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2. Weltkrieg

Regierungssitz Flensburg - die letzten Tage der NS-Diktatur

Rüstungsminister Albert Speer, Hitlers Nachfolger Großadmiral Karl Dönitz und der Chef des deutschen Generalstabs, Generaloberst Alfred Jodl (l-r) beantworten nach ihrer Gefangennahme durch die Briten am 23.05.1945 in Flensburg (Schleswig-Holstein) die Fragen von Kriegskorrespondenten.

Rüstungsminister Albert Speer, Hitlers Nachfolger Großadmiral Karl Dönitz und der Chef des deutschen Generalstabs, Generaloberst Alfred Jodl (l-r) beantworten nach ihrer Gefangennahme durch die Briten am 23.05.1945 in Flensburg (Schleswig-Holstein) die Fragen von Kriegskorrespondenten. Foto: Upi/dpa

Für wenige Wochen war Flensburg nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Schauplatz der Weltgeschichte. Hier residierte Hitler-Nachfolger Dönitz nach der Kapitulation bis zum 23. Mai 1945.

Von dpa Sonntag, 04.05.2025, 10:00 Uhr

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Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht endet der Zweite Weltkrieg in Europa am 8. Mai. Doch der NS-Staat existiert noch einige Wochen weiter - auf einem rund 14 Quadratkilometer großen Grundstück in Flensburg-Mürwik.

In der Sportschule der Marine-Ausbildungsstätte auf dem Gelände der heutigen Marineschule Mürwik - schlug die deutsche Führung unter dem Großadmiral Karl Dönitz ihr neues Hauptquartier auf. Dönitz war von Adolf Hitler selbst vor dessen Selbstmord als Nachfolger bestimmt worden. Am 3. Mai bildet Dönitz in Flensburg eine „geschäftsführende Reichsregierung“, die den Krieg zunächst fortsetzte.

Von Flensburg aus wandte sich Dönitz am 8. Mai zur Kapitulation ans Volk: „Mit der Besetzung Deutschlands liegt die Macht bei den Besatzungsmächten. Es liegt in ihrer Hand, ob ich und die von mir bestellte Reichsregierung tätig sein kann oder nicht.“ Letzteres war der Fall. Am 23. Mai umstellten alliierte Einheiten die Marineanlagen, die Mitglieder der Regierung sowie 420 hohe Beamte und Offiziere wurden verhaftet.

Für Flensburg sprachen mehrere Gründe

Seit 30 Jahren beschäftige er sich mit dieser eigenartigen Geschichte, sagte der Flensburger Historiker Gerhard Paul kürzlich bei der Vorstellung seines neuen Buches „Mai 1945: Das absurde Ende des „Dritten Reichs“. Wie und wo die Nazi-Herrschaft wirklich ihr Ende fand“ in Berlin. Aufgebaut ist das Buch wie ein Theaterstück samt Prolog.

Doch warum gerade Flensburg? „Das hatte mehrere Gründe“, sagt Paul. Nach dem Tode Hitlers gab es ja kaum noch Ecken in Deutschland, die nicht von den Alliierten besetzt waren. Da kam nicht mehr viel in Frage. „Es war eigentlich nur noch der Weg gen Norden frei.“

Für die Fördestadt sprach zudem die Nähe zu Dänemark und der grünen Grenze, über die man notfalls hätte entkommen können. Außerdem gab es den Ort der Marineschule, ein großes Areal, das sich anbot, gerade für jemanden wie Dönitz, der aus der Marine kam. Von den Briten - in deren Zone Flensburg lag - wurde darüber hinaus mehr Nachsicht erwartet als von anderen Siegermächten.

Viele Nazi-Funktionäre wechselten in Flensburg die Identität

Und es war nicht nur die Regierung um Dönitz, sondern es waren auch die Spitzen der Konzentrationslager, des Reichssicherheitshauptamtes, der Gestapo, der SS, die es nach Flensburg zog.

Zahllose hohe NS-Funktionäre und Funktionäre der SS wechselten nach Angaben Pauls in Flensburg die Identität. „ln den Gängen des Polizeipräsidiums „liegen Hunderte von schwarzen SS-Uniformen, derer sich ihre Träger aus Angst vor Vergeltung entledigt haben“. „Himmler rät seinen Leuten: Uniform wechseln, abtauchen“, sagt Paul. „Zur gleichen Zeit werden einfache Soldaten, die ihre Waffen hingeworfen haben, die einfach nach Hause wollen, weil sie gehört haben, der Krieg ist zu Ende, gefangen genommen (...) zum Tode verurteilt und auch erschossen“.

Bis zum Ende irreale Debatten - und Kabinettssitzungen

Was macht die Reichsregierung also bis zum 23. Mai 1945 im „Sondergebiet“ Flensburg-Mürwik, einem zwei mal sieben Kilometer langen Streifen entlang der Flensburger Förde? Paul zitiert in seinem Buch aus einem Bericht des britischen Sergeants und Dolmetschers Norman Kirby, der am 7. Mai nach Flensburg gereist war. Eine zerzauste Schreibkraft habe „ein Ausbildungsprogramm für die deutsche Wehrmacht für das Jahr 1947 in die Maschine (ge)klappert. Ausbildung für was? Den nächsten Krieg? Und welche deutsche Armee?“.

Laut Paul standen Symbolfragen im Zentrum der Dönitzregierung „Da den Männern um Dönitz das Eingeständnis der Realität schwerfiel, versuchte man sich durch das Festklammern an Statussymbolen und Sprachregeln über das Ausmaß der Niederlage hinwegzutäuschen“, schreibt er in seinem Buch. Gleichzeitig werden aber Todesurteile auch nach der Kapitulation noch vollstreckt.

Der letzte Akt der Naziherrschaft

Am 23. Mai wurden Dönitz und andere Mitglieder der geschäftsführenden Reichsregierung schließlich von den Briten festgenommen. „Was großspurig als Weltherrschaft seinen Anfang genommen hatte, endete mit einer Pressevorführung in einem Hinterhof.“ Ein britischer Kriegsberichterstatter schrieb über das Medienspektakel, „alle Welt sollte Bilder vom unwiderruflichen Ende des Dritten Reiches erhalten“.

Am 5. Juni 1945, übernahmen die alliierten Hauptsiegermächte auch formell mit dem Besatzungsrecht die Regierungsgewalt in Deutschland, wie der Deutsche Bundeswehrverband anlässlich des 75. Jahrestages des Kriegsendes 2020 schrieb. Dönitz wurde im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er starb 1980 in Aumühle im Kreis Herzogtum Lauenburg.

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