Schlickschlacht für den Küstenschutz - Bayrische Azubis helfen im Watt
Im Sommer kommen Auszubildende im Wasserbau aus Nordrhein-Westfalen und Bayern regelmäßig nach Ostfriesland, um Aufgaben im Küstenschutz kennen zu lernen, die es nur an der Nordsee gibt. Trotz maschineller Hilfe sind viele Aufgaben noch körperlich anstrengende Handarbeit. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Küstenschutz ist viel Handarbeit und Teamwork. Das erfahren auch angehende Wasserbauer, die jeden Sommer aus ganz Deutschland nach Ostfriesland kommen, um mit anzupacken. Und: Es gibt einige Tücken.
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Hilgenriedersiel. „Hauruck“ schallt es durch das Watt im ostfriesischen Hilgenriedersiel. Vier junge Männer zerren und schieben an einem mit mehreren Hundert Kilo Astwerk beladenen Wattschlitten. Langsam rutscht der Schlitten durch den grau-braunen Schlick.
Die Anschieber haben dabei Mühe, sich auf dem weichen Untergrund auf den Beinen zu halten. Bei jedem Schritt macht der Schlick schmatzende Geräusche. Teils versinken die jungen Männer knietief. Einer von ihnen bleibt schließlich mit einem Bein im Watt stecken - und kann erst mit vereinten Kräften befreit werden.
Zwei Wochen harte Arbeit an der Nordsee
Küstenschutz - das erfahren die jungen Auszubildenden im Wasserbau aus Bayern an diesem Vormittag schnell - bedeutet jede Menge Muskelkraft, Handarbeit und Teamarbeit. „Alleine macht man hier nichts“, sagt Carina de Vries vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Sie ist die Leiterin des Betriebshofes in Hilgenriedersiel, der für diesen Deichabschnitt im Landkreis Aurich zuständig ist.
Die 15-köpfige Gruppe von Wasserbau-Azubis aus Bayern ist bei de Vries und ihrem Team gerade für zwei Wochen zu Gast. In ihrer dreijährigen Ausbildung absolvieren die Azubis zwei Praxiswochen bei ihren ostfriesischen Kollegen. Die Nachwuchskräfte im Alter von 17 bis 23 Jahren kommen etwa aus Kronach, Traunstein, Ansbach und Deggendorf - manche sind das erste Mal überhaupt an der Nordsee.
Ebbe und Flut gegeben den Arbeitsrhythmus vor
Wie sie kommen schon seit Jahren jeden Sommer Wasserbau-Auszubildende aus ganz Deutschland nach Ostfriesland. Denn hier können sie lernen, was es in anderen Landesteilen nicht gibt, aber zu ihrer Ausbildung zählt: Küstenschutz. Was für die ostfriesischen Wasserbauer Routine und Daueraufgabe ist, ist für die jungen Azubis aus Süddeutschland auch ein Stück weit eine „Gaudi“, wie sie selbst sagen. Der Spaß gehört zur Arbeit dazu.
Dabei ist das Deichvorland im Watt ein Arbeitsplatz mit Tücken und ganz eigenen Herausforderungen. „Wir arbeiten mit dem Wasser. Bei uns fängt nicht jeder um 7.00 Uhr an“, erzählt de Vries. Den Takt geben die Gezeiten, das Wetter und die Jahreszeiten vor. Heute steht Lahnungsbau auf dem Programm. Für diese Arbeit im Watt bleibt nur ein schmales Zeitfenster: Alle sechs Stunden etwa wechseln sich Ebbe und Flut ab.
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Lahnungen spielten für den Küstenschutz eine wichtige Rolle, sagt de Vries. Es sind niedrige, kleine Dämme, die parallel und längs vor Deichen im Watt verlaufen. Sie bilden sogenannte Lahnungsfelder, die in der Regel 200 mal 200 Meter lang sind. Es gibt sie aus Stein, Betonfertigteilen oder klassisch aus Strauchwerk - oder genauer: aus „Busch“, wie die Fachleute sagen.
Diese Buschlahnungen bestehen aus zwei Pfahlreihen, in deren Zwischenraum „Busch“ gefüllt wird. Birkenzweige ließen sich gut verarbeiten, da es ein vergleichsweise weiches Holz sei, erklärt de Vries.
Lahnungsbau ist viel Handarbeit
„Die Lahnungen fangen den Wellenschlag ab“, erklärt de Vries und deutet dabei mit der Hand an, wie bei Flut das Wasser auf den Deich zuläuft. An dieser Stelle schützen die Lahnungen den Fuß des Deiches vor Ausspülungen, etwa bei einer Sturmflut. „Hinter den Lahnungen beruhigt sich das Wasser und Sedimente setzen sich ab, wenn das Wasser zurückgeht.“
Die Lahnungen dienen also auch als eine Art Wachstumshilfe, um das Land vor dem Deich zu erhalten. An manchen Stellen bilden sich so über die Zeit auch Salzwiesen, auch sie dienen wie eine Pufferzone zwischen Meer und Festland dem Küstenschutz.
