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Aurora von Königsmarck

Was geistliche Gedichte aus dem 17. Jahrhundert über die Rolle der Frau erzählen

Die zwei Bände des „Nordischen Weyrauchs“ mit der Kassette, deren Gestaltung dem Originaleinband mit blauem Samt und Silberverzierung nachempfunden ist. Foto: Kungl. Vitterhetsakademien, Stockholm

Die zwei Bände des „Nordischen Weyrauchs“ mit der Kassette, deren Gestaltung dem Originaleinband mit blauem Samt und Silberverzierung nachempfunden ist. Foto: Kungl. Vitterhetsakademien, Stockholm

Aurora von Königsmarck war eine kulturell außerordentlich gebildete Persönlichkeit. Sie schrieb etwa geistliche Gedichte - gesammelt in dem Band „Nordischer Weyrauch“. Und dank eines Professors aus Schweden sind diese Gedichte erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.

Von Ina Frank Freitag, 03.02.2023, 16:30 Uhr

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„Für mich ist es das schönste Buch der Universitätsbibliothek Uppsala.“ Das sagt Bo Andersson, emeritierter Professor für Germanistik an der Universität Uppsala in Schweden. Gemeint ist der „Nordische Weyrauch“, eine Handschrift von Aurora von Königsmarck mit geistlichen Gedichten, gebunden in blauen Samt, verziert mit Silber. Diese Gedichte hat Andersson vor kurzem als Buch mit zwei Bänden herausgegeben. Mit Faksimile, Transkription, Abbildungen, Kommentaren und Kontextualisierung.

Maria Aurora Gräfin von Königsmarck wurde 1662 in Stade geboren und wuchs dort und auf Schloss Agathenburg auf. Sie war kulturell hochbegabt, spielte Cembalo und Laute, war eine talentierte Sängerin und Tänzerin, schrieb Theaterstücke, Opernlibretti - und eben geistliche Gedichte.

Geschenk für die schwedische Königin

Bo Andersson.

Bo Andersson.

Bo Andersson kennt den „Nordischen Weyrauch“, entstanden um 1690, schon lange. Schon immer hat er sich sehr für die deutsche Geschichte des 17. Jahrhunderts interessiert und auch eine Tagung in Stade besucht, bei der es unter anderem um schreibende Frauen auf Schloss Agathenburg ging. Frauen ist das Stichwort: Die Gedichte im „Nordischen Weyrauch“ stammen nicht nur von Aurora von Königsmarck selbst, sondern auch von ihrer Schwester Amalia Wilhelmina und ihren Cousinen Ebba Maria und Johanna Eleonora De la Gardie.

„Eine Handschrift ist immer ein Unikum, immer für einen Zweck gedacht“, sagt Andersson. Beim „Nordischen Weyrauch“ spreche alles dafür, dass es ein Geschenk für die schwedische Königin Ulrika Eleonora war. Stade und Umgebung waren damals Teil des schwedischen Reichs. Und ein Buch in Samt, solch edle Geschenke gingen nur an fürstliche Personen. Für die Frauen aus dem Hochadel waren Beziehungen zur Königin sehr wichtig, erklärt Andersson. Die Frauen hofften auf finanzielle Unterstützung oder eine gute Anstellung. Manche Frauen am königlichen Hof waren so gut bezahlt wie Generäle. Deshalb wurden Geschenke gemacht.

Provokativ: Private Andachten nur von Frauen

Der „Nordische Weyrauch“ trägt den Untertitel „zusammengesuchte Andachten vom Schwedischen Frauenzimmer“. „Frauenzimmer“ ist in diesem Fall nicht als abwertende Bezeichnung für „Frau“ zu verstehen, sondern tatsächlich als Zimmer - wo die Frauen an einem fürstlichen Hof zusammen saßen und unter anderem sogenannte „Andachtsübungen“ abhielten. Dabei sind die geistlichen Gedichte entstanden. Allerdings sei es ein heikles Thema gewesen, dass Frauen private Andachten veranstalteten, erzählt Andersson: „Das konnte unter Umständen sehr provokativ sein.“

Zum Buch, das Bo Andersson herausgegeben hat, gehören zwei Bände. In einer Kassette, deren Gestaltung dem Originaleinband nachempfunden ist. Es ist das erste Mal überhaupt, dass der „Nordische Weyrauch“ abgedruckt wird. Der erste Band ist ein Textband mit Faksimile und Transkription; der zweite Band enthält Erklärungen zum Kontext, in dem die Handschrift entstanden ist.

Bildung war für adlige Frauen wichtig - aber nicht lange

Es gibt einen biografischen Kontext der deutsch-schwedischen Beziehungen, und es gibt einen höfischen Kontext. Um von den Herrschern gefördert zu werden, floss Geld - oder es wurden, bei den Frauen, kulturelle Geschenke wie der Gedichtband oder auch Gemälde übergeben.

Und es gibt einen genderhistorischen Kontext. Zu der Zeit, als der „Nordische Weyrauch“ entstand, war es für adlige Frauen sehr wichtig, gebildet zu sein, etwa viele Sprachen zu sprechen. Das merke man auch bei der Gedichtsammlung, sagt Andersson: „Diese jungen Frauen hatten wirklich gelernt, Poesie zu schreiben.“ Er vermutet, dass kulturelle Bildung, vor allem die Fähigkeit, geistliche Lyrik zu schreiben, hochadelige Frauen attraktiv auf dem fürstlichen Heiratsmarkt machte. Bekanntermaßen änderte sich das Frauenbild wieder, entwickelte sich letztlich zurück: Die Rolle der Frauen wurde nur darin gesehen, die Familie zu versorgen. Bildung? Nebensächlich.

Aurora von Königsmarck war eine sehr gelehrte Theologin

Bo Andersson hat 2019 mit der Arbeit an dem Buch begonnen. Dabei habe er viele neue Erkenntnisse gewinnen können, sagt er. Etwa zur Sprache: „Das Gerüst ist Hochdeutsch, aber die Gedichte enthalten auch viele niederdeutsche Elemente.“ Außerdem habe er vorher nicht gewusst, dass Aurora von Königsmarck auch eine sehr gelehrte Theologin war. Sie habe nicht nur ein „Jetset-Leben“ mit zahllosen Reisen durch das damalige Europa geführt, sagt Andersson. Und noch etwas ist ihm bewusst geworden: welche großen Handlungsspielräume adlige Frauen damals hatten.

Das Buch kann hier bestellt oder kostenlos als PDF heruntergeladen werden.

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