Das sagt der Hamburger S-Bahn-Chef über das miese Image der Bahn

Der Chef der Hamburger S-Bahn, Kay Uwe Arnecke, wollte früher mal ein Restaurant auf Sylt eröffnen. Foto: Gerhard Ludwig
Kay Uwe Arnecke bewegt viel, muss aber auch einiges einstecken. Seit 14 Jahren führt er die S-Bahn Hamburg, die in der Metropolregion jährlich rund 250 Millionen Fahrgäste befördert. Woher er seine Ausdauer nimmt und warum ein Schaffner ihn aus dem Zug warf, verrät er im Interview.
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TAGEBLATT: Herr Arnecke, haben Sie als Kind mit der Modelleisenbahn gespielt?
Kay Uwe Arnecke: Leider nein. Die Märklin-Eisenbahn gehörte meinem älteren Bruder.
Sie sind geborener Hamburger. Können Sie sich an Ihre erste Fahrt mit der S-Bahn erinnern?
Ja, klar. Das war wohl so mit sieben Jahren. Ich bin in Rahlstedt aufgewachsen und von dort mit der damaligen sogenannten Linie S4 immer in die Innenstadt gefahren. Damals fuhren noch die Silberlinge und Lokomotiven der Baureihe 218. Ich muss sogar gestehen, dass ich als Kind hier einmal unabsichtlich ohne Ticket gefahren bin.
Tatsächlich…?
Ja, ich war sieben oder acht Jahre alt und hatte wohl einfach vergessen, eine Fahrkarte zu lösen. Jedenfalls wurde ich gleich hinter Rahlstedt kontrolliert und an der nächsten Station in Tonndorf rausgeschmissen. So eine Situation lösen wir heute zum Glück anders, aber Fahren ohne Fahrschein kam danach für mich nie wieder infrage (lacht).
Wann haben Sie sich zuletzt über eine verspätete S-Bahn geärgert?
(überlegt) Ich fahre jeden Tag mit der S-Bahn, und natürlich sind Verspätungen immer ärgerlich. Ein Ereignis ist schon länger her. In der S3 auf der Rückfahrt von Buxtehude nach Hamburg stand der Zug ungefähr 30 Minuten vor Heimfeld; wir hatten eine Stellwerksstörung. Wir wurden zwar gut informiert, trotzdem ist das eine lange Zeit. Grundsätzlich freue ich mich aber, dass wir in den letzten Jahren deutlich zuverlässiger unterwegs sind.
Wie ist der S-Bahn-Chef als Fahrgast? Wenn Sie zum Beispiel sehen, dass der Papierkorb kaputt ist oder die Sitze verdreckt sind, beschweren Sie sich?
Ich gebe so etwas selbstverständlich weiter. Auch unsere Fahrgäste können solche Dinge direkt an unseren Kundendialog melden. Dann geben wir das an unsere Werkstatt. Und in dringenden Fällen können die Fahrgäste sich über die Sprechstelle im Zug melden, damit wir zum Beispiel eine Streife der S-Bahnwache schicken.
Also keine Pause für den Chef, auch nicht, wenn er privat S-Bahn fährt?
Das gehört bei meinem Job einfach dazu. Auch viele andere S-Bahnerinnen und S-Bahner haben immer ein waches Auge. Wir sind schließlich unsere eigenen Qualitätsmanager und können immer noch besser werden.
Können Sie selbst eine S-Bahn steuern?
Leider nein. So eine Ausbildung ist ganz schön anspruchsvoll und dauert mindestens acht Monate. Ich bin auch nicht sicher, ob ich die nötige technische Begabung dafür hätte (lacht).
Wie gut ist „Ihre“ Hamburger S-Bahn im Vergleich zu denen in anderen deutschen Städten?
Ich glaube, wir sind insgesamt gut aufgestellt. Fairerweise muss man aber sagen, dass wir den Vorteil eines weitgehend eigenen Netzes haben, auf dem nur unsere Züge unterwegs sind. In München, Frankfurt und Stuttgart gibt es viele Strecken mit Mischverkehren, auf denen auch andere Züge fahren. In Hamburg ist das nur auf der Strecke nach Stade der Fall. Aber wir haben auch unsere Fahrzeugflotte vollständig modernisiert, fahren bereits seit 2010 ausschließlich mit Ökostrom und verbessern stetig unser Informationsangebot, zum Beispiel mit neuen digitalen Zuganzeigern an den Stationen.
Und international?
