Rufe nach Handy-Verbot an Grundschulen

Die Landesregierung in Hannover hält nichts von einem Handy-Verbot an Schulen. Foto: dpa
Jetzt laufen schon die Jüngsten mit dem Smartphone über den Schulhof. Die Debatte um ein Generalverbot ist entbrannt. Auch weil viele Inhalte auf den Handys nichts für Kinderaugen sind.
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Von Lars Laue
Die Landesregierung in Hannover hält nichts von Handyverbot an Schulen. „Es gibt keine Pläne, Smartphones zu verbieten - auch nicht für Grundschulen“, so ein Sprecher des Kultusministeriums gegenüber unserer Redaktion.
Kultusministerin Julia Willie Hamburg ergänzte: „Handys und andere digitale Geräte sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.“ Gleichzeitig räumte die Grünen-Politikerin ein, dass Grundschüler noch kein Handy bräuchten und bei Smartphones vielfach von den Angeboten überfordert seien. Statt eines Verbotes forderte Hamburg Erziehungsberechtigte und Lehrer auf, die Kinder eng zu begleiten, „um sie an eine sinnvolle Handynutzung heranzuführen“.
Die Schulen in Niedersachsen haben laut Ministerin altersgemäße Konzepte zur Bildung von Medienkompetenz. „Für diese Arbeit stärken wir ihnen den Rücken“, betonte Hamburg.
Laut Kultusministerium regeln die niedersächsischen Schulen die Mitnahme und Nutzung von Handys oder Smartphones eigenverantwortlich über ihre jeweilige Schulordnung. „Unsere Schulleitungen und Lehrkräfte sind kompetent genug, dies - auch und insbesondere unter pädagogischen Gesichtspunkten - zu entscheiden und durchzusetzen“, betonte Sprecher Ulrich Schubert und ergänzte: „Über diesen Weg gibt es bereits, insbesondere an Grundschulen, teilweise Regelungen, die die Nutzung eines Handys/Smartphones in der Schule verbieten, es sei denn, eine Lehrkraft lässt dies ausdrücklich zu“.
Nutzung von Handys in Grundschulen reglementieren
Hintergrund der Debatte ist ein Vorstoß von Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien. Die CDU-Politikerin forderte kürzlich, die Nutzung von Handys in den Grundschulen des Landes zu reglementieren. Es gehe darum, die private Nutzung während der Unterrichtszeiten zu unterbinden.
In einem Expertentalk unserer Redaktion zur Frage „Brauchen wir ein Handy-Verbot an Schulen?“ mahnte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher, dass eine übermäßige und unregulierte Nutzung von Smartphones an Schulen sich nicht nur auf schulische Leistungen, sondern gerade auch auf soziale Fähigkeiten auswirke. Schleicher appellierte an die Politik, ihre Verantwortung wahrzunehmen und einen klaren Gestaltungsrahmen vorzugeben.
Die Pädagogin und Buchautorin Silke Müller erhob jüngst in einem TAGEBLATT-Interview eine radikale Forderung: „Bitte kein Smartphone, bevor die Kinder 16 Jahre alt sind.“ Müller, die kürzlich ihr Sachbuch „Wir verlieren unsere Kinder: Gewalt, Missbrauch, Rassismus - Der verstörende Alltag im Klassen-Chat“ vorgelegt hatte, begründete ihre harte Haltung damit, dass sich für Kinder und Jugendliche, die ihre Smartphones ohne Beschränkungen nutzen könnten, „das Haifischbecken in voller Gänze“ öffne. „Und das Schlimme ist, dass die meisten Menschen nicht den Hauch einer Ahnung davon haben, welchen Bildern, Videos und Gefahren unsere Kinder im Netz ausgesetzt sind“, ergänzte die Leiterin der Waldschule Hatten (Landkreis Oldenburg).
Missbrauchsdarstellungen auf Schülerhandys nehmen massiv zu
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, fordert Schutzstandards für die digitale Welt, um Kinder und Jugendliche vor Missbrauch zu bewahren. Nötig seien klare Regeln und Transparenz, sagte Claus der Deutschen Presse-Agentur. So müssten Eltern über die Spielewelten ihrer Kinder entscheiden können. „Kaufe ich ein Spiel, in das Mechanismen des Kinder- und Jugendschutzes eingebaut sind? Oder nehme ich die offene Variante? Konkret entscheide ich damit, ob fremde Erwachsene im Spiel mit meinem Kind chatten dürfen oder dies zum Beispiel über Altersverifikation und weitere technische Mechanismen verhindert wird.“ Aktuell fehle Eltern viel zu oft eine solche Wahlmöglichkeit. Anbieter und Politik seien hier in der Pflicht.
Kinder werden der Beauftragten zufolge viel zu früh über das Internet, aber auch durch ältere Geschwister mit Inhalten, Fotos, Videos oder auch Chats konfrontiert, mit denen sie nicht umgehen können. „Missbrauchsdarstellungen auf Schülerhandys nehmen massiv zu“, sagte Claus. „Warum? Weil vieles gar nicht ernstgenommen oder sogar als Witz verstanden und mit lustigen Emojis weiter versendet wird. Offensichtliche Gewalt wird da oft nicht als real wahrgenommen.“ Dauerhafte Grenzverletzungen seien mittlerweile Normalität für die meisten Heranwachsenden. Das mache es für sie schwer, einen guten Kompass für Risiken zu entwickeln.
Die Journalistin war im März 2022 zur Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) berufen worden. (lit/dpa)