Zähl Pixel
Interview

Rolf Fuhrmann: Vom „Meister der Herzen“ und dem „Reporter der Schmerzen“

Rolf Fuhrmann in seinem Hamburger WG-Zimmer (die Boxhandschuhe sind ein Geschenk der Klitschko-Brüder). Fotos: Markus Lorenz.

Rolf Fuhrmann in seinem Hamburger WG-Zimmer (die Boxhandschuhe sind ein Geschenk der Klitschko-Brüder). Fotos: Markus Lorenz.

Rolf Fuhrmann, Reporter-Legende von Premiere und Sky, bietet dem Besucher in seiner Hamburger WG sofort das Du an. Fünf Jahre nach Ende der TV-Karriere plaudert der 72-Jährige mit der markanten Stimme ausgiebig über seinen verschlungenen Weg von Ostfriesland ins Fußballgeschäft.

Samstag, 16.07.2022, 12:00 Uhr

Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!

TAGEBLATT: Rollo, Du warst lange das, wovon kleine Jungs träumen: Fußball-Reporter. Wirklich ein Traumjob?

Rolf Fuhrmann: Ja, sicher. Ich bin dankbar für das, was ich machen durfte. Ich war 25 Jahre Feldreporter bei Premiere und Sky. Ganz nah am Fußball und an den Stars.

Was ist am Job des Field Reporters so reizvoll?

Es ist live, es ist immer wieder neu, ich habe alles erlebt. Das musste mir aber erst mal klar werden. Einmal stand ich im Schneetreiben in Rostock, ein fürchterliches Spiel gegen Gladbach. Mit Flocken berieselt dachte ich: Rollo, was machst du eigentlich hier? Um im nächsten Augenblick zu sagen: Rollo, das wird bezahlt. Du bist hautnah dabei. Und viele Menschen würden ihr letztes Hemd geben, um da zu sein, wo du sein darfst. Und genau so war es.

Die Fragen und vor allem die Antworten der Spieler sind doch immer ähnlich. Was ist daran aufregend?

Die Spieler bekommen Medienschulungen und reden entsprechend. Viele Interviews sind 08/15, da kann man wenig machen. Ich habe aber immer versucht, ein bisschen anders zu fragen. Und dann kriegt man auch andere Antworten.

Wie hast Du den Stars etwas entlockt, was sie vielleicht nicht sagen wollten?

Ich hab’ mir die Leute immer angeguckt, wenn sie auf mich zukamen, um deren Stimmung zu erkennen. Ich hab’ charmant angefangen, um dann auch kritisch zu fragen. Ich bin immer allen mit Respekt begegnet.

Gibt es Freundschaften zwischen Reportern und Spielern oder Trainern?

Freundschaften würde ich nicht sagen, dafür hat man zu wenig miteinander zu tun. Es gibt Bekanntschaften, auch mit Schiedsrichtern.

Mit wem konntest Du besonders gut?

Eigentlich konnte ich mit allen ganz gut. Selbst mit denen, die ein bisschen schwieriger waren, wie Huub Stevens. Oder Thomas Schaaf. Als er mir zu meinem 60. ein Werder-Trikot überreicht hat, raunzte er: „Ich wusste gar nicht, dass du schon so ein alter Sack bist.“ Diesen rauen Charme, damit kann ich gut umgehen.

Gab’s Typen, die Du – etwa nach einer 0:4-Klatsche – am liebsten nicht interviewt hättest?

Im Gegenteil. Gespräche mit Verlierern waren mir viel lieber. Was willst du beim Sieg denn fragen? Nein, interessant sind die Niederlagen, auch wenn die Leute dann ärgerlich sind und schimpfen.

Gab’s patzige Antworten?

Klar. Zum Beispiel von Rafael van der Vaart. Bei einer 0:2-Heimniederlage des HSV gegen den VfB Stuttgart hatte er vor beiden Toren Fehler gemacht. Darauf hab’ ich ihn angesprochen. Das fand er nicht so gut und hat in seinem holländischen Akzent geantwortet: „Was stellst du für Fragen? Hast du slecht geslafen?“ Am nächsten Tag hat er sich entschuldigt.

Hat Dich ein Spieler vor dem Mikro mal stehen lassen?

Ein einziges Mal. Das war Jürgen Kohler. Ich hab’ etwas gesagt wie „Frage der Ehre“, das war ihm zu viel. Ich meinte aber gar nicht ihn, sondern die Mannschaft. Ein Missverständnis.

War es Dein Plan, Feldreporter zu werden?