In vielen Ländern sind die Nahverkehrssysteme erst in den letzten 10, 20 Jahren gebaut worden, zum Beispiel in Katar und Dubai. Da ist die Infrastruktur natürlich viel neuer, es sind oft unterirdische, geschlossene und häufig vollautomatische Systeme. Mir gefällt auch die Metro in Kopenhagen: vollautomatisch, Bahnsteigtüren an den Stationen, ein geschlossenes System. Die brauchen keinen Fahrplan mehr, alle 90 Sekunden fährt ein Zug. Mit der digitalen S-Bahn haben wir aber jetzt auch in Hamburg eine echte Weltneuheit im System. Damit werden wir unsere Zuverlässigkeit zukünftig deutlich erhöhen und mehr Züge auf die umweltfreundliche Schiene bringen können.
Welchen Anteil hat der langjährige Chef an der „gut aufgestellten“ Hamburger S-Bahn?
In meiner Zeit haben wir 2013 einen Verkehrsvertrag mit Hamburg abgeschlossen, der bis 2033 läuft. Das hat uns erst in die Lage versetzt, kräftig zu investieren, etwa in den Ausbau des Fuhrparks mit modernen Zügen der Baureihe ET 490. Auch haben wir in Stellingen eine der modernsten und nachhaltigsten S-Bahn-Werkstätten in Deutschland gebaut. Zudem hatten wir das Glück, in die digitale S-Bahn investieren zu können, auf dem Gebiet sind wir weltweit Vorreiter. Eine gute S-Bahn ist aber vor allem eine starke Teamleistung aller S-Bahnerinnen und S-Bahner.
Was ist Ihre Hauptaufgabe?
Zum einen für möglichst hohe Qualität zu sorgen im Hier und Jetzt. Und zum anderen Maßnahmen zu entwickeln, um die S-Bahn für die Zukunft noch besser zu machen. Nur so gelingt uns die Verkehrswende. Dabei delegiere ich die wichtigen Dinge nicht einfach an andere, sondern sehe mich selbst in der Pflicht.
Die S-Bahn Hamburg gehört zum DB-Konzern. Ärgern Sie sich über das weithin schlechte Image der Bahn?
Das muss man differenzieren. Wenn Fahrgäste sich zu Recht beschweren, dann ärgere ich mich nicht darüber. Im Gegenteil: Kritik hilft uns dabei, besser zu werden. Mich ärgert aber Kritik an Ereignissen, die wir nicht zu verantworten haben.
Zum Beispiel?
Die Störung an den Elbbrücken vor ein paar Wochen. Die war durch einen Lkw-Unfall ausgelöst worden, das Fahrzeug brannte direkt unterhalb der S-Bahnbrücke aus und richtete mit Temperaturen von 900 Grad Celsius enorme Schäden am Bauwerk an. Es gab große Einschränkungen für unsere Fahrgäste. Wenn dann jemand sagt: „Die S-Bahn kriegt das wieder nicht hin“, ärgert mich das. Wir haben rund um die Uhr daran gearbeitet, so viele Busse und Bahnen wie möglich bereitzustellen und gleichzeitig die Strecke zu reparieren. Anderseits: Ich verstehe natürlich auch, dass die Sperrung nicht nur für uns, sondern auch für viele Fahrgäste eine große Belastung war.
14 Jahre auf dem Chefsessel der S-Bahn Hamburg, das zeugt von Ausdauer. Die gilt offenbar auch im Privaten. Sie laufen gern und lang...
Ja, ich bin viel Marathon gelaufen, das mache ich jetzt aber nicht mehr. Der letzte war mit 60 vor zwei Jahren in Barcelona.
Wie viele waren es insgesamt?
Das hab ich nicht gezählt. Wichtig war mir der Marathon in New York, den habe ich geschafft. Ich bin aber auch in Paris, Rom und Berlin gelaufen. Ich habe aufgehört, weil es nicht wirklich gesund ist. Aber: Ich laufe weiterhin jeden Morgen rund eine Stunde um die Außenalster. Und das immer noch gern.
Stimmt es, dass Sie ein Restaurant auf Sylt eröffnen wollten?
Ach, das ist lange her. Aber es stimmt.
Was war die Idee?
