Wieder ein Landhotel weniger: Witt's Gasthof gibt komplett auf

Hannelore und Friedo Witt geben jetzt auch ihren Hotelbetrieb in Himmelpforten auf. Foto: Helfferich
Dreieinhalb Jahre nach Schließung ihres Restaurants „Witt’s Gasthof“ geben Hannelore und Friedo Witt nun auch ihr Hotel in Himmelpforten auf. Damit endet eine mehr als 100-jährige Ära.
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Einst gab es acht Gasthäuser in Himmelpforten, zwei allein an der Einfahrt zum Stubbenkamp: Kutschers Hotel und Witt’s Gasthof. Doch seit Jahren wandelt sich der Ortskern bei der Kirche. 2014 wurde das leerstehende Kutschers Hotel abgerissen, 2018 das 200 Jahre alte Fachwerkhaus mit Saal und Restaurant der Familie Witt. Das Bauunternehmen Mittelstädt hatte es 2017 von Witts gekauft und ein modernes Bürogebäude errichtet. „Im Nachhinein war das ein Glück“, sagt Friedo Witt, „die Corona-Pandemie hätte das Restaurant nicht überlebt“, ist er sich sicher.
Hinter dem Mittelstädt-Neubau liegen die Bungalows, in denen Hannelore und Friedo Witt bis zum Jahreswechsel noch acht Doppelzimmer für Übernachtung mit Frühstück vermieteten. Jetzt ziehen die Gastronomen einen endgültigen Schlussstrich. „50 Jahre in der Gastronomie reichen“, sagt Hannelore Witt, „das ist ja auch körperlich anstrengend.“
Anstrengende Jahrzehnte in der Gastronomie
73 Jahre sind die beiden alt. Viele Nächte haben sie sich um die Ohren gehauen, an manchen Wochenenden sind sie sich morgens um 6 nur kurz auf der Treppe begegnet: Sie auf dem Weg nach oben ins Schlafzimmer, nachdem sie die letzten Feiernden verabschiedet hatte, er auf dem Weg in die Küche, um die Vorbereitungen für die nächste Gesellschaft zu treffen.
Als die Eheleute 1985 „Witt’s Gasthaus“ von seinen Eltern übernommen hatten, war die beste Zeit der deutschen Gastronomie schon fast vorbei. „Jeder hatte seinen Lieblingsitaliener und jedes Dorf sein Dorfgemeinschaftshaus, in dem mit Caterern gefeiert wurde“, erzählt Friedo Witt. Er hat mit eigenen Konzepten dagegengehalten: mit Himmelstour, Kutschfahrten, Milchmagister und Mühlendiplom. „In manchen Jahren hatten wir 50 Touren“, erzählt Friedo Witt. Einmal sei ein Busunternehmen mit zwei Bussen angereist. Hinzu kamen die großen Hochzeiten mit bis zu 500 Gästen in der Eulsete-Halle, die die Familie Witt bekochte, lange unterstützt von der Schwester und den Eltern.
Friedo Witt ist preisgekrönter Koch
Friedo Witt ist Koch von der Pike auf. Gelernt hatte er ab 1965 in der Bremerhavener Strandhalle. Nachdem er 1968 bei einem Vergleichswettbewerb Bundessieger wurde, engagierte ihn ein Schweizer Fünf-Sterne-Hotel. Er weiß noch heute, was er damals gekocht hat: Bremer Kükenragout und gefüllte Krebsnasen. Anschließend kochte er in Karlsruhe und bei der Bundeswehr. Nach einem Manöver in Paderborn „lernte ich bei einem Kneipenbummel ein hübsches Mädchen kennen“, erzählt er. Seine Hannelore folgte ihm nach Bremerhaven, wo ihn sein früherer Chef als Sous-Chef wieder einstellte.
Bald riefen die Eltern in Himmelpforten um Hilfe. „In den 70er Jahren ging es los mit dem Essengehen“, erinnert sich die heutige Ehefrau. Die Gaststube mit zehn Tischen genügte nicht mehr. Der Gasthof wurde um ein Restaurant für 60 Personen erweitert, es musste in Kühl- und Lagerräume investiert werden. Neue Gerichte wurden kreiert, statt des Schweinebratens gab’s Tournedos Rossini. Und Friedo Witt setzte auf frischen Fisch. „Es gab weit und breit kein Fischrestaurant“, damit punktete er bei den Gästen.
Während er in der Küche zeitweise bis zu zehn Mitarbeiter beschäftigte, leitete seine Frau das Restaurant. „Sie war immer das freundliche Gesicht des Hauses“, sagt Friedo Witt, sorgte nicht nur für den Service, sondern auch für die Dekoration.
Verbundenheit mit dem Dorf
Über all die Jahre waren Witts stets dem Dorf verbunden, darauf legt Friedo Witt großen Wert. Sie sponserten die örtlichen Vereine, unterstützten den Bau des Jugendblockhauses am Sportplatz. Und nach dem Training konnten die Sportler auch auf eine Currywurst vorbeikommen.
Nach dem Verkauf des Restaurants hatten Hannelore und Friedo Witt noch dreieinhalb Jahre Hotelgäste bewirtet. Jetzt ist auch damit Schluss. In den nächsten Tagen wird das gesamte Inventar verkauft.
Der Stader Dehoga-Vorsitzende Lutz Feldtmann bestätigt den Trend, dass in der Fläche die Landgastronomie verloren geht. In den vergangenen 10 bis 13 Jahren habe es niedersachsenweit 30 Prozent Verlust gegeben, so Feldtmann. Das liege häufig an mangelnder Nachfolge, aber auch an fehlenden Mitarbeitern und einer schlechteren Verkehrsstruktur. „Dabei ist die Landgastronomie total wichtig, etwa für den Fahrradtourismus, aber auch für die großen Familienfeiern“, sagt er. Er fürchtet, dass nun auch noch coronabedingte Schließungen folgen werden. Grundsätzlich sei der Trend im Landkreis Stade nicht so negativ wie im übrigen Niedersachsen.
Die Geschichte
Am 1. Oktober 1913 kauften Franz Daniel und Katharina Witt einen alteingesessenen Gasthof im Zentrum von Himmelpforten und nannten ihn „Gasthaus Witt“. Von 1926 bis 1946 stand mit Friedrich und Sophie Witt die zweite Generation am Zapfhahn. Nach Friedrich Witts Tod im Jahr 1946 führte Sophie Witt den Betrieb bis 1949 weiter, dann verstarb auch sie. Beide sind nur 58 Jahre alt geworden. Sohn Erich, erst 23 Jahre alt, übernahm den Gasthof, unterstützt von seiner Schwester Lisa und später der Ehefrau Inge. Sohn Friedo Witt übernahm 1987 in vierter Generation.