Rechte Kreise versuchen seither, den Inhalt des Treffens herunterzuspielen, und bezichtigen die Journalisten der Lüge. „Correctiv musste selber zugeben, dass die Recherche um das geheime AfD-Treffen in Potsdam komplett frei erfunden ist“, heißt es etwa in einem Youtube-Video anlässlich diverser Gerichtsverfahren gegen das Medienhaus.

Stimmt der Vorwurf?

Nein, das ist falsch. Correctiv hat juristisch die Richtigkeit der eigenen Recherche bekräftigt. Ein Artikel darüber wird im Video fehlinterpretiert. Martin Sellner selbst bestätigt, dass sein Vortrag bei dem Treffen das Thema „Remigration“ trug. Darunter verstehen Rechtsextreme in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang.

Was hat Correctiv herausgefunden?

Das Medienhaus berichtete am 10. Januar 2024 erstmals über ein Treffen radikaler Rechter am 25. November 2023 im Potsdamer Landhaus Adlon. Daran haben auch AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen, wie die Betroffenen später selbst bestätigten. Mit dabei war auch der frühere Kopf der Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner.

In einem Einladungsbrief für die Zusammenkunft, in den auch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) Einblick bekam, heißt es: Bei der Veranstaltung werde ein „Strategiekonzept im Sinne eines Masterplans“ vorgestellt. Thema bei dem Treffen war ein Vortrag Sellners zur „Remigration“ - was dieser der dpa auch bestätigte.

Dieses Bild löste die TAGEBLATT-Recherche aus: Der weiße BMW-SUV mit Stader Kennzeichen gehört der Firma des AfD-Kreisvorsitzenden Maik Julitz und steht vor dem Gästehaus in Potsdam.

Dieses Bild löste die TAGEBLATT-Recherche aus: Der weiße BMW-SUV mit Stader Kennzeichen gehört der Firma des AfD-Kreisvorsitzenden Maik Julitz und steht vor dem Gästehaus in Potsdam. Foto: Recherche-Netzwerk Correctiv

Ideengeber unterstreicht Wahrheitsgehalt der Recherche

Unter dem Begriff „Remigration“ verstehen Rechtsextreme in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll, auch unter Zwang. Sellner schrieb der dpa am 10. Januar in einer E-Mail: Sein Plan sei nicht geheim, sondern werde „im patriotischen Lager breit und öffentlich diskutiert“.

Er umfasse „nicht nur Abschiebungen, sondern auch Hilfe vor Ort, Leitkultur und Assimilationsdruck“. Er habe eine „Musterstadt“ vorgeschlagen, „die als Sonderwirtschaftszone in Nordafrika gepachtet und organisiert werden könnte“.

Sellner sprach in seiner Mail an dpa darüber, wie erreicht werden könne, dass mehr Ausländer und sogar Menschen mit deutschem Pass Deutschland verlassen, und wie Menschen mit Einwanderungsgeschichte zur Assimilation gedrängt werden könnten.

Damit unterstrich der Ideengeber der als rechtsextremistisch eingestuften Identitären Bewegung den Wahrheitsgehalt zentraler Stellen der Correctiv-Recherche.

Was wird Correctiv nun konkret vorgeworfen?

Die Correctiv-Journalisten hätten angeblich vor Gericht zugeben müssen, „dass die ganzen krassen Sachen aus ihrem Artikel frei erfunden waren, und auf dem Geheimtreffen nie über einen Masterplan zur Ausweisung deutscher Staatsbürger gesprochen wurde“, wird behauptet.

Doch das ist falsch. Erstens hat Sellner selbst diese Punkte bestätigt. Und zweitens hat Correctiv das vor Gericht auch nicht erklärt.

Woher also kommt die unwahre Behauptung? Ganz einfach: Aus der falschen und übertriebenen Interpretation eines Medienartikels über gerichtliche Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Medienhaus, aus dem auch im Video immer wieder zitiert wird (hier und hier) - aber eben nicht vollständig.

Das Rechtsportal „Legal Tribune Online“ („LTO“) berichtete am 23. Februar 2024 darüber, dass mehrere Teilnehmer des Potsdamer Treffens juristisch gegen Teile oder bestimmte Aussagen in der Correctiv-Berichterstattung vorgegangen sind, darunter auch der Verfassungsrechtler und AfD-Anwalt Ulrich Vosgerau. Dazu wurden demnach von beiden Seiten eidesstattliche Versicherungen vorgelegt.