Ich bin quasi auf Sylt großgeworden, jedenfalls haben meine Großeltern und Eltern mit uns jeden Sommer dort verbracht. Ein Freund und ich haben damals ein Auge auf das „Alte Fährhaus“ in Munkmarsch geworfen, als es noch eine Ruine war. Wir dachten, es wär’ doch toll, wenn wir das zum Restaurant ausbauen. Aber ernsthaft haben wir das dann nicht verfolgt. Inzwischen haben es andere gemacht, und das läuft ganz gut. Schlecht war unsere Idee wohl nicht.
Ab 1989 haben Sie für Klaus von Dohnanyi gearbeitet. Wie kam es dazu?
Das war Zufall. In meiner Diplomarbeit hatte ich mich mit dem europäischen Binnenmarkt und Globalisierungsfragen beschäftigt. Klaus von Dohnanyi suchte nach seinem Rücktritt als Hamburger Bürgermeister einen Assistenten für Recherchen genau zu diesen Themen. Als im November 1989 dann die Mauer fiel, haben wir uns nur noch mit Fragen beschäftigt, wie es in Deutschland weitergeht.
Warum ging es für Sie dann im Osten weiter?
Von Dohnanyi wurde Aufsichtsratsvorsitzender des früheren DDR-Kombinats Takraf und nahm mich als Referenten mit. Anschließend wechselte ich zur Treuhandanstalt.
Was haben Sie von Klaus von Dohnanyi gelernt?
Sehr viel, das kann ich gar nicht alles aufzählen. Besonders viel, was die politische Einschätzung von Vorgängen angeht und wie die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik funktioniert. Ein ausgewogenes Verhältnis von Wirtschaft und Politik hat sein Wirken immer geprägt.
Im Kampf gegen den Klimawandel setzt die Politik auf den massiven Ausbau des ÖPNV. Ist die Verkehrswende in den Köpfen der Menschen der Autofahrernation Deutschland angekommen?
Da muss man zwischen Stadt und Land unterscheiden. In den Metropolregionen wird das Thema gesehen und auch angenommen. Vor Corona sind unsere Fahrgastzahlen ja deutlich angestiegen. Insbesondere in den ländlichen Bereichen brauchen wir aber noch attraktivere Angebote. Ich denke aber, dass die Akzeptanz zunehmen wird, je weiter wir die ÖPNV-Systeme ausbauen und zuverlässiger machen. Außerdem wächst eine neue Generation mit einem anderen Verständnis vom Auto heran. Bestes Beispiel sind meine Söhne, die beide kein eigenes Auto haben.
Und Sie?
Ich habe auch schon lange kein Auto mehr. Früher ja, als die Kinder noch bei uns gelebt haben. Inzwischen brauche ich kein Auto mehr. Zur Arbeit fahre ich sehr gerne mit U- und S-Bahn.
Bitte ergänzen Sie...
Die besten Ideen kommen mir… morgens beim Laufen.
Mein Lieblingsort in Hamburg ist… Bobby Reich an der Außenalster, gern zum Frühstücken.
Ärgern kann ich mich am meisten über… beruflich über Personen im Gleis am Hauptbahnhof.
Der beste Rat meiner Eltern war… fleißig in der Schule zu sein.
Wenn ich einen Tag Verkehrsminister wäre, dann… würde ich noch mehr Geld für die digitale Schiene im Haushalt bereitstellen.
Ich könnte gut verzichten auf… Süßigkeiten.
Kaputt lachen kann ich mich über… Dittsche, Olli Dietrich.
Zur Person
Kay Uwe Arnecke ist 1960 in Hamburg geboren und in Rahlstedt aufgewachsen. Nach dem Studium der Volkswirtschaft in seiner Heimatstadt wurde er 1989 wissenschaftlicher Assistent von Klaus von Dohnanyi, der gerade als Hamburgs Bürgermeister zurückgetreten war. Als von Dohnanyi 1990 nach dem Mauerfall Aufsichtsratschef der Takraf Schwermaschinenbau AG in Leipzig wurde, ging Arnecke als Büroleiter mit. Später wechselte er zur Treuhandanstalt.
Seine Bahnkarriere begann der leidenschaftliche Langstreckenläufer 1995 als Projektleiter für Restrukturierung. 2001 wurde Arnecke Vorstand Personal im DB Personenverkehr mit Sitz in Frankfurt. 2008 wechselte er schließlich zurück in den Norden, wurde Vorsitzender der Geschäftsführung der S-Bahn Hamburg und Chef der Region Nord der DB Stadtverkehr, später zeitweise auch Geschäftsführer der Autokraft in Kiel. Kay Uwe Arnecke hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit seiner Frau in Winterhude.