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Ermittlungen der der Soko Tierschutz

Undercover-Mitarbeiter offenbart Tierquälerei

Im Labor in Rade-Mienenbüttel werden Beagle als Versuchstiere eingesetzt. Sie gelten als besonders gutmütig und duldsam. Foto: Soko Tierschutz

Im Labor in Rade-Mienenbüttel werden Beagle als Versuchstiere eingesetzt. Sie gelten als besonders gutmütig und duldsam. Foto: Soko Tierschutz

Was lokale Tierschützer seit Jahren vermuten, bestätigen Recherchen der Soko Tierschutz: In der Tierversuchsanstalt des LPT in Mienenbüttel werden offenkundig Tierrechte massiv verletzt, Versuchstiere gequält und brutal zu Tode gebracht.

Von Claudia Michaelis Sonntag, 13.10.2019, 14:20 Uhr

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Das LPT (Laboratory of Pharmacology and Toxicology) in Mienenbüttel und die Vorgänge in dem hermetisch abgeschotteten Versuchslabor stehen bereits seit Jahren im Visier der Tierschützer. Einblicke, selbst durch die Politik, waren absolut unerwünscht, auch Neu Wulmstorfs Bürgermeister Wolf Rosenzweig, in dessen Gemeindegebiet das LPT liegt, wurde jahrelang abgebügelt bei seinen Versuchen, die Anlage in Mienenbüttel besuchen zu dürfen.

Jetzt hat die Soko Tierschutz sich des Labors angenommen und undercover einen Mitarbeiter in Mienenbüttel eingeschleust, der dort inkognito gearbeitet hat. Seine Erkenntnisse, die der Verein jetzt vorab auf Facebook veröffentlicht hat, bestätigen die Befürchtungen der lokalen Tierschützer und gehen weit über das hinaus, was sich alle Kritiker, die sich seit Jahren mit dem LPT beschäftigen, haben vorstellen können: Die gemeinsame Recherche von Soko Tierschutz und Cruelty Free International zeigt unhaltbare Zustände, rechtswidrige Tierhaltung, grausame Versuche und unglaubliche Brutalität gegen die Tiere in Mienenbüttel.

Von Dezember 2018 bis März 2019 war der verdeckte Ermittler im LPT in Mienenbüttel als Mitarbeiter unterwegs, berichtet Friedrich Mülln, einer der drei Vorsitzenden und Sprecher von Soko Tierschutz. Bereits 2013 hatte die Soko versucht, einen Undercover- Mitarbeiter im LPT einzuschleusen, das als geheimstes und berüchtigtstes Tierversuchslabor Deutschlands gilt, so Mülln. Das war aber seinerzeit nicht gelungen. Diesmal hatte LPT selbst Mitarbeiter gesucht, und der Soko-Mann sei sofort genommen worden, berichtet Mülln.

Die Bilder, die er in dieser Zeit vor Ort gemacht haben, zeugen von unfassbarer Brutalität im Umgang mit den Tieren und sind kaum zu ertragen. Das TAGEBLATT zeigt deshalb die schlimmsten Bilder nicht. Mülln beschreibt, was sein Undercover-Ermittler in Mienenbüttel während der Zeit dort erlebt hat: Mehrfach dokumentierte der Ermittler, wie Hunde, nachdem ihnen Schläuche oder Kapseln in den Hals gezwungen wurden, entsetzlich bluteten. Das Bildmaterial zeigt blutverschmierte Zwinger. Die Hunde seien teilweise grausam zugrunde gegangen, seien nicht ausreichend überwacht und umsorgt worden.

Die gesamte Hundehaltung verfügt nach den Erkenntnissen der Soko über kein nach EU-Recht vorgeschriebenes Beschäftigungsmaterial. Verhaltensstörungen seien unter anderem die Folgen davon. „Es ist erschütternd zu sehen, wie sich diese Hunde nach Zuneigung und Fürsorge verzehren und dann so erbärmlich in ihrem Blut sterben müssen“, beschreibt Friedrich Mülln die Szenen.

Den schlimmsten Haltungsbedingungen im Labor seien die Affen ausgesetzt. Sie lebten teilweise in engen Käfigbatterien und in keinem der Käfige gab es das gesetzlich vorgeschriebene Beschäftigungsmaterial, berichtet Mülln. Die Wildtiere litten unter Stress und Käfighaltung, die Folgen seien Tiere, die sich wie verrückt im Kreis drehen und das sogar rückwärts. Ein Teil der Käfige verstoße gegen in Deutschland verbindliches EU-Recht.

Die Affen würden bei Versuchen mit äußerster Grobheit behandelt: „Es kam zu blutigen Verletzungen und ein Mitarbeiter schlug einen Affen absichtlich krachend gegen die Türkante“, berichtet Mülln. Widerstand gegen solche Übergriffe sei nach Aussagen eines Mitarbeiters sinnlos gewesen. Der Undercover-Mitarbeiter habe es versucht, es sei den Vorgesetzten egal. Unter den zahlreichen Arbeitern der Einrichtung habe sich nur ein ausgebildeter Tierpfleger befunden. Der Rest der Tierpflegerhelfer rekrutiert sich zum Beispiel aus Schlachtern, Mechanikern und einem Militärmusikanten.

In einer Katzenstudie für eine Tierarzneimittelfirma wurde ein Antibiotikum mit dem gleichen Wirkstoff, aber mit Geschmack, verglichen. Dazu wurden den Katzen die Beine an einem einzigen Tag 13-mal zerstochen. Auch hier mangelte es den Mitarbeitern an Fähigkeiten, mit Folgen für die Tiere. Die Tiere müssen zu all dem Leid auch noch weltweite Tiertransporte ertragen: Katzen aus Spanien, Hunde aus den USA und Affen aus China. Die meisten Studien enden mit dem Tod der Tiere. Das Video zeigt, wie Hunde regelrecht geschlachtet werden und Katzen in Müllsäcken landen.