Von Correctiv hieß es dabei: „Wir stehen entschlossen hinter unseren Enthüllungen. Mit den eidesstattlichen Erklärungen machen wir klar: Wir garantieren die Richtigkeit unserer Recherche mit unserer persönlichen Freiheit und dem Medienhaus Correctiv als Sicherheit.“

Correctiv-Kernvorwürfe kein Streitgegenstand

Im „LTO“-Artikel heißt es eindeutig: Im Gerichtsverfahren „geht es gar nicht um die Kernvorwürfe des Correctiv-Berichts“. Die Recherche rund um das „Remigrationskonzept“ griffen demnach weder Vosgerau noch andere Teilnehmer des Treffens gerichtlich an.

Und „LTO“ fasst die eidesstattlichen Versicherungen wie folgt zusammen: Es habe eine „erstaunliche Einigkeit“ zwischen den Anwälten beider Seiten geherrscht, denn „zentrale Aussagen im Correctiv-Bericht werden übereinstimmend als zulässige Meinungsäußerungen eingestuft“. Die Berichterstattung werde somit für zulässig gehalten.

„Das Verfahren vor dem Landgericht Hamburg ist damit für die Bewertung des Correctiv-Berichts von marginaler Bedeutung“, analysiert „LTO“. „Die markanten Aussagen von Correctiv zu Vertreibungsplänen gegenüber Millionen Menschen, auch deutscher Staatsbürger anhand „rassistischer Kriterien“ blieben unangetastet.“

Wir stehen entschlossen hinter unseren Enthüllungen.

Correctiv

Begriff „Deportation“ bei Correctiv nicht im Zusammenhang mit Treffen

Correctiv wird hin und wieder auch vorgeworfen, den Begriff Deportation im Zusammenhang mit den in Potsdam besprochenen Plänen benutzt zu haben. Dagegen wehrt sich das Medienhaus.

Der Artikel beschrieb den von Sellner selbst bestätigten Vorschlag eines „Musterstaat[s] in Nordafrika“. In diesem Kontext erinnerte Correctiv an den sogenannten „Madagaskarplan“ der deutschen Nationalsozialisten, in dem 1940 erwägt wurde, die europäischen Juden auf die französische Kolonialinsel vor Ostafrika zu vertreiben.

Genutzt wurde dafür schon bei Veröffentlichung des Artikels das Verb „deportieren“, aber eben lediglich im Zusammenhang mit dem historischen Plan, nicht bezogen auf die aktuelle Idee. Im Artikel heißt es sogar explizit: „Unklar ist, ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat.“

Was nach dem Treffen passierte

Seitdem das Treffen in Potsdam öffentlich geworden ist, haben über die vergangenen Wochen bundesweit Hunderttausende Menschen für Demokratie und gegen die AfD demonstriert, darunter auch in Stade und Buxtehude. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte Mitte Januar: „Rechtsextremisten greifen unsere Demokratie an.“

Transparenzhinweis: Wir haben den zwischenzeitlich gekürzten Text der Deutschen Presse-Agentur auf unserer Webseite tageblatt.de wieder in seinen Originalzustand versetzt. Es ging um die Passage „Nach Correctiv-Recherchen wird öffentlich, dass dort im November 2023 über Pläne zur Ausweisung Geflüchteter, aber auch deutscher Staatsbürger gesprochen worden sei.“ Die vier Worte „aber auch deutscher Staatsbürger“ waren vorbehaltlich einer juristischen Prüfung von uns gelöscht worden. Die Überprüfung hat nun ergeben, dass keine Gründe gegen eine Veröffentlichung vorliegen.

J
Jochen Mextorf
13.03.202420:00 Uhr

Volksverdummung.

H
Harald Schaerffer
13.03.202416:51 Uhr

Einer der Correctiv-Autoren, Jean Peters (nicht sein wirklicher Name), ist nach eigener Darstellung ein „Geschichtenerfinder“. Bis Sonntag hieß es auf seiner Website:
„Ich entwickele Aktionen und erfinde Geschichten, mit denen ich in das politische und ökonomische Geschehen interveniere. Besonders wichtig dabei: Mit der passenden Medienstrategie Aufmerksamkeit erregen, den gesellschaftlichen Diskus anregen und so zum Wandel beitragen.“
Nachdem darüber berichtet wurde, löschte Peters diesen Text. Stattdessen steht dort nun: „Ich arbeite mittlerweile als investigativer Journalist bei Correctiv, dem größten gemeinwohlorientieren Medienhaus in Deutschland.“Geschichten erfinden soll nun gemeinwohlorientiert sein.Kein Wunder das man den Medien mißtraut.Solche Geschichtenerfinder ziehen die gesamte Journo Innung mit runter.Das erinnert an den Relotius der für den Spiegel geschrieben hatte.Einige hundert Artikel erfunden bis er dann gefeuert wurde.

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