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Dem Wasserbau-Nachwuchs aus Bayern zeigen die ostfriesischen Küstenschützer, wie der „Busch“ fachgerecht eingebaut wird. An dem Deichabschnitt müssen in diesem Sommer eine Reihe von Buschlahnungen erneuert werden. Insgesamt gibt es an der ostfriesischen Küste und auf den Inseln rund 128 Kilometer Küstenlinie mit Lahnungen.
Mit dem Schlickschlitten zur Baustelle
Der Erhalt und Bau ist trotz technischem Fortschritt noch größtenteils Handarbeit. Ein Bagger und eine Spüllanze helfen nur, wenn neue Pfähle in den Nordseegrund gedrückt werden sollen.
Nachdem die Azubis mit vereinten Kräften den Schlickschlitten, der auch Kreier genannt wird, samt Füllmaterial zur Baustelle bugsiert haben, wird das Strauchwerk dort in kleineren Bündeln abgeladen. In einer bestimmten Technik wird das Material zwischen den Holzpfählen aufgeschichtet, von oben festgetreten und schließlich mit Tauen fixiert.
Die Arbeit ist schweißtreibend, kräftezehrend und dreckig. Allein die Aussicht entschädigt etwas für die Schinderei: Bei klarer Sicht sind in der Ferne an diesem Tag die Häuser auf Norderney gut zu erkennen, mal lassen sich an der Baustelle einige Watvögel blicken - denn das Deichvorland gehört auch zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer.
Nachwuchskräfte im Wasserbau werden gesucht
Germanus Kettl macht die Schlickschlacht wenig aus. „Anstrengend, gewöhnungsbedürftig, aber es gefällt mir“, fasst der 23 Jahre alte Auszubildende vom Wasserwirtschaftsamt Nürnberg seine Eindrücke zusammen. Er könne sich vorstellen, nach seiner Ausbildung wieder für die Arbeit ans Meer zurückzukehren. „So einen Jahreszyklus am Meer erleben, das fände ich spannend.“ Zuvor habe er eine Ausbildung zum Chemielaboranten gemacht, erzählt Kettl.
„Im Labor habe ich es nicht ausgehalten, weil ich raus wollte.“ Über ein Freiwilliges Ökologisches Jahr kam er schließlich zu der Ausbildung. Das körperliche Arbeiten in der Natur habe ihm so gut gefallen, dass er sich als Wasserbau-Azubi bewarb.
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Nachwuchskräfte werden auch im Wasserbau dringend gesucht - in Niedersachsen ebenso in Bayern, sagt Armin Köller, Hauptflussmeister beim Wasserwirtschaftsamt Ingolstadt. Er begleitet die Azubis zusammen mit weiteren Ausbildern an die Nordseeküste.
„Wir haben in den nächsten Jahren einen hohen Arbeitskräftebedarf, da dann die Babyboomer gehen werden. Es suchen dann alle“, sagt Köller. Bei der Suche nach den Fachkräften von morgen könne sich niemand ausruhen. Deswegen macht die bayrische Wasserwirtschaft etwa auch über einen Instagram-Kanal auf den Nischenberuf aufmerksam.
Bayrische Azubis erhalten Lob von ostfriesischen Wasserbauern
Der Lahnungsbau im Küstenschutz sei dabei nur ein Teil des breitgefächerten Berufs, sagt Carina de Vries, die sich zur Wasserbaumeisterin weitergebildet hat. „Man muss mauern, pflastern, tischlern, Schalungen machen können. Das gehört alles dazu.“ Für handwerklich interessierte junge Menschen sei es ein äußerst vielseitiger Beruf.
Hinzu komme die Arbeit in der Natur. „Zu 85 Prozent sind wir in der freien Natur unterwegs“, sagt de Vries. Und im Watt gehöre auch eine gewisse körperliche Fitness dazu. Andere bezahlten viel Geld, um ins Fitnessstudio gehen zu können. Das hätten Wasserbauer und Wasserbauerinnen in der Regel nicht nötig, sagt de Vries mit einem Schmunzeln.
Von den ostfriesischen Wasserbauern gibt es für die bayrischen Nachwuchskräfte viel Anerkennung: „Heel good“, sagt Lehrgeselle Johannes Meyer auf Plattdeutsch, was so viel meint wie „sehr gut“. „Die Jungs sind ehrgeizig“, zeigt sich der Anleiter zufrieden.
Für die Auszubildenden geht es als Nächstes nach Norderney: Dort sollen Sandfangzäune gesetzt und Strandhafer zur Dünensicherung gepflanzt werden - denn auch weniger matschige Aufgaben zählen zum Küstenschutz.