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Sexueller Missbrauch

Von „Germany's next Topmodel“ ins Alte Land – Modefotograf hat Rückzugsort gefunden

Michael Reh, Modefotograf und Autor, machte in seinem Buch „Katharsis“ den Missbrauch als kleiner Junge öffentlich. Foto: Georg Wendt/dpa

Michael Reh, Modefotograf und Autor, machte in seinem Buch „Katharsis“ den Missbrauch als kleiner Junge öffentlich. Foto: Georg Wendt/dpa

Der Modefotograf Michael Reh wirkte als Juror bei „Germany's next Topmodel“ mit und hat die Stars der Szene über Jahre begleitet. Sein Lebensthema jedoch ist kein Glamouröses: Er macht den Missbrauch als kleiner Junge öffentlich. Seinen Rückzugsort hat er dazu im Alten Land gefunden.

Sonntag, 17.10.2021, 14:00 Uhr

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Von Britta Körber

Für Michael Reh war die Offenlegung seiner Pein eine Befreiung – für viele Menschen ist das Thema Missbrauch im Kindesalter aber nach wie vor ein mit Scham behaftetes Tabu. „Ich komme aus so einem Sumpf. Sechs Männer wurden in unserer Familie missbraucht, auch von Priestern“, erzählt der gebürtige Dortmunder Modefotograf.

Der 59-Jährige, der als Juror bei der TV-Castingshow „Germany's next Topmodel“ mitwirkte, lebt seit Jahrzehnten in Miami in den USA. Sein Rückzugsort aber ist seit mehr als einem Jahr ein alter Apfelhof mit 40.000 Bäumen im Alten Land geworden. Dort schrieb er nach seinem ersten Buch „Katharsis“, in dem er seine furchtbaren Erlebnisse als Drama einer Familie in Romanform aufarbeitet, in der Corona-Zeit den Krimi „Asta“.

Sexuelle Übergriffe der Tante

„Nachdem ich meine Geschichte öffentlich gemacht habe, bekam ich dreieinhalbtausend Mails“, berichtet Reh. 90 Prozent seien von Frauen geschickt worden. Er war überwältigt von der Resonanz auf sein Coming-Out.

Nicht als Schwuler, dazu steht er schon lange. Die jahrelangen Übergriffe seiner Tante im Kindesalter habe er aber wegen ihrer heftigen Drohungen komplett verdrängt, sagt er. Als er sich viel später wieder erinnert habe, seien sie schon verjährt gewesen.

„Bis ich 40 war, hat mir niemand geglaubt“

„Für mich hat es über 25 Jahre gedauert, aber ich habe es überlebt und kann mit den Folgen umgehen.“ Wenn man Liebe unter Gewaltandrohung erlebt habe, sei es schwierig, in Beziehungen Vertrauen aufzubauen.

Damals habe er aufgehört zu essen und konnte sich nicht mehr anfassen lassen. Seine überforderten Eltern schickten ihn zum Aufpäppeln in ein Kinderheim. Es war eine Zeit des Schweigens. „Bis ich 40 war, hat mir niemand geglaubt.“

Tabu-Thema mit hoher Dunkelziffer

Dann habe er allerdings die Mitglieder seiner Familie zusammengeholt, die sich dem stellen wollten, und über die Vergangenheit gesprochen. Es sollte keine Anklage sein, aber solche Vorfälle beträfen einfach jeden in einer Familie, sagt der 59-Jährige.

„Bei Frauen ist das ein Tabu-Thema, bei Männern noch viel mehr“, bestätigt Karin Steinherr, Vorsitzende des Vereins gegen Missbrauch bei Ingolstadt in Bayern. „Der Mann ist das starke Geschlecht, bis die was sagen, dauert es lange.“ Die Dunkelziffer bei männlichen Opfern ist ihrer Einschätzung nach höher als bei weiblichen: „Männer haben eine hohe Hemmschwelle.“ Als Beispiel nennt sie die Übergriffe bei den Regensburger Domspatzen: „Wenige haben sich getraut etwas zu sagen.“

Therapien zur Traumaverarbeitung

Auch später, wenn Hilfe gesucht wird, sei es nicht leicht: „Für die Traumaverarbeitung ist es teilweise frustrierend, weil es viele Selbsthilfegruppen gibt, die nur aus Frauen bestehen“, sagt Steinherr. 

Reh hat Therapien hinter sich und engagiert sich dafür, dass das Thema enttabuisiert wird. Seine Devise: „Mund aufmachen und durch den Schmerz.“ Missbrauch passiere vielen Männern, darüber gesprochen werde wenig. „Es ist mein Lebensthema, ich kann aber trotzdem positiv denken“, sagt Reh, der nach dem Zivildienst nur weg wollte aus der Heimat und in Hamburg Literatur studierte. Das nimmt man dem Reisenden, wie er sich selbst gern nennt, sofort ab.

Lockdown in Stade verbracht

Den Winter verbringt der durchtrainierte und braun gebrannte Fotograf im milden Miami, zum Arbeiten zieht es ihn oft nach New York und jedes Jahr ist er auch in Stade zuhause.

Bei seiner alten Jugendfreundin saß er im Vorjahr monatelang im Lockdown fest, musste sich wegen seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft sogar um eine Aufenthaltserlaubnis kümmern. Dann kaufte er sich ein Fahrrad und schrieb den ersten Band der Kriminalreihe, die im Alten Land beheimatet ist. Es geht wieder um Familienstrukturen.

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