Nein, das war ein ganz langer Weg. Ich hab’ auf Lehramt Deutsch und Geografie studiert, nach dem Examen gab es aber keine Jobs für Lehrer. Ich bin dann in Hamburg Taxi gefahren, später hab’ ich im Windsurf-Weltcup gearbeitet. Irgendwann bin ich zu Radio 107 gekommen, habe Sketche geschrieben und war Sportreporter. Als der Sender zu Alsterradio wurde und nur noch Schlager gespielt hat, bin ich ausgestiegen. Weil ich Reinhold Beckmann kannte, konnte ich zu Premiere wechseln, zunächst als Praktikant.

Wie wurdest Du dann Field Reporter?

Mit Glück und Zufall. In Dortmund verletzte sich vor dem Spiel unser Feldreporter. Der damalige Sportchef Jörg Dahlmann sagte zu mir: „Rollo, jetzt bist du dran.“ Ich war so nervös, dass ich vorher sieben Mal aufs Klo musste. Aber als es losging, war ich ganz ruhig. In der Halbzeitpause hab’ ich mit Ottmar Hitzfeld mein allererstes Live-Interview gemacht.

Manche nennen Dich einen Kultreporter. Ehrt Dich das?

Ach, das ist mir eigentlich egal. Aber es steckt eine gewisse Anerkennung darin. Vielleicht bin ich authentischer als andere.

Deine gerade erschienene Autobiografie heißt „Der Kanzler, Otto, Oma & ich – Rollos Reise durch das Leben“. Welcher Kanzler?

Olaf Scholz. Mit ihm war ich drei Jahre im Landesvorstand der Hamburger Jusos.

Wie war er damals?

Ach, der alte Jurist und Pragmatiker. Im Grunde war er damals schon so wie er jetzt ist. Verrückt, wenn man sich unsere beiden Werdegänge so ansieht.

Was hältst Du von Scholz als Bundeskanzler?

Ich bin mit seiner und der Politik der SPD nicht einverstanden, obwohl ich weiterhin in der Partei bin. Ich sehe nichts Soziales mehr. Die SPD und die Grünen lassen sich viel zu sehr von der FDP blockieren.

Wie kommt Otto in den Buchtitel?

Das ist Otto Waalkes, ein Ostfriese wie ich. Mit 16 oder 17 Jahren habe ich in meiner Heimatstadt Aurich eine Diskothek eröffnet – nur mittwochs bis 22 Uhr und ohne Alkohol, übrigens. Ein Freund gab den Tipp, dass Otto Waalkes aus Emden die Wände bemalen könnte. Das hat er dann ganz toll gemacht, mit Motiven wie Jimi Hendrix, John Mayall und Plattencovern. Für 150 Mark. Seitdem kennen wir uns. Zu Weihnachten lädt Otto immer 20 Ostfriesen in Hamburg zum Essen beim Griechen ein.

Was hat es mit der Oma auf sich?

Das ist meine Oma Edith. Als ich ein Jahr alt war, sind meine Eltern für fünf Jahre zum Arbeiten nach Norderney gezogen. Ich blieb bei der Oma in Aurich, die sehr prägend für mich wurde. Sie hat mir immer auswendig Gedichte vorgetragen. Daher kommt wohl meine Liebe zur Sprache.

Wieso fährst Du ein selbst gebautes Auto?

Als junger Mann habe ich in meiner Zeit als Kurierfahrer mal einen Ingenieur getroffen, der einen gelben Buggy fuhr. So etwas wollte ich auch haben. Für 600 Mark hab’ ich mir eine Karosserie gekauft. Von Autos hatte ich zwar keine Ahnung, aber ein Kfz-Meister hat mir geholfen und gezeigt, wie man daraus ein Auto baut. Inzwischen kenne ich jede Schraube mit Vornamen. Der Wagen wird im November 51 Jahre alt.

Eher ungewöhnlich ist auch, dass Du mit 72 Jahren in einer WG lebst. Warum tust Du das?

Mir ist wichtig, nicht allein zu leben. Mit der Mutter meiner Tochter und meiner Tochter habe ich hier ja auch 14 Jahre gewohnt. Auch das war eine Art WG. Man muss sich miteinander zurechtfinden, Kompromisse schließen und kann nicht allein bestimmen. Das gefällt mir.

Das klingt alles sehr bodenständig. Hast Du nie mit dem Fußballgeschäft gefremdelt? Mit den Millionengehältern zum Beispiel?

Neidisch bin ich nicht, ich gönne denen alles. Von mir aus können die Spieler drei Maserati fahren. Ich finde nur, dass wer viel verdient, auch mehr Steuern zahlen sollte. Und natürlich stören mich andere Dinge.

Welche?