„Unsere Recherche enthüllt entsetzliches Tierleid, unzulängliche Pflege der Tiere, schlechte Praktiken und Brüche europäischen und deutschen Rechts. Wir fordern eine umfassende Aufarbeitung dieses Falls und allgemein solcher Tierversuche in Europa“, sagt Michelle Thew von Cruelty Free International. Die Soko Tierschutz und Cruelty Free International fordern ein sofortiges Ende der veralteten, gefährlichen und grausamen Giftigkeitstests an Tiere.

„Es ist unverantwortlich, dass der Staat diese Versuche zwar anordnet, aber Giftigkeitstests zum Beispiel an Hunden oder Kaninchen nicht genehmigungspflichtig sind. Hier zieht sich Deutschland aus der Verantwortung. Die angeblichen Sicherheitstests bringen zudem keine Sicherheit für den Menschen und Tieren nur einen grausamen Tod“, sagt Soko-Sprecher Mülln, der 2003 selbst undercover in einem solchen Labor gearbeitet hat. Sein Fazit: „Leider haben sich die Zustände bei den Tierversuchen in diesem Zeitraum sogar verschlechtert. Es ist erschütternd zu sehen, dass Wildtiere wie Affen nach wie vor unter solch schrecklichen Bedingungen gehalten werden.“

Die Soko habe bereits Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft gestellt, sagt Mülln. Mit ihrem Zeugenmaterial wollen die Aktivisten auch das aktuelle Vertragsverletzungsverfahren der EU wegen der schlechten Zustände in deutschen Tierversuchslabors untermauern. „Wir hoffen, dass die Behörden jetzt handeln, sagt Mülln. „Eigentlich müssten sie diese Einrichtung jetzt schließen, denn was dort geschieht, übersteigt alles“.

Der Kreisverwaltung sind die Recherchen der Soko Tierschutz und ihre erschütternden Ergebnisse bereits seit vergangener Woche bekannt. Am gestrigen Feiertag war in der Kreisverwaltung niemand für eine aktuelle Stellungnahme zu erreichen, doch nach gesicherten TAGEBLATT-Informationen hat Landrat Rainer Rempe bereits in der vergangenen Woche per Mail die Kreistagsfraktionen über die Recherchen der Soko informiert. Darauf habe das Veterinäramt umgehend reagiert und noch vor Sichtung des Materials eine umfangreiche Kontrolle des Betriebs durchgeführt, teilt Rempe den Kreispolitikern mit.

Am selben Tag seien Vertreter der „Süddeutschen Zeitung“ und der ARD beim Kreis gewesen, um die Videos zu zeigen und um die Einschätzung des Veterinärdienstes zu hören. Unabhängig von der Presseberichterstattung werde der Veterinärdienst den Hinweisen gemeinsam mit dem Laves (Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) nachgehen, schreibt Rempe den Kreistagsmitgliedern. Beim LPT war für das TAGEBLATT gestern niemand zu erreichen, auch auf eine Mail-Anfrage hat das Unternehmen bisher nicht reagiert.

Die Tierschutzorganisation Soko Tierschutz gilt in ihrer Arbeit als glaubwürdig, hat mit ihren Undercover-Recherchen bereits dafür gesorgt, dass mehrere Schlachthöfe in Niedersachsen geschlossen wurden – zuletzt der Skandal-Schlachthof in Düdenbüttel. Dort hatten sich die Vorwürfe der Soko komplett bestätigt.

Auch bei „Lobby pro Tier“ herrscht zwar großes Entsetzen über das, was die Soko in Mienenbüttel dokumentiert habe, aber andererseits auch große Erleichterung und die große Hoffnung, dass nun endlich etwas geschieht: Wir machen das seit zehn Jahren und haben immer gehofft, dass irgendjemand dahinterkommt, was dort passiert“, sagt Sabine Brauer, Sprecherin von „Lobby pro Tier“. Sie bestätigen das, was wir vermutet haben, sind nur entsetzt, wie der Landkreis und das Laves damit umgehen, sagt Brauer. Wenn dort jetzt solche Zustände herrschen, was haben sie dort die ganze Zeit vorher gesehen, wenn sie gesagt haben, dort ist alles okay? Nur weil es ein gutes Geschäft ist, darf so etwas nicht aufrechterhalten werden. Jetzt muss endlich etwas passieren.“

Die Soko Tierschutz plant für kommenden Sonnabend, 19. Oktober, eine Großdemo vor dem Hauptsitz des LPT in Neugraben und am Abend eine Mahnwache vor der Außenstelle Mienenbüttel an der Oldendorfer Straße. Die Demo beginnt um 17 Uhr am Neugrabener Markt. Auch „Lobby pro Tier“ ruft die Menschen in Süderelberaum auf, zahlreich an der Demo teilnehmen und ein Zeichen zu setzen. Am Abend findet dann von 19 bis 21 Uhr vor dem LPT in der Oldendorfer Straße 41 in Mienenbüttel eine Mahnwache statt. Bei der Mahnwache wollen die Aktivisten dann ein stilles, aber mächtiges Zeichen setzen, so die Soko Tierschutz. Weil die Teilnehmer dann nur wenige Meter von den Tieren im Labor trennen, soll es eine leise Demo werden, zu der Kerzen, Laternen, Grablichter und ein Feuerzeug, aber keine Fackeln mitgebracht werden sollen.

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