Tiny House: Das große Glück im kleinen Schwedenhaus

Das Schwedenhaus zieht die Blicke auf sich: Manchmal klingeln Passanten bei Elke Nellessen und fragen, ob sie ein Foto von ihrem Haus machen dürfen. Foto: Arnd Hartmann
Ein rotes Holzhaus in Schweden - das hat sich Elke Nellessen immer gewünscht. Jetzt wohnt sie in einem Schwedenhäuschen mitten in Bremerhaven. Damit liegt sie voll im Tiny-Living-Trend, denn ihr romantisches Traumhaus ist nur 74 Quadratmeter groß.
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Von Luise Maria Langen
Nur ein paar Schritte abseits einer Hauptstraße in Bremerhaven sticht ein kleines, rotes Haus zwischen den gewöhnlichen Einfamilienhäusern hervor. Es ist ein Haus, das Urlaubsgefühle weckt. Der Geruch von Holz, die helle skandinavische Einrichtung und der Blick durchs Fenster in den naturbelassenen Garten - all das erinnert an Ferien in Schweden.
Elke Nellessen hat die ganze Welt bereist, aber Schweden ist und bleibt ihre große Liebe. „Ich war schon als Kind mit meinen Eltern oft da und habe mich in die Natur, die Einsamkeit und die freundlichen Menschen verliebt“, erzählt sie. Aber erst viele Jahrzehnte später hat sie sich selbst eines der typischen Holzhäuser in ihrer Heimat bauen lassen.
Die 78-Jährige braucht keine große Villa. Sie wohnt komfortabel und nachhaltig auf kleinem Raum - Tiny-Living, nennt man das. Ihr helles, offenes Zuhause ist insgesamt nur 74 Quadratmeter groß. Fast der gesamte untere Bereich besteht aus einem 54 Quadratmeter großem Raum. Der ist im modernen Landhausstil, mit weiß lasierten Holzmöbeln und cremefarbenen Teppichen, eingerichtet. Die dunkleren Einzelstücke aus Massivholz setzten dazwischen Akzente.
Der wahre Wohn-Luxus
Überall sind große und kleine Fenster, die den Blick in die grüne Garten-Oase eröffnen. „Dass ich beim Abwaschen in den Garten schauen kann, ist für mich Luxus“, schwärmt Elke Nellessen und streicht über die Anrichte in der offenen Küche. Sie selbst kochte nicht gerne - das übernimmt ihr Partner. Sie arbeitet lieber im Garten - ihre Finger sind noch braun, weil sie Nüsse gesäubert hat.
Die Rentnerin hat immer etwas zu tun: Wenn sie nicht gerade eine Fahrradtour macht oder Tennis spielt, lädt sie Freunde zu sich nach Hause ein. Jeden Freitag bekommt sie Besuch von ihrer Kunst-Gruppe. Dann wird der Holzboden mit Zeitungspapier ausgelegt und alle malen zusammen. Im ganzen Haus hängen Bilder vom Meer und anderen Natur-Motiven. Die 78-Jährige führt ein freies, naturnahes Leben in ihrem Bremerhavener Schwedenhaus.

Der Blick von oben ins Wohnzimmer: Im Wohnzimmer vereinen sich günstige Ikea-Möbel, mit Einzelstücken aus Asien und Möbeln aus dem 19. Jahrhundert. Foto: Arnd Hartmann
Doch der Weg zum Traumhaus war lang und führte fast um die ganze Welt.
Elke Nellessen ist 20 Jahre alt, als sie sich in einen Kapitän verliebt. Das Mädchen vom Lande - genauer gesagt aus Bremervörde - zieht nach Bremerhaven. Doch statt Monat um Monat daheim auf ihren Mann zu warten, begleitet sie ihn immer wieder auf seinen Reisen. Oft geht es nach Asien. Eine Zeit lang lebt sie sogar mit dem gemeinsamen Sohn in Australien.
Außergewöhnliche Möbelstücke aus Asien
Von den Abenteuern aus diesen Jahren erzählt auch das Mobiliar: Eine Kommode aus Wurzelholz stammt aus Taiwan, ein Schrank aus Hongkong. Andere auffällige Massivmöbel hat sie hingegen von ihrer Großmutter oder ihrer Urgroßmutter geerbt - zum Beispiel den Schreibtisch aus weiß lackiertem Rosenholz.
Zwischen den Reisen baut das Paar in Bremerhaven ein großes Haus für die Familie. Elke Nellessen arbeitet erst als Erzieherin und leitet später selbst einen Kindergarten. Für andere Menschen wäre das genug Abwechslung - aber als ihr Sohn erwachsen ist und das Haus verlässt, fragt sie sich: „Was fange ich jetzt mit meinem Leben an?“
Elke Nellessen entscheidet sich dafür, ihre Schweden-Liebe zum Beruf zu machen und einen kleinen Laden im Erdgeschoss ihres Wohnhauses zu eröffnen. Wie man ein Geschäft aufbaut und betreibt, weiß sie nicht. Aber sie lernt es mit den Jahren. Um die passende Ware zu finden, klappert sie erst Töpfereien im Cuxland ab, dann fährt sich nach Schweden und schließlich zu einer Skandinavien-Messe nach Dänemark.
Wie soll es nach der Trennung weiter gehen?
25 Jahre betreibt sie ihren Schweden-Shop erfolgreich. Dann trennt sich die 78-Jährige von ihrem Ehemann und stellt sich erneut die Frage: „Wie geht es jetzt weiter? Was fange ich mit meinem Leben an?“ Und wieder ist klar: Auch wenn sie in Rente geht, muss das Schweden-Gefühl ein Teil ihres Lebens bleiben.

Die Hausbesitzerin malt ihre Bilder selbst. Die Kommode hat sie aus Taiwan. Foto: Arnd Hartmann
Elke Nellessen verkauft das große Einfamilienhaus mit dem Geschäft an eine ehemalige Kundin. Sie selbst behält nur 280 Quadratmeter des ursprünglich 1000 Quadratmeter großen Grundstücks. Dort lässt sie innerhalb von fünf Monaten ihr Schwedenhaus bauen.
„Es war gar nicht so einfach, eine Genehmigung dafür zu bekommen, weil es in Bremerhaven kaum Holzhäuser gibt. Dabei hat schon mein Vater immer gesagt: Ein Holzhaus wie in Schweden, das ist Ökologie pur“, erinnert sie sich.
Häuser aus Holz: Warum es die Schweden richtig machen
Tatsächlich wurde Holz in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten als Baumaterial vernachlässigt. Dabei ist Holz nicht nur ein nachwachsender Rohstoff, sondern es speichert auch Kohlendioxid. Laut einer Studie der Universität Yale könnten die CO2-Emissionen weltweit um bis zu 31 Prozent gesenkt werden, wenn man für Neubauten nicht mehr Stahl oder Beton, sonder Holz aus nachhaltigem Anbau verwenden würde.
Das Schwedenhaus aus Nadelholz von Elke Nellessen ist zudem nach modernen Energiestandards gebaut, dreifach isoliert und somit sehr energieeffizient. „Leider heize ich mit Gas, aber bisher habe ich nicht viel gezahlt: Alle Nebenkosten zusammen lagen bei etwa 150 Euro. Jetzt steigt der Preis wahrscheinlich auf etwa 220 Euro“, schätzt sie mit Blick auf die Energiekrise.

Das Schwedenhäuschen in Bremerhaven ist nicht nur von außen ein Hingucker. Das Mobiliar ist im modernen, skandinavischen Landhausstil gehalten - mit ein paar besonderen Einzelstücken. Foto: Arnd Hartmann
Mit ihrem kleinen Holzhaus hat sich die Rentnerin deutlich vor Fridays for Future und dem Anstieg der Heizkosten für nachhaltiges Wohnen entschieden. So wie es die Schweden seit Generationen tun. „Jetzt fehlt eigentlich nur noch der See vorm Haus, dann ist alles perfekt“, sagt sie und lacht herzlich. Nach all den ereignisreichen Jahren in Asien oder Australien, als Kita-Leiterin oder Geschäftsführerin hat sie einen Ort zum Genießen gefunden.