Die nicht gerechtfertigten hohen Ablösesummen zum Beispiel. Die Bestechung bei UEFA und FIFA. Dass Vereine wie ManCity und PSG (Manchester City und Paris Saint-German; Anm. d. Red.) das Financial Fairplay unterlaufen. Oder dass die WM nach Katar vergeben wurde.

Was stört Dich daran?

Dass in Katar Menschenrechte missachtet werden, dass die Scharia gilt, dass Frauen gesteinigt werden. Ich guck’ mir diese WM jedenfalls nicht an.

Im wohl dramatischsten Bundesligafinale aller Zeiten, am 19. Mai 2001, hast Du als Reporter in Gelsenkirchen live verkündet: „Schalke 04 ist Deutscher Meister“ und grenzenlose Euphorie bei den Fans ausgelöst. In Wahrheit lief das Spiel der Bayern beim HSV noch. In der Nachspielzeit schnappten sich die Münchner doch noch die Schale. Ist Dir das im Nachhinein peinlich?

Nein. Ich war weder derjenige, der das Bayern-Tor geschossen hat, noch war ich HSV-Torhüter Mathias Schober, der den entscheidenden Freistoß verursacht hat. Und ich war auch nicht der Schiedsrichter, der so lange hat nachspielen lassen. Ich war nur das emotionale I-Tüpfelchen.

Wie kam es zu dem Fehler?

Es gab damals nicht die technischen Möglichkeiten wie heute, dass wir auf dem Platz ständig über alles informiert waren. Das Spiel in Gelsenkirchen war zu Ende, der Rasen mit Fans geflutet. In der ganzen Hektik hieß es, das Spiel in Hamburg sei aus. Aber dann sprang die Videowall an, und wir sahen, wie Patrik Andersson den Bayern-Freistoß in Hamburg verwandelte. Da wusste ich, es ist etwas Historisches passiert. Schalke war der „Meister der Herzen“ und ich war der „Reporter der Schmerzen“.

Gab’s großen Ärger vom Chef?

Nein. Die Sache hat mir nicht geschadet. Im Gegenteil, dadurch bin ich bekannt geworden. Die Dortmunder wollten mir immer noch mal ein Denkmal dafür setzen. Die Schalker haben geflachst: „Du bist der Meistermacher.“ Und ich hab’ geantwortet: „Seid froh, dass ihr’s wenigstens für viereinhalb Minuten mal wart. Wer weiß, wann es wieder so weit ist.“

Rolf Fuhrmann: „Der Kanzler, Otto, Oma & ich – Rollos Reise durch das Leben“; 137 Seiten; Verlag Schriftpassion; ISBN: 978-3-9824242-0-0

Persönliches

Diese Frage würde ich einem Fußballer nie stellen … Wie fühlst Du Dich?

Deutschland wird Fußballweltmeister 2022, weil … werden sie nicht.

Am FC St. Pauli mag ich besonders … die Haltung.

Dass kein Mensch mehr Ostfriesenwitze erzählt, finde ich … ok. Die haben wir aus PR-Gründen ja selbst erfunden.

Wenn bei mir alles schiefläuft, dann …

sehe ich zu, dass es wieder richtig läuft.

Am wenigsten verzichten kann ich auf … Lust, Liebe, Laster und vor allem Gesundheit.

Das möchte ich im Leben noch mal machen … eine Weltreise.

Rolf Fuhrmann in drei Worten … The normal one.

Zur Person

Rolf Fuhrmann ist in Aurich (Ostfriesland) geboren und aufgewachsen. Zum Ersatzdienst beim Deutschen Roten Kreuz kam er Ende der 1960er Jahre nach Hamburg, wo er anschließend auf Lehramt Deutsch und Geografie studierte. Weil es nach dem Examen kaum Lehrerstellen gab, fuhr er jahrelang Taxi in Hamburg, arbeitete im Windsurf-Weltcup und beim Hamburger Sender Radio 107. Ende 1991 kam Fuhrmann zum TV-Sender Premiere (später: Sky), wo er ab März 1992 als Feldreporter bei Fußballspielen eingesetzt wurde. Der begeisterte Windsurfer, der auch vom Boxen und Eishockey berichtete, legte das Mikrofon 2017 aus der Hand. Fuhrmann hat eine Tochter und einen Enkelsohn. Er lebt in einer Wohngemeinschaft im Grindelviertel.

Weitere Themen

Weitere Artikel

T Irmelin Sloman: „Das Chilehaus ist für mich wie Magie“

Wir treffen Irmelin Sloman zum Interview am Chilehaus – wo sonst? Ihr Urgroßvater, der „Salpeter-König“ Henry B. Sloman, ließ das inzwischen ikonische Kontorhaus, in das sie sich als Kind schockverliebte, vor exakt 100 Jahren bauen.