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Krieg

So wollen Menschen im Kreis Stade Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine helfen

Erste Flüchtlinge aus der Ukraine werden im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin (LAF) in ihre Unterkünfte begleitet. Foto: Joerg Carstensen/dpa

Erste Flüchtlinge aus der Ukraine werden im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin (LAF) in ihre Unterkünfte begleitet. Foto: Joerg Carstensen/dpa

Hunderttausende Menschen in der Ukraine fliehen vor Krieg und Gewalt. Aber wohin? Auch der Landkreis Stade bereitet sich auf die Aufnahme der Menschen vor.

Montag, 28.02.2022, 09:15 Uhr

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„Die Hilfsbereitschaft der Menschen ist überwältigend“, sagt Landrat Kai Seefried (44, CDU). Es habe in den vergangenen Tagen sehr viele Angebote von Menschen gegeben, die bei der Aufnahme der Flüchtlinge aus der Ukraine helfen wollen. „Es gibt auch viele Angebote über Wohnraum für die Menschen aus der Ukraine“, so Landrat Seefried. Viele seien nach der sehr eindrucksvollen Solidaritäts-Mahnwache in Stade zu ihm gekommen und hätten ihre Hilfe angeboten. In Stade waren am Sonntag rund 1200 Menschen zusammengekommen, in Buxtehude waren es am Sonnabend über 600 Menschen.

Krisen-Stab ins Leben gerufen

Die Stader Kreisverwaltung hat am Montagmorgen einen Ukraine-Stab ins Leben gerufen, der jetzt die Aufgabe hat, die Strukturen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet zu schaffen. Zum Krisen-Stab gehören der Erste Kreisrat Thorsten Heinze, die Dezernentinnen Madeleine Pönitz, Nicole Streitz und Susanne Brahmst sowie Mitarbeitende aus dem Sozialamt und dem Ordnungs- und Rechtsamt. Am Dienstagmorgen gibt es dann ein Gespräch von Landrat Kai Seefried und allen hauptamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern. Hier wird ein Thema sein, wie die Angebote aus der Bevölkerung koordiniert werden können.

Dabei ist derzeit unklar, worauf sich die Region überhaupt vorbereiten muss. Die genannten Zahlen an Flüchtlingen sind sehr unterschiedlich. Männer im wehrfähigen Alter dürfen die Ukraine derzeit gar nicht verlassen, so dass derzeit überwiegend Frauen und Kinder ins Ausland fliehen. „Aber die Lage kann sich dramatisch schnell verändern“, so Kai Seefried.

160 Ukrainer leben im Kreis Stade

Rund 160 Ukrainerinnen und Ukrainer halten sich derzeit im Kreis Stade auf. Weitere Bürger haben Verwandte, Freunde und Bekannte in der Ukraine. Wer Menschen aufnehmen möchte, kann ihnen unbürokratisch eine Bleibe bieten, sagt Nicole Streitz: „Ukrainer mit biometrischem Reisepass können visumsfrei nach Deutschland einreisen.“ Anträge bei der Ausländerbehörde müssten nicht gestellt werden. „Allerdings empfehle ich, das Thema der Krankenversicherung für die aufzunehmenden Gäste so früh wie möglich zu regeln“, so die Dezernentin.

Personen, die sich visumsfrei in Deutschland aufhalten oder einreisen wollen, können eine private Auslandskrankenversicherung abschließen. Infos dazu gibt es bei den Krankenkassen. Wer keinen biometrischen Pass besitzt, muss das Visum zur Einreise nach Deutschland nicht in der Ukraine beantragen, weil die dortige Auslandvertretung geschlossen ist. Stattdessen müssen ukrainische Staatsangehörige das Visum aus einem der ukrainischen Nachbarstaaten heraus bei der deutschen Auslandsvertretung beantragen.

Wie viele Kommunen überprüft die Stadt Buxtehude gerade, wie viele Menschen sie aufnehmen kann. „Wir brauchen dabei auch die Hilfe der Zivilgesellschaft, besonders wenn es um Wohnraum geht“, sagt Ralf Dessel von der Stadt Buxtehude.

Viele Flüchtlinge kommen nach Polen

In Polen kommen zurzeit so viele Flüchtlinge aus der Ukraine an, dass es an allem fehlt. Das weiß Familie Möller-Bruhn aus Dollern aufgrund familiärer Kontakte vor Ort. Sie wollen selbst anpacken und fahren mit vollem Anhänger am Donnerstag von Dollern nach Gdynia (Gdingen), wo eine zentrale Sammelstelle Hilfe und Helfer koordiniert, berichtet Anna Möller. Bis dahin sammeln sie nach einer Bedarfsliste Hilfsgüter wie Nahrungsmittel und Hygieneartikel. Wer Sachspenden abgeben will, kann sich bei ihr melden: 01 72/ 78 5 01 40 oder anna-moeller-bruhn@web.de.

Schon jetzt kommt es zu Engpässen in der Versorgung mit Arzneimitteln in der Ukraine. Die Brücken-Apotheke in Buxtehude sammelt Geldspenden, um die Organisation @action.medeor zu unterstützen und vor Ort eine Notversorgung einzurichten. Medeor wird auch „die Notfallapotheke der Welt“ genannt. Aufgerufen wird dazu, entweder selbst direkt zu spenden oder eine Spende direkt in der Brücken-Apotheke abzugeben – mit dem Versprechen: „Wir leiten die Spende weiter und runden großzügig auf.“

Stader Jugendorganisationen zu praktischer Solidarität

Die politischen Jugendorganisationen im Landkreis Stade haben einen gemeinsamen Aufruf an den Landkreis und die Gemeinden im Landkreis Stade veröffentlicht. Zusammen rufen sie Landkreis und Kommunen dazu auf ihre Möglichkeiten fliehende Menschen aus der Ukraine aufzunehmen und Hilfe zu leisten.

Das sowohl die Stadt Buxtehude als auch der Landkreis schon Ankündigungen in diese Richtung gemacht haben wird von ihnen sehr positiv aufgenommen und sie äußern die Hoffnung, dass diese Solidarität im Landkreis Stade beibehalten und noch stärker wird. So der Kreisvorsitzende der Jungsozialisten im Kreis Stade Fynn Hinck: "Derzeit finden beinahe täglich Kundgebungen und Mahnwachen im Landkreis Stade statt die ihre Solidarität mit der Ukraine verkünden. Im Anblick einer humanitären Katastrophe ist es wichtig, dass wir auch im Kleinen unsere Möglichkeiten zu helfen nutzen. Wir müssen nicht nur sprachlos zusehen was Putins Krieg in Europa auslöst."

Tim Evers der Kreisvorsitzende der Grünen Jugend: "Uns ist besonders wichtig, dass wir in dieser Situation schnell Handeln und alles tun, um den Menschen in ihrer Notlage zu helfen. Dazu braucht es Aufnahmeangebote und humanitäre Hilfen."

Jonas Horwege von der Linksjugend: "Für uns hat der Schutz von Menschen, die unter diesem Krieg leiden oberste Priorität. Gerade deshalb rufen wir den Landkreis und die Kommunen zur Aufnahme Geflüchteter auf, um die bekundete Solidarität auch praktisch umzusetzen."

Mate Sieber von den Jungen Liberalen: "Als Kommunalpolitiker haben wir wenig Einfluss auf die Sanktionen und weitergehenden Maßnahmen, aber wir haben Möglichkeiten, um zum Ausdruck zu bringen, dass wir in diesen schweren Stunden an der Seite der Menschen in der Ukraine stehen. Sich solidarisch zu verhalten ist mehr, als es nur durch Worte anzudeuten. Vielmehr ist wichtiger, dies mit Taten Wirklichkeit werden zu lassen. Damit liefern wir einen ersten, wichtigen Schritt."

Und Niels Kohlhaase von der Jungen Union: "Wir sind in der Verantwortung, unsere europäischen Freunde aus der Ukraine zu unterstützen. Die Vereinten Nationen sprechen bereits von über 300.000 Flüchtlingen. Die Kommunen im Landkreis Stade sollten Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten aufnehmen und sich bereits jetzt auf die Ankunft der ukrainischen Familien vorbereiten."

Caritas fordert großzügige Aufnahme von Flüchtlingen

Das Hilfswerk Caritas international hat sich für eine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine in Deutschland ausgesprochen. Es stehe außer Zweifel, dass viele Menschen aus Erstaufnahmeländern wie Polen, Rumänien oder Moldau weiterreisen würden, sagte der Leiter von Caritas international, Oliver Müller, am Montag im Deutschlandfunk. Es werde dann darum gehen, «dass Deutschland seiner Verantwortung gerecht wird». Wenn diese Menschen ankämen, sollte es die Möglichkeit geben, sie aufzunehmen.

Es sei "sehr anerkennenswert" von den Nachbarländern der Ukraine, dass sie vorerst zur großzügigen Aufnahme bereit seien, sagte Müller. Derzeit gebe es weiter erhebliche Probleme an der Grenze der Ukraine zu Polen, wo die Menschen bei kaltem Wetter mit Wartezeiten zwischen 12 und 20 Stunden zu kämpfen hätten. "Viele Menschen kommen entkräftet in Polen an", sagte Müller. In der Ukraine selbst seien noch 34 von 37 Caritasstellen arbeitsfähig und unterstützten Flüchtende. Es sei aber eine Frage von Tagen oder Wochen, bis die zur Versorgung nötigen Lager leer seien. 

Unterstützung für Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland

Erste Kriegsflüchtlinge trafen am Wochenende in Deutschland ein - ihre Zahl war aber zunächst noch relativ gering. Die Bundesregierung will Flüchtlingen aus der Ukraine mit verschiedenen Erleichterungen helfen. So sollen Corona-Tests an der Grenze freiwillig sein, teilte das Innenministerium am Sonntag per Twitter und auf seiner Internetseite mit. Die Bundespolizei werde bei Kriegsflüchtlingen und Vertriebenen „pragmatisch“ mit der Situation umgehen. Eine Quarantänepflicht sei seit Sonntag ohnehin entfallen, da die Ukraine nicht mehr als Hochrisikogebiet eingestuft wird.

Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit können sich seit 2017 ohne Visum 90 Tage lang in EU-Ländern aufhalten - in welches Land sie gehen, bleibt damit ihnen überlassen. Nach Ablauf der 90 Tage könne die Aufenthaltsdauer in Deutschland bei der zuständigen Ausländerbehörde nochmals um 90 Tage verlängert werden, teilte das Ministerium mit. Es sei auch möglich, einen Asylantrag zu stellen.

Bahn fährt Geflüchtete aus der Ukraine umsonst nach Deutschland

Die Deutsche Bahn erleichtert Menschen aus der Ukraine die Flucht nach Deutschland. „Die Deutsche Bahn ermöglicht Geflüchteten mit ukrainischem Pass oder Personalausweis, kostenlos alle Fernzüge aus Polen in Richtung Deutschland zu nutzen“, teilte der Konzern am Sonntag mit. Die Regelung gelte von sofort an. „Damit soll Flüchtenden die Weiterreise ab der Grenze erleichtert werden.“ Die Bahn stehe in engem Austausch mit Behörden und Partnerbahnen in Polen, Tschechien und Österreich.Gemeinsam mit der polnischen Eisenbahn bereitet die Bahn gegebenenfalls notwendige zusätzliche Kapazitäten vor. Hierfür könnten zusätzliche Wagen und Sonderzüge eingesetzt werden, hieß es.

Polen: Bislang 115 000 Flüchtlinge eingetroffen

In Polen sind nach Regierungsangaben seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine 115.000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland angekommen. Viele Beamte des Grenzschutzes hätten sich freiwillig gemeldet, um die Kollegen bei der Passkontrolle der Flüchtlinge zu unterstützen, sagte Polens Vize-Innenminister Pawel Szefernaker am Samstag am Grenzübergang in Dorohusk. Die Wartezeiten auf der ukrainischen Seite der Grenze würden wegen des großen Andrangs immer länger. „Wir haben auch schon erste Versuche illegaler Grenzübertritte“, sagte Szefernaker weiter. Personen, die versucht hätten, über die grüne Grenze nach Polen zu gelangen, seien festgenommen worden.

Die Abfertigung der Flüchtlinge auf der ukrainischen Seite werde auch dadurch langsamer, weil es durch die Kriegssituation zu Ausfällen im Computersystem des ukrainischen Grenzschutzes komme, hatte Szefernaker zuvor dem öffentlich-rechtlichen Sender TVP gesagt. Polen sei in der Lage, täglich bis zu 50.000 Flüchtlinge aus der Ukraine an der Grenze abzufertigen. Es hätten sich auch viele Privatpersonen, Firmen und Kommunalverwaltungen gemeldet, die bereit seien, Flüchtlinge aufzunehmen. (mit dpa